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It’s a boy!

Mein Freund Stephan hat vor wenigen Tagen einen Sohn geboren. Genauer gesagt, seine Frau. Sie hat die ganze Schwangerschaft mit allem Drum und Dran ertragen müssen. Er hat aber sie ertragen müssen mit allem Drum und Dran, folglich sind vermutlich beide in etwa gleich froh, dass es jetzt vorbei ist. Mit der Schwangerschaft jedenfalls.

Mit allem anderen gehts ja nun erst richtig los. Glaube ich zu wissen, denn ich habe noch nie einen Sohn geboren, respektive eine Frau gehabt, welche selbiges getan hätte. Damit bin ich in dieser Angelegenheit „bloss“ der Theoretiker. Aber was man da so hört.. Phuuu! Nicht, dass ich jetzt so richtig schlimme Sachen gehört hätte, was Kinder angeht – ich treibe mich ja nicht auf Erziehungs-Blogs et cetera rum – aber man hat ja trotzdem ein bisschen eine Ahnung von sowas. Wenn man zum Beispiel mitkriegt, wie Mütter ihre Brüste in Restaurants aufs Tischset legen, um ihre Bälger zu säugen, bloss weil man sie draussen im Freien komisch anschauen würde dabei! Ich schaue die ja nie komisch an. Ich starre ganz normal. So, als wäre das was ganz Normales, was es im Grunde genommen ja auch ist. Früher haben die Frauen schliesslich ihre Brüste auch nicht hinter Büstenhaltern versteckt. Also sehr viel früher, meine ich.

Jetzt geht es allerdings nicht um Brüste, sondern um Stephans Sohn. Der wurde ja nun wahrlich nicht gerade in eine einfache Zeit hineingeboren. Was ihm momentan noch ziemlich wurst ist, weil er noch ganz andere Probleme hat. Erst mal die Augen richtig aufkriegen und gleich wieder schliessen, weils da draussen so VERDAMMT hell ist! Und KALT! Und LAUT! Und überhaupt: Wer sind DIE denn da oben, die mich immer so anstarren, als wäre ich… wäre ich… Keine Ahnung was. Denn es fehlt ihm der Vergleich zwischen… Es fehlt ihm ganz einfach an allem. Ausser an Liebe. Alles andere muss der Kleine erst mal kennenlernen. Seinen ersten Finger, seinen zweiten Finger, seinen dritten… Moment. Was war das vor dem zweiten Finger nochmals? Man stelle sich das vor: Der Junge kennt noch nichts! Glücklicherweise muss er alle diese bunten Dinge um ihn herum nicht auch schon benennen können. Geschweige denn buchstabieren oder Synonyme dafür abrufbar haben. Oder sie in eine andere Sprache übersetzen und geprüft werden, ob er sie richtig übersetzt und bestraft, wenn er sie FALSCH übersetzt! Er kann einfach vor sich hin blubbern und blabbern, und wenn ihm dabei die Spucke zum Mund rausläuft, dann findet Mutti das süss und Stephan auch – solange es nicht über seinem Anzug geschieht. Und alle Unbeteiligten sowieso, weil sie sich nach einer halben Stunde oder nach einem Tag wieder aus dem Staub machen können. Und auch dann nicht da sein müssen, wenn der Wurm die ganze Nacht schreit, weil er die Brust will, oder weil er weiss Gott was will, zum Beispiel einfach schreien.

Und früher oder später wird der Bub an die Oberfläche seiner Obhut gespuckt. Raus in die Welt, in welcher gerade kaum ein Stein auf dem anderen bleibt, Grenzen neu gezogen und wieder überschritten und wieder neu gezogen werden, der Winter immer wärmer wird und der Sommer immer kälter. Und alles im Überfluss vorhanden ist: Besonders Mängel – aber auch gute oder zumindest wirklich sehr gut gemeinte Ratschläge. Von jeder Wand herunter bekommt man die Weisheiten um die Ohren geschlagen. Ob man will oder nicht, ob man sie braucht oder nicht. „Nützts nüüt, so schadts nüüt.“ Ich warte deshalb nicht mit einem Ratschlag auf. Sondern mit einem Wunsch: Stephan, vermittle deinem Sohn Werte! Backe Toast Hawaii mit ihm. Schnitze im Wald einen Haselstecken, lass ihn einen Servelat darauf aufspiessen und ihn den übers Feuer halten. Lass ihn sich die Knie aufschürfen, Dreck essen, frische Milch trinken, eine Holzeisenbahn aufstellen, Geschichten hören, Bücher lesen, ihn sich mit dem Taschenmesser ins Fingerlein schneiden und die Wunde zur Narbe verheilen sehen, Früchte von Bäumen pflücken und Gemüse aus dem Garten ernten, draussen im Zelt schlafen, unter der Bettdecke mit der Taschenlampe spielen, spielen, spielen, SPIELEN! Mit Autos, Indianern, Holzgewehren, spitzen Gegenständen, mit anderen Kindern, im Sandhaufen, im Bach, auf Bäumen, in Maisfeldern… Lass ihn Kaninchen füttern, Hunde streicheln, Katzen sowieso. Lass ihn singen, tanzen, lachen und weinen, tauchen und schaukeln, Teigschüsseln auslecken und sich an Kerzenschein erfreuen. Lass ihn Feuer entfachen, Blumen pflücken, Zäune streichen, Süssigkeiten naschen und auch mal einen Apfel stehlen. Und lass ihn dann aber dafür gerade stehen. Lass ihn Verantwortung übernehmen. Und lass ihm Zeit. Viel Zeit. Und dann, ja, erst dann zeige im ein iPhone.

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Autor: Pete Stiefel

Pete konnte pfeifen, bevor er der gesprochenen Sprache mächtig war – und an seinem ersten Schultag bereits schreiben. Trotzdem ist er da noch einige Jahre hingegangen. Danach schrieb und fotografierte er fürs Forecast Magazin, für Zürichs erstes Partyfoto-Portal stiefel.li, fürs 20 Minuten, MUSIQ, Q-Times, Party News, WORD Magazine, war Chefredaktor vom Heftli, lancierte das Usgang.ch Onlinemagazin – und er textete für Kilchspergers und von Rohrs Late Night Show Black’N’Blond und Giaccobo/Müller. Er trägt (vermutlich) keine Schuld daran, dass es die meisten dieser Formate mittlerweile nicht mehr gibt.

Irgendwann dazwischen gründete er in einer freien Minute seine eigene Kommunikationsagentur reihe13, die unterdessen seit weit über 13 Jahren besteht. Er ist mittlerweile in seiner zweiten Lebenshälfte, Mitinhaber vom Interior Design Laden Harrison Interiors, schrieb unterdessen Pointen für Giacobbo / Müller, Black 'n' Blond (mit Roman Kilchsperger und Chris von Rohr und irgendwann auf dem Planeten Kult gelandet. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein grosser Schritt für Pete.

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Ich bin Helene Fischer. Sagt der Tages-Anzeiger.

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