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Rapper sind keine Musiker? – 500 Gründe die dagegen sprechen

Als ich in seine blockhüttenähnliche Behausung hineintrete, begegne ich einer auf dem Sofa sitzenden, schwarzen Person mit Waffe in der Hand. Zuerst schreie ich. Atemstillstand. Dann aber erkenne ich, dass es sich um eine körpergrosse Puppe handelt. «Keine Angst», ruft Joshua auf dem Weg zur Küche über seine Schulter, «der ist nur da, um Einbrecher abzuschrecken.» Ob die Waffe echt sei, frage ich. «Ja klar», antwortet er.Der einstöckige Bungalow ist stickig, düster und schmuddelig, laut dröhnt Sade aus dem Wohnzimmer. Ich trete in den zugemüllten Garten hinaus, um mich zu setzen und eine Zigarette anzuzünden. Einer der zwei Pitbulls rennt auf mich los, kratzt mich aggressiv am Bein, bis ich ihn streichle, dann legt er sich hin und schnauft friedlich aus.

Joshua Durham, alias Five-Hunnet (500), hat nicht immer so gelebt. Nach seinem tausendfach verkauften Rap-Titel «Bubble Gum Pack» wohnte er in einem neuen, schönen Haus in einer besseren Gegend, veranstaltete Partys und unterstützte seine Familie finanziell. Jetzt, da er wieder zu Hause wohnt, weiss er noch viel mehr zu schätzen, was er hatte. «Nach der Wirtschaftskrise verlor mein Stiefvater seinen Job. Meine Mutter arbeitete zwar, konnte sich die Hypothek jedoch nicht mehr leisten. Also zog ich nach sieben Jahren wieder zurück, um sie zu unterstützen. Zwei Häuser konnte ich mir nicht leisten, aber ich verdiene genug, um zu überleben und ich bin stolz darauf, dass wir nicht dahin zurück gesunken sind, wo wir einmal waren: im Ghetto von Oakland.» Dort sei er immer als «White Boy» beschimpft worden. Obwohl seine Mutter pure Afroamerikanerin und somit dunkelhäutig ist, waren die Gene seines portugiesischen Vaters stärker. Er kennt seinen Erzeuger nicht: «Verschwand wohl nach einem One Night Stand», erklärt der heute 28-Jährige mit einem Schulterzucken. Five – so nennt ihn auch seine Mutter. Ob er das nicht als distanzierend empfinde, von der eigenen Mutter beim Künstlernamen genannt zu werden? «Es lässt mich ihre Anerkennung fühlen. Sie zeigt mir, dass sie mich und meine Musik ernst nimmt», antwortet er mit einem Lächeln im Gesicht.

In Oakland, umgeben von Gewalt, Waffen, Drogen, Totschlag, Mördern und verwahrlosten Kindern, beginnt Joshua im Alter von 10 Jahren sich auf dem vom Grossvater geschenkten Klavier das Spielen selbst beizubringen. Er spielt ganz ohne Noten und seiner Grossmutter gefällt es. Die Mutter ist mal im Gefängnis, mal einfach nicht im Stande sich um ihn zu kümmern. Sein Grossvater erkennt das Potential des Enkels und kauft ihm bald darauf ein Keyboard. Er klimpert was das Zeug hält und entdeckt die Welt des Beats. «Das war der schönste Moment meines Lebens. Ich erinnere mich noch genau daran, wie es einfach im Wohnzimmer stand als ich zur Tür hineintrat. So glücklich war ich nicht oft», erzählt der Musiker nachdenklich, mit leiser Stimme. Die lieben Grosseltern sind jetzt tot. Und noch immer steht das Piano in seiner Garage. Auch die ist voller, teils undefinierbarer, Gegenstände. Und doch: Offensichtlich konnte er sich immer wieder ein wenig Platz fürs Spielen freischaufeln.

