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Ich bin Helene Fischer. Sagt der Tages-Anzeiger.

Reklame geht so: Sie verspricht mir auf mehr oder weniger intelligente Weise etwas mehr oder weniger Sinnvolles.

Du kommst sicherer von A nach B oder, wenn es denn unbedingt sein muss, nach C. Um ein Beispiel zu geben.

Oder: Du riechst 24 Stunden lang gut. Du wirst nicht so schnell fett. Deine sauer verdiente Kohle wird nicht so schnell mit luschen Aktienanlagen versenkt. Der Mäc ist jetzt noch mäcer. Du kriegst die Weiber noch schneller rum. Oder: Du kannst dir eine fundierte Meinung bilden.

So habe ich das jedenfalls gelernt.

Der Tages-Anzeiger probiert jetzt etwas völlig Neues. Er klärt mich auf, ja er belehrt mich sogar: “Du bist, was du liest”, steht da auf dem neuesten Tagi-Inserat.

Wow. Genial. Raffiniert!

Die Umkehrung des Slogans “Du liest, was du bist” wäre nämlich platter gewesen. Da hätten die Leute so etwas Profanes gesagt wie: Ich bin die NZZ und der STERN und der Teletext und kult.ch und Watson und das Tagi-Magazin und manchmal das Drogisten-Heftli und ein bisschen “Shades of Grey”.

“Du bist, was du liest” dagegen ist viel subtiler, anekdotischer, regt die Phantasie der Leserschaft an und führt dadurch direkt zum Abschluss eines Zweijahres-Abos.

Nehmen wir einfachheitshalber mal mich. Und das, was ich in den letzten Tagen so gelesen habe. Unglaublich, was ich alles bin!

Ich bin eine Volksinitative, die gefährlich ist für die ETH.

Ich bin ein Schotte, der JA gestimmt hat und jetzt besoffen in einer Bierlache vor dem Tresen seines Pubs in Cille Bhrìghde an Ear vor sich hin dümpelt.

Ich bin ein abgehalfterter Staatspräsident, der nochmal abgehalfterter Staatspräsident werden will. Ich bin ein neues Betriebs-System, das nicht funktioniert. Ich bin eine Mutter von sieben Kindern, die Monat für Monat für 60.000 Schtutz unterstützt wird. Ich bin ein unschuldiger Spitzensportler, der aus reiner Notwehr vier Mal durch eine Türe geschossen hat. Ich bin ein Komfortveloweg, auf welchem E-Bike-Fahrer nicht mehr verkehren sollen. Ich bin der Torso eines englischen Journalisten, der von einem Sohn Allahs enthauptet worden ist. Ich bin ein gendergemainstreamtes Pissoir in Berlin.

Ich bin die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Ich bin der Dude. Ich bin Lothar Matthäus. Ich bin Helene Fischer.

Ich bin eine teure Justizschlampe, die 1000 Franken kostet.

Ich bin der evangelisch-reformierte Gottesdienst in Adliswil, Beginn Sonntag 10.30 Uhr. Ich bin Moser Walti, 12.3.1926 – 15.9.2014, man gedenke ihm und dem Kinderhilfswerk Beinwil.

Ich bin diese scheiss Kaltfront, die von Westen her heraufzieht, ich bin ein völlig misslungenes Theaterstück, ich bin ein Eigentor.

Da ich aber nicht bloss den Tages-Anzeiger lese, bin ich auch ein Wienerschnitzel mit Pommes und Preiselbeersauce und Salatbouquet Fr. 43.50 Ihr motiviertes Service-Team. Ich bin Made in China/do not bleach. Ich bin My Name is Buddy another record by Ry Cooder. Ich bin Fumer nuit gravement à votre santé et à celle de votre entourage. Ich bin 24 Stunden gültig. Ich bin der Mann ohne Eigenschaften, Ecce homo und das Nagelstudio Mimosia, geöffnet Di bis Sa 11.00 bis 24.00 Uhr.

Und ich bin – und das freut mich natürlich ganz besonders: Ich bin die sechs richtigen Lottozahlen (plus Zusatzzahl).

Das alles also bin ich.

Aber ich bin noch viel mehr. Denn ich lese ja nicht nur den Tages-Anzeiger, sondern auch die Inserate des Tages-Anzeigers im Tages-Anzeiger.

Deshalb bin ich auch ein älterer korpulenter tätowierter Mann, der an einem sonnigen Tag aus einem Parterrefenster seiner Wohnung schaut, einen jüngeren Velofahrer ohne Helm und mit blauem Rucksack vorbeifahren sieht und danach an den Würstlistand um die Ecke geht, um bei einer Stange hell in der Zeitung zu lesen, was er ausser einem älteren tätowierten korpulenten Mann, der am Würstlistand gerade eine Stange hell trinkt und dazu Zeitung liest, sonst noch alles ist.

Helene Fischer, zum Beispiel.

 

 

 

 

 

 

 

 

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Autor: Reinhold Weber

Reklamiker und Texter aus und in Züri, nachdem er gefühlte 20-mal umgezogen ist, u.a. nach Berlin, Düsseldorf, Frankfurt und Wien.

Reduzierte den Smart to the max, machte Media-Markt weniger blöd und blieb beim Tages-Anzeiger dran. Ist Namensgeber und Mitgründer von Blue Balls Music, die das „Blue Balls Festival“ in Luzern veranstaltet.

Verbringt seine Tage völlig unkorrekt und ausgegrenzt als partei- und konfessionsloser, heterosexueller Raucher/Fleischfresser/Nichtjogger/Oekosparlampenhasser. Spielt auf seiner alten Fender Stratocaster zu allem Übel auch noch am liebsten Negermusik.

Mag Texaner wie Billy Gibbons und Kinky Friedman. Ob die allerdings ihn mögen, ist glücklicherweise unbekannt.

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