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Das muss man nicht haben: ein Architekturbüro

Muss man nicht haben? Momentmoment, wir begründen gleich. In 20 Punkten.

«Architektur ist das kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht versammelten Baukörper“, soll der alte Le Corbusier gesagt haben. Ewiggültige Worte also, die man nach zwei Flaschen Rotwein eben so sagt.

In der aktuellen Epoche der Kunstgeschichte geht Architektur allerdings so:

1.    Du vernimmst von einem Architektur-Wettbewerb, sagen wir Schulhaus in Zürich, sagen wir Affoltern, sagen wir Bausumme 55 Millionen. Sagst du: das interessiert mich.

2.   Du gehst zu den amtl. Schalterstunden zum amtl.  vorgeschriebenen amtl. Schalter, legst mehrere hundert Franken amtl. Ausschreibungsgebühr auf denselben und behändigst im Gegenzug a) die 40-seitigen amtl. Ausschreibungsunterlagen sowie b) ein 50 Kilo schweres und entsprechend handliches Gipsmodell der Topographie, wo die amtl. Lehrstätte dannzumal draufbetoniert werden soll.

3.   Du holst dir beim Runtertragen des Gipstrümmers einen Leistenbruch, was dir die Gelegenheit gibt, im Spitalbett zu versuchen, die 40seitige Ausschreibung zu kapieren.

4.   Du brauchst einen Drink.

5.   Du erfährst, dass sich ausser dir 85 weitere Architekturbüros für die Ausschreibung interessiert haben, wovon letztlich 56 am Wettbewerb teilnehmen werden. Die anderen sind bereits in der Anfangsphase irgendwo irgendweshalb verschütt gegangen.

6.    Trotz umfangreicher und namhafter Konkurrenz machst du mit. Schliesslich bist du ETH und SIA und ein Hart-Ei.

7.   Du legst dein Architekturbüro die nächsten zwei, drei Monate lahm für dieses Projekt, überlegst, entwirfst, verwirfst, zeichnest,  planst (zwei- und dreidimensional),  telefonierst, e-mailst, rechnest und lässt nachrechnen und nagelst zuletzt in drei Tagen und drei Nachtschichten die Präsentationsunterlagen zusammen (Pläne, Projektbeschreibung, Modell usw.)

8.   Betriebswirtschaftlich betrachtet produzierst du damit einen Aufwand von rund 50 000 Franken, es sei denn, du arbeitest mit einem Partnerbüro in Shanghai, Zagreb oder Casablanca zusammen, wo die Löhne noch tiefer sind als in deinem Büro. Dann kommst du auf lediglich noch 30 000 Franken Präsentationsaufwand.

9.   Diesen bezahlt dir natürlich keiner.

10. Da dieser Aufwand aber auch all den 55 Mitbewerbern nicht bezahlt wird, macht das dann nach Adam Riese insgesamt ca. drei Millionen Fränkli Architekturleistungen aus, für die keiner aufkommt, und womit man ein 10-köpfiges Architekturbüro schätzungsweise zweieinhalb Jahre lang betreiben könnte.

11. Dein Treuhänder braucht einen Drink.

12. Dann der Tag X. Abgabetermin, bis punkt 16.00 Uhr. Zwei Minuten danach ist Sense. Du stemmst das schwere Gipsmodell sowie die anonymisierten Präsentationsunterlagen an den Ort der Jurierung (4. Etage rechts, Zimmer 201) und haust möglichst unerkannt wieder ab.

13. Eine 13 ExpertenInnen umfassende Fachjury nimmt sich drei Tage lang Zeit, die 56 Projekte zu begutachten. Das sind rund 40 Minuten pro Projekt. Also etwa so lange, wie ein Busfahrer braucht, um das Menu 2 (mit Kompott oder Salat) in der Quartierbeiz zu verdrücken.

14.  In der Jury sitzen/stehen a) VertreterInnen aller „involvierten Ämter“, b) ArchitektenInnen sowie c) Organe des Lehrkörpers (PädagogenInnen? Pädagogende?). Ist ja egal. Hauptsache Experten, die man unlängst noch Lehrer nannte. Rassige Zweifarb-Kurzfrisuren, Cordhosen, ihr wisst ja.

15.  Dann erhält ein (1) Architekt den Zuschlag, also schon wieder nicht du.

16.  Du brauchst einen Drink.

17.  Und einen Joint.

18.  Du teilst deinen Kolleginnen und Kollegen im Büro mit, dass schon wieder nichts war, aber eigentlich sei man froh, einen Bau nicht erneut unter BSA/SIA-Tarif ausführen zu müssen, sich nicht mit Beamten der Stadt und den Anwälten des Generalunternehmers herumzuschlagen, und am Schluss seiche es wegen dieser elenden Kostendrückerei schon am ersten Tag ins Flachdach hinein. Wie beim Puls 5 in Züri-West.

19.  Da könne man ja gleich eine Beiz aufmachen oder eine Boutique oder ein Nagelstudio oder eine Werbeagentur.

20.  Oder ein Architekturbüro.

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Autor: Reinhold Weber

Reklamiker und Texter aus und in Züri, nachdem er gefühlte 20-mal umgezogen ist, u.a. nach Berlin, Düsseldorf, Frankfurt und Wien.

Reduzierte den Smart to the max, machte Media-Markt weniger blöd und blieb beim Tages-Anzeiger dran. Ist Namensgeber und Mitgründer von Blue Balls Music, die das „Blue Balls Festival“ in Luzern veranstaltet.

Verbringt seine Tage völlig unkorrekt und ausgegrenzt als partei- und konfessionsloser, heterosexueller Raucher/Fleischfresser/Nichtjogger/Oekosparlampenhasser. Spielt auf seiner alten Fender Stratocaster zu allem Übel auch noch am liebsten Negermusik.

Mag Texaner wie Billy Gibbons und Kinky Friedman. Ob die allerdings ihn mögen, ist glücklicherweise unbekannt.

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