in

Der erhobene Zeigefinger – Oder: Das Leben als Blog-Post

Kürzlich habe ich mir – auf meinem Velo durch den Regen fahrend, was völlig irrelevant ist, aber trotzdem, da habt Ihr’s – überlegt: Was kann man eigentlich heute noch mit reinem Gewissen machen, ohne dass einem die Hölle heiss gemacht wird?

Diese Frage habe ich mir selber beantwortet, indem ich mir die jeweiligen Aktivitäten als Posts auf meinem Blog vorstellte und mir dann überlegte, was wohl die Reaktionen darauf wären.

Kindern in Afrika helfen. Das könnte ich doch mal machen. Klingt nach sehr reinem Gewissen.

Ich stellte mir also vor, dass ich beschreiben würde, wie ich nach Afrika reise und dort Kindern helfe. Dazu würden sehr viele positive Kommentare kommen, wie zu den meisten meiner Posts. Danke dafür! Immer wieder!

Jedoch auch: „E de Schwiiz hend mer emfall au Problem, wördsch gschiider mol de Chend vor denere eigete Hustör hälfe.“

Und: „Und jetz bisch superhumanitär, nur will’d mal e Wuche es bitz ghulfe häsch? Und dänn a di gross Glogge hänke? Wer würkli hilft, de machts im Stille. Huere Sälbschtdarstellig immer.“

Na gut. Dann halt am Samstag in der Suppenküche aushelfen.

„Super! De Junkies na s’Fueter go hinedriiträge, während z’Afrika Chind verhungered. Nei würkli. Bravo.“

„Klar isch’s wieder a de Langstrass. Chum doch mal inen andere Kanton, det händ d’Lüt au Hilf nötig.“

„OMG! DIE SÄLBSCHTDARSTELLIG!“

Hm. Scheint also auch keine gute Idee zu sein.

Vielleicht Strassenhunde in Spanien entwurmen? Hunde sind tolll!

„AHA! De Hönd chame hälfe aber für d’Mönsche het mer ke Ziit. Do gsehd me mol d’Prioritäte.“

„Es git imfall grösseri Problem als das. Lueg mal z’Syrie und im Irak und in Schiessmichtot und nörgel, nörgel, nörgel…“

„Wow, du bisch ja d’KÖNIGIN VO DE SÄLBSCHTDARSTELLIG!“

Und als ich das alles in meinem Kopf durchgespielt hatte, hatte es mir bereits richtig abgelöscht und ich fühlte mich etwas beelendet davon, dass man nichts mehr machen kann, ohne dass man an den Pranger gestellt, bewertet und auseinander genommen wird. Es frustrierte mich richtiggehend.

Und dann blieb ich plötzlich (noch immer im Regen, übrigens, einfach, dass das nicht vergessen geht) stehen und dachte: Das ist falsch. Und verkehrt.

Ich dachte noch einmal eine Weile nach.

Fazit: Es wird immer Arschlöcher geben, die eine dumme Fresse haben. Es wird immer Menschen geben, die einem zleidwerken und einem ein Scheissgefühl geben wollen. Und ja, auch hier kommt wieder die „negative Abstandsverminderung“ ins Spiel, wobei das Gegenüber einen schlecht macht, um einen zu sich runter zu holen – dies aus Neid oder Frustration.

Schlussendlich kann jeder einfach nur das machen, was er/sie für richtig hält und dann halt versuchen, die Idioten auszublenden, die nicht damit umgehen können, dass jemand anders moralisch besser am Start ist als sie. Ich nehme nämlich nicht an, dass sie alle schon Junkies gefüttert und Hunde entwurmt und Kindern geholfen haben. Oder Junkies entwurmt und Hunde gefüttert. Oder wie auch immer. Es geht schlicht darum, sich in Szene zu setzen, indem man jemand anders abwertet.

Und damit wäre auch der Vorwurf der Selbstdarstellung mit einem Mal ganz schön entkräftigt.

Ahja, und wenn ich grad so schön dran bin: OII MÜETERE, IHR KOTZPOPEL!

Gefällt dir dieser Beitrag?

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Autor: Yonni Meyer

Yonni Meyer (*1982) wuchs dort auf, wo’s mehr Kühe als Menschen gibt. Und das war gut so. Kantonsschule in der Nordschweizer Provinz (Hopp Schafuuse). Studium im Welschland (Sprachen und Psychologie). Umzug an die Zürcher Langstrasse 2011. Seither konstant kulturgeschockt. Ende Juli 2013 Geburt des Facebook-Blogs „Pony M.“
September 2013 Einstieg bei KULT. Ab 2014 Aufbruch in die freelancerische Text-Landschaft der Schweiz. Meyer mag Blues. Meyer mag Kalifornien. Meyer mag Igel. Meyer mag Menschen. Manchmal.

Facebook Profil

Von der Kunst, richtig zu wählen

Muss man haben: ein stilsicheres Auftreten.