Er setzt sich hin, macht die Augen zu und beginnt, etwas Jazziges zu improvisieren. Melancholie macht sich breit. Ich bin fasziniert von seiner Hingabe, der Leidenschaft, die ich hier beobachte. Das erste Mal an diesem Tag ist er ruhig.Kurz darauf lacht er mich wieder an, als er mir von seinem Stanford Diplom erzählt. Er sei als 14-Jähriger auserkoren worden, an einem Sommer-Jazz-Diplomkurs für musikalisch begabte Kinder an der Stanford Universität teilzunehmen. Mit Stipendium. Grosse Musiker unterrichteten die Kinder. Er sei ein Aussenseiter gewesen, der einzige, der Slang gesprochen habe. Alle anderen Kinder seien aus guten Elternhäusern und Gegenden gekommen und hätten ihn anfangs nicht akzeptieren wollen. Einige Male wurde Five aus dem Unterricht geschmissen, weil man mit seiner Ungezogenheit und seinem Temperament nicht umgehen konnte. Er sei kurz vor dem Aufgeben gewesen, fühlte sich minderwertig. Theorie sagte ihm nichts, er wollte nur «Jammen», und darin war er der Beste.

500 produzierte unter anderem für Snoop Dogg, tha East Sidaz, Richie Rich, Symba und The Jacka. «Oft rufen mich die populären Musiker aus der Bay Area an, damit ich vorbeikomme und ihnen einen Songtext auf die Beats schreibe. Leider bin ich noch einer von vielen, ein ‹No-name›, sodass sie mir einen Scheiss bezahlen», erklärt Joshua. Als wir über seine aktuellen Ziele sprechen, zeigt er mir sein selbst erbautes Studio. Ein kleines Holzhäuschen im Garten, welches er von Grund auf selbst errichtet hat. Da stecke viel Herzblut drin, sagt er. Es sei zwar nicht besonders gut isoliert, doch ist es sein eigenes Studio, das ihm ständiges Arbeiten ermöglicht. Er zeigt mir seine Blasen an den Händen. Wieder fasziniert mich seine Leidenschaft, sein unermüdlicher Kampfgeist und sein Mut, ohne Selbstzweifel einem Ziel zu folgen. Wir hingegen, hätten irgendwo Geld ausgelihen, einen Kredit aufgenommen. Wahrscheinlicher aber, hätten wir gar nie erst begonnen an unserem Traum zu arbeiten.

Es ist bereits dunkel, als ich erneut eine Zigarette anzünde und die Pitbull-Hündin namens Diamond streichle. Seine Musik töne nach Drake, kommentiere ich. Er erzählt mir, wie er vor kurzem Backstage Pässe hatte und darauf brannte, ein paar Worte mit Drake zu wechseln. Er sei hingegangen, hätte seinen Namen genannt und seine Bewunderung für ihn ausgesprochen. «Drake wandte sich an seine Bodyguards: ‹Was macht dieser Motherfucker hier? Nehmt diesen Pisser aus meiner Sichtweite!› Ich bin dann ruhig weggelaufen. Schade, dass er nach kurzer Zeit im Rampenlicht bereits so abgehoben ist. Schade. Aber weisst du was? Ich habe das Gefühl, dass er mir noch einmal begegnen wird.»

 

Neue CD auf iTunes probehören und downloaden: Rags to Fortunes – Five Hunnet

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Autor: Jelena Keller

Jelena ist von Beruf Journalistin und Sprachlehrerin, Schweizerin serbischer Abstammung. Sie mag lange Texte und langes Grübeln. Sie hat sich daran gewöhnt zu viel zu denken und zu wenig zu schlafen. Wenn sie gar kein Auge zumachen konnte sieht sie die Welt nüchtern und in einem Grauton. Wenn sie ausgeschlafen hat, wandert sie mit ihrem Hund auf grüne Berge, durch bunte Blumenwiesen und rosa Weizenfelder. Schreibt auch mal Gedichte und Kurzgeschichten, reist am liebsten um die Welt und probiert Neues aus. Sie meint tatsächlich, dass sich alle Probleme lösen liessen, wenn man sich nur ab und zu in die Lage des Gegenübers versetzen könnte. Walk in my shoes und so. Trotzdem versteht sie manche Menschen nicht. Die, die sich vor dem Leben und dem Tod fürchten und andere verurteilen. Aber von den meisten anderen denkt sie, sie seien alle Freunde, die sie bloss noch nicht kennengelernt hat.

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