1) Menschliches Leben
Die hellbraunen Haare wickeln sich um ihr zartrosa gefärbtes Porzellangesicht. Kugelrunde, blaue, von Angst und Traurigkeit geprägte Augen sehen sich langsam und müde um. Sie scheint nichts weiter zu suchen als die Befriedigung ihrer Sehnsucht nach menschlichem Dasein. Welch Augenweide, in dieser, mit jedem Atemzug düsterer werdenden Umgebung. Ein inniges, drängendes Verlangen nach Wärme und Geborgenheit macht mich konfus. Apathisch mache mich auf den Weg zur Schulhausruine.
Als ich dem Mädchen die viel zu grosse, dunkelblaue Jacke ausziehe, merke ich, wie ich zu zittern beginne. Ihr seidiges Haar kräuselt sich wunderschön um ihr makelloses, jugendliches Gesicht. Welch süsslichen Geschmack ihre Lippen verbargen. Ich muss meine Tränen zurückhalten. Wir sprechen kein Wort. Geniessen nur die Wärme unserer beiden Körper aufeinander. Als wir den Bombenalarm draussen hören, reagieren wir nicht. Tot sind wir sowieso schon. Heute wollen wir nur ein paar Minuten fast lebendig sein.
2) Menschliches Sterben
An der Grenze wurden sie erschossen. Mehr wissen wir nicht. Dauernd präsent sind meine Gedanken an die Beiden. Ich stelle mir vor, wie mein Vater in einem Graben liegt, meine Schwester neben ihm, mit dem Kopf auf seiner Brust, als könnte er sie noch in seine Obhut nehmen. Ihr weisses Gesichtchen ist geschmückt mit zartrosa Bäckchen und einem Lächeln auf ihrem kleinen vollen, roten Mund. Eine Hand hat sie ihm auf die Brust gelegt, seine liegt behutsam auf ihrer. Sie sehen friedlich, fast engelsgleich aus, während die morgendliche Sonne auf sie herab scheint. Ganz so, als hätte sich das Warten auf Erlösung gelohnt. Plötzlich strömt Blut aus Ihren Mündern, fliesst zur Erde hinunter, hüllt sie in eine immer grösser werdende rote Pfütze. Braune Würmer schlängeln sich hastig aus den jetzt durchlöcherten Körpern. Käfer kriechen aggressiv aus ihren schwarzen Augen, breiten sich schnell über den Gesichtern aus und zerfressen Sie dann gänzlich, bis nur noch eine zerfetzte, schwarzgrüne, verfaulte Hülle von Ihnen übrig bleibt.
(Fotos: Daniel Biskup – Yugoslavia)