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Jugendsprache – wieso reden die so behindert?

Ey! Alte! Bro mann! Shiaaat! De isch voll parat! Hebt Frässi du Opfer! YOLO Alte! Huere Missge!

Seit geraumer Zeit beobachte ich einen wachsenden Trend. Immer wieder lese oder höre ich von Erwachsenen, die sich über Jugendliche beschweren. Oftmals, nachdem sie kurz Zeit mit ihnen verbringen mussten, an irgendwelchen Haltestellen oder bei Fahrten in irgendwelchen öffentlichen Verkehrsmitteln. Man belustigt sich darüber, wie die Jugendlichen reden, was sie sagen und wie sie aussehen dabei. Die Sprache sei verkümmert, niemand könne mehr richtig Deutsch, mitunter dank den Ausländern. Alle seien sie so beschränkt. Eine katastrophale Entwicklung. Kopfschütteln. Und dass sie nur Kurznachrichten schreiben und nur MTV glotzen – darüber darf man sich gar nicht erst auslassen. Aber ihr Kind, nein, ihr Kind werde nie so, das würden sie niemals zulassen.
Da frage ich mich, wie viele von Ihnen haben denn einen geigenspielenden, bücherverschlingenden, balletttanzenden, klassenbesten Gymischüler zu Hause, der sich ausser für seine Familie (und natürlich für Literatur), nur noch für Mozart interessiert?

Schon der alte Grieche Sokrates soll geklagt haben: „Die Jugend liebt heute den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt mehr vor älteren Leuten und diskutiert, wo sie arbeiten sollte. Die Jugend steht nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widerspricht den Eltern und tyrannisiert die Lehrer.“ Die Jugend war also schon vor tausenden von Jahren schlimmer denn je.

Wenn ich zurück denke, sehe ich mich, wie ich überschminkt zur Schule ging. In viel zu kurzen Klamotten, in Hüftjeans, die nicht anders können, als die Arschritze zur Schau zu stellen. Wie ich in Parfüm badete, sodass es wahrscheinlich jedem in meiner Umgebung beim Vorbeigehen ein Brennen in den Augen verursacht hat. Wie ich nur über Jungs redete und mit vierzehn Stammgast im Kaufleuten war. Wie ich mich im Solarium geschmort und meine Haare gebleicht habe, bis ich aussah wie Donatella Versace. Bauchfrei (mit Nabelpiercing versteht sich), auf dem Boden sitzend, kiffend, SMS schreibend und schreie: „Hey du huere ghirnamputierti Missgeburt!” Heute bin ich – wer hätte es gedacht – nicht drogensüchtig oder warte gerade in der Sexbox auf Kunden.
Die Sprache der Jugend ist gesund, denn sie symbolisiert Zusammenhalt und Zugehörigkeit zu einer Gruppe sowie die Abgrenzung von Erwachsenen. Sie zeigt, dass man kein Kind mehr ist und sich nun mit pubertären Belangen identifiziert. Jugendliche brauchen ihren Slang um sich wohlzufühlen.
Was hinzugekommen ist, ist der stärkere Akzent sowie mehr Aggression im Ausdruck. Diesen Wandel kann man zweifelslos an den Ausländern aufhängen. Viele Fremdsprachen sind im alltäglichen Umgang offensiv und tönen übersetzt, für freundliche Schweizer Ohren, unglaublich angriffslustig. Man denke nur an Englischsprechende: “Fucking awesome! Fuck me! What the fuck! Are you fucking serious? “ Fluchen in diesem Fall, wird als verstärkendes Element benutzt. Egal ob damit Positives oder Negatives zum Ausdruck gebracht wird: Ich gebe meinen Emotionen Raum und lasse sie abfliessen, statt sie in mich hineinzufressen. Verbal Dampf ablassen ist gemäss Psychologen sehr gesund und lässt uns länger leben. Genauso wie ich mein Fluchen in jedem Satz ablegte mit dem Erwachsenwerden, so taten es viele andere auch. Spätestens dann, wenn sie Kinder bekamen und in deren Gegenwart anständig bleiben wollten.
Man will durch die Sprache zeigen, dass man unnahbar ist. Erwachsen, selbstsicher, stark. Dies erklärt, wieso Jugendliche so tönen, als wären sie Gangmitglieder und hätten gerade jemanden bei einem Drive By erschossen. Ob sie später allerdings tatsächlich kriminell werden, lässt sich nicht an ihrem mündlichen Ausdruck festmachen.
Irgendwann kommt die Pubertät, dann wird die Sprache eventuell unanständig und hässlich. Bei Ihrem Kind nicht? Woher wissen sie, dass ihr Schatz in der Freizeit mit seinen Freunden nicht genau so spricht, wie sie es nie wollten?
Jugendliche wissen ihre Sprache am Arbeitsplatz und zu Hause sehr wohl umzustellen. Man spricht ja nur zu identifikationszwecken Slang. Mit dem Chef und dem Mami, will man sich zu diesem Zeitpunkt des Heranwachsens absolut nicht vergleichen.

Linguisten sind der Auffassung, dass es, den Genitiv in 50 Jahren nicht mehr geben wird. Satt: Ich bin der Bruder seines Onkels, sagt man: Ich bin der Bruder von seinem Onkel. Weil es einfacher ist. (Buchtipp: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod) Die Sprache hat sich seit ihrer Entstehung kontinuierlich verändert. Von verkümmern kann also schlecht die Rede sein. Oder wie erklären Sie sich, dass wir Shakespeare nur mit Mühen verstehen? Sprachwandel fand schon immer statt.

Wenn ich im Zug sitze und den Jungen zuhöre, sauge ich ihre Sprache auf wie ein Schwamm. Ich lerne neue Wörter, Zusammenhänge, bemerke neue Trends. Zugegeben, manchmal könnte ich weinen, weil mein geliebtes Deutsch durch den Dreck gezogen wird. Doch ich muss den Sprachwandel akzeptieren. Bei manchen Themen wird es auch mir zu viel und ich habe Angst, ein paar Hirnzellen zu verlieren. Doch ich weiss, ich war genauso. Ganz genau so. Nur weil ich aus meiner Pubertät hinausgewachsen bin, habe ich kein Recht darauf, Jugendliche in ihrem Menschsein zu degradieren.

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Autor: Jelena Keller

Jelena ist von Beruf Journalistin und Sprachlehrerin, Schweizerin serbischer Abstammung. Sie mag lange Texte und langes Grübeln. Sie hat sich daran gewöhnt zu viel zu denken und zu wenig zu schlafen. Wenn sie gar kein Auge zumachen konnte sieht sie die Welt nüchtern und in einem Grauton. Wenn sie ausgeschlafen hat, wandert sie mit ihrem Hund auf grüne Berge, durch bunte Blumenwiesen und rosa Weizenfelder. Schreibt auch mal Gedichte und Kurzgeschichten, reist am liebsten um die Welt und probiert Neues aus. Sie meint tatsächlich, dass sich alle Probleme lösen liessen, wenn man sich nur ab und zu in die Lage des Gegenübers versetzen könnte. Walk in my shoes und so. Trotzdem versteht sie manche Menschen nicht. Die, die sich vor dem Leben und dem Tod fürchten und andere verurteilen. Aber von den meisten anderen denkt sie, sie seien alle Freunde, die sie bloss noch nicht kennengelernt hat.

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