in

JA. LEBEN!

Und wenn es dann Scheisse vom Himmel regnet, wenn sie dich am Arsch haben, wenn das Konto leer ist, das Herz schwer, kannst du nur eins tun: Die Macht des Irrationalen anerkennen. Und vielleicht sogar vor der Fatalität auf die Knie sinken. Schon in der Morgenfrühe liegen die Nerven blank. Am Abend zitterst du immer noch. Schlafen kannst Du auch nicht. Und bald schon donnert der Wecker los. Jetzt musst du wieder da raus gehen, den Leuten den ganzen Tag über vormachen, dass du etwas bist, dass du etwas weisst. Weil es alle anderen auch tun.

Weil du denkst, dass alle anderen sonst merken, dass du eigentlich nichts weisst. Ja nicht einmal wirklich weisst, was zum Teufel du eigentlich bist…

Das denkst du, weil du davon ausgehst, dass die anderen wissen, wer sie sind, dass die anderen Dinge wissen, die du nicht weisst. Das Dumme daran ist nur: Die anderen wissen es auch nicht. Sie spielen es der Welt nur vor. Genauso halt – wie du es tust.

Denn eigentlich ist hier unten, auf diesem Planeten, den wir unsere Welt zu nennen pflegen, nichts erklärt, kaum etwas enthüllt oder auch nur ansatzweise verständlich. Nicht einmal die Wörter helfen uns. Wörter sind wie Vogelgesang, wie Meeresrauschen, wie das Sirren von Telegraphendrähten im Wind. Sie können alles bedeuten und umfassen…

Ausser dem, das wirklich ist. Denn das war schon vor den Wörtern da.

So spielen wir uns also gegenseitig den ganzen Tag Bedeutsamkeiten vor. Um uns in der Welt zu verankern. In einer Welt, auf der wir nur zeitweise zu Gast sind. Nur einen Augenblick lang. Um dann wieder zu gehen. Wohin? Das wissen wir nicht. Und an einem derart unsicheren Ort sollen wir vor Anker gehen?! Das ist doch eine veritable Zumutung. Auf TripAdvisor hätte so ein Menschenleben als Ferienort wohl durchwegs beschissene Bewertungen, vielleicht eine einzige supergute, vom Unternehmer, der hinter dem Angebot steckt. Unter falschem Namen.

Aber wer kennt schon den Unternehmer? Oder seinen Namen?

Ich wiederhole. Weil es gerade so schön ist. Für mich zumindest. Da kommt man irgendwo her. Man weiss nicht einmal, wo man vorher war. Dann ist man hier. Weiss aber nicht, wie lange der Aufenthalt überhaupt dauert. Am Ende, das gewiss immer zu früh kommt, muss man wieder gehen: Bestimmungsort unbekannt.

Entschuldigung – dürfte ich bitte mal den Direktor dieser Anstalt sprechen?

Aber wer kennt schon den Direktor? Oder seinen Namen?

Kein Wunder, dass wir unter solchen Bedingungen wenigstens etwas sein, etwas darstellen, wenigstens ein kleines bisschen etwas wissen wollen. Umso weniger wir uns jedoch mit der Fatalität und dem Irrationalen, die im Kern unseres Seins stecken und es gleichzeitig umgeben, arrangieren können, desto unerbittlicher müssen wir unsere unhaltbaren Behauptungen über uns selbst – und unser vermeintliches Wissen – verteidigen. Und schon haben wir einen Krieg aus unserem Leben gemacht. Bravo! Denn alle Behauptungen sind letztlich ganz und gar unhaltbar.

Heutzutage sind wir mehr denn je damit beschäftigt, das Irrationale, das Fatale komplett zu verdrängen. Wir wollen alle Drachen aus ihren Höhlen zerren und Schosshündchen aus ihnen machen. Alle Götter von ihren Thronen stürzen – und sie durch einen Sack voller billiger Tricks und halbschlauer Methoden ersetzen. Wir wollen wissen, was morgen sein wird. Obwohl wir ja nicht einmal genau wissen, was heute alles so ist. Deshalb ergreifen wir Massnahmen, setzen Richtlinien und implementieren Spielregeln. Doch die Realität spielt dummerweise nicht mit. Unsere Massnahmen können nicht greifen, weil das Sein einfach kein greifbares Material sein will.  Zudem übertritt der gemeine Alltag mit seinen Zumutungen jede gesetzte Linie. Immerzu.

Schon eher bedauerlich.

Wir könnten stattdessen dem Irrationalen einen Tempel errichten, vielleicht mit Alkoholausschank, in dessen Zentrum sich ein mächtiger Altar erhebt, der Fatalität geweiht. Vor diesem Altar könnten wir dann – mit Fug und Recht – auf die Knie fallen, nackt und demütig, vielleicht noch mit Himbeersauce oder Blut beschmiert, von Kopf bis Fuss. Könnten – wimmernd, kreischend, schreiend – bekennen, dass wir nichts wissen.

Wirklich nicht!!!

Um dann wieder rauszugehen und – endlich – zu leben. Ja. Leben!

Doch wenn es dann Scheisse vom Himmel regnet, wenn sie Dich am Arsch haben, wenn das Konto leer ist, das Herz schwer, kannst du nur eins tun: Weitermachen! Oder vielleicht sogar aufgeben…

Gefällt dir dieser Beitrag?

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

Facebook Profil

10 Fragen, die sich Gutmenschen stellen sollten

Warum Facebook unser Freund ist