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ALLE LIEBEN HEUTE DIE ZUKUNFT! ALLE SCHEISSEN AUF DIE GEGENWART…

Zweifelsohne: Die Zukunft wird vorbereitet. Allüberall. Auf sämtlichen Regie-Ebenen. In Amtstuben, auf Reissbrettern, in der Schule, in Planungszirkeln, bei der Eisenbahn. Da laufen Analysen, Prozesse, Vorprojekte, Projekte. Da dreht sich das fröhliche Karussel der professionellen Prognostizierenden, Prozessberatenden, Projektbegleitenden munter um sich selbst. Und die Fähnchen – an jenen Stangen befestigt, die die bunten Holzpferdchen am ebenso farbenfrohen Zeltdach unseres Karussells fixieren – flattern dazu. Im Winde der Nachhaltigkeit.

Es könnte einem gar schwindlig werden!

30 Millionen Franken für die Vorphase der Vorbereitungsphase eines Vorprojekts? Kein Problem! 25’000 Franken Wochenhonorar für einen externen Beratenden, der einen Empowerment-Workshop anleitet, welcher die Weichen für die Implementierung der Grundlagen eines Optimierungsprozesses stellen soll? Kein Problem! 5000 Franken Tageshonorar pro Kopf für die externen Prozessbegleitenden, die unterwegs den Nachhaltigkeitsgedanken sicherstellen? Aber gern! Die Leute sind das Geld ja Wert! Schliesslich habe sie alle Meisterdiplome vorzuweisen.

Von der Hogwash School of Witchcraft and WiXardry®.

Deshalb sind sie Fachhexpertende für jeden Fall. Sie führen die Stadtplanung in eine güldene Zukunft, aber auch die Gummibärchen-Fabrik oder das Sozialamt oder die Manufaktur für sexuelle Hilfsmittel. Sie haben zwar weder von Stadtplänen eine Ahnung, noch von Speisegummi, besonders sozial sind sie auch nicht – und auf dem sexuellen Feld fühlen sie sich ein kleines bisschen unwohl…

Aaaaaber: Sie halten das geheimnisvolle Wirken und Weben der Strukturen hinter den Dingen fest im Griff, indem sie fleissig Methoden auswendig gelernt haben, mit denen man alle Metiers in eine gloriose Zukunft führen kann. Selbst dann, wenn man von der Welt der Materie keinen blassen Schimmer hat!

Waaaas? Die erbärmliche Kreatur dort drüben, ja die hinkende, mit dem Stock, die auch noch die ganze Zeit hustet (hat gewiss ein Leben lang geraucht. Schande!), bezieht offenbar hundert Franken überschüssige Sozialhilfe im Monat?! Sauerei. Sofort abziehen. 300 Franken müssen für 30 oder 31 Tage reichen!

Waaaas? Das Team des Jugendhauses am Stadtrand, in dem 200 Kids aus Unterschichts-Familien, die sonst auf der Strasse rumlungern würden, Tag für Tag willkommen sind, arbeitet nicht exakt nach den amtlich gut geheissenen Grundsätzen der kohäsiven soziokulturellen Administration?! Sofort schliessen! Dieser Betrieb kostet ja über 200’000 Franken im Jahr!

Waaaas? Dieses Pflegeheim beschäftigt Pflegehilfen, die durch das Netz der umfassenden horizontalen, vertikalen sowie vierdimensionalen Qualitätskontrolle gefallen sind?! Und die kosten erst noch ganze 20 Franken brutto in der Stunde? Umgehend entlassen, die Leute!

Aber; der Huster mit dem Stock ist doch wirklich ein armer Kerl, der ohne Hilfe auf offener Strasse eingehen würde, unter unser aller Augen, wie die Kräuter auf dem Fenstersims im weissen Winter… Aber; das Team des Jugendhauses kümmert sich prima um emotional ausgehungerte Kids, die ohne Zuwendung wohl in der Öffentlichkeit Randale machen würden… Aber; die Patienten lieben diese Pflegehilfen, vertrauen ihnen….

Ach hören sie mir doch auf. Das sind alles nur historisch gewachsene Probleme, Einrichtungen, Figuren. Die werden in unserer gloriosen Zukunft keinen Platz mehr haben. Bevor wir die Zukunft optimal vergolden können, müssen wir mit den alten Klamotten aufräumen. Wir brauchen klare Strukturen, sonst kommt es nicht gut, sonst steht die Zukunftsplanung auf wackligen Beinen und die Nachhaltigkeit ist nicht gesichert!!!

Verantwortung? Berufserfahrung? Herzblut? Kommen Sie mir nicht mit solchen Vagheiten. Das ist doch alles Schnee von gestern. Wir brauchen in unserer heutigen, herausforderungsreichen Zeit messbare Qualitätsnormen. Wir brauchen echte Qualifikationen, schwarz und weiss, auf echtem Papier! Und Studien von echten externen Fach-Hexperten, von Absolventen der Hogwash School of Witchcraft and WiXardry®!

Wir wollen die totale Optimierung!

Aber zuerst brauchen wir eine neue Bushaltestelle in der Innenstadt, dafür müssen wir zunächst die Planungsgrundlagen schaffen, einen Architektur-Wettbewerb ausschreiben und den Ausführungsprozess den Qualitätsnormen nach “Zertifikat P.UBU 56B679Zc9%8912ON14562829” anpassen. Kostenpukt: 28’000’000 Franken. Ein Schnäppchen!

Ach, ich sehe es schon so schön leuchten…

…das Gold der Zukunft.

Sie wollen etwas von einem Amt? Etwas, das Ihnen bürgerrechtlich, steuerrechtlich, subventionsrechtlich verbrieft ist? Sie rufen also dort an. Nach tagelangem Warten auf Rückruf meldet sich bei Ihnen der Assistent des Assistenten der zuständigen tausendfach qualifizierten und zusatzqualifizierten Fachperson, die natürlich nie mit einfachen Leuten telefoniert. Weil sie derart vergeistigt ist. Sie bringen nun ihr Anliegen vor. Die Antwort, nicht unhöflich, leicht gelangweilt vielleicht:

„Ja. Das ist ein legitimes Anliegen. Leider können wir ihm momentan jedoch nicht entsprechen. Wissen Sie, wir haben in diesem Bereich gerade eine externe Studie in Auftrag gegeben. Darauf folgt dann eine Planungsphase, die in einen umfassenden Organisationsentwicklungs-Prozess mündet, der es uns ermöglichen wird, die Zukunft zentimeterweise auf solide Beine zu stellen. Aber zuvor müssen noch einige Meilensteine gesetzt werden! Sie dürfen uns gerne in fünf Jahren wieder anrufen, wenn unsere Fünfjahres-Planung solide Tatsachen geschaffen hat. Dann werden wir Ihnen auch nachhaltig helfen können. Auf Wiederhören.“

Fünf Jahre später rufen Sie wieder dieses Amt an. Die gleiche Stimme am anderen Ende. Vielleicht noch ein bisschen gelangweilter:

„Hallo. Sie schon wieder. Mit Ihrem legitimen Anliegen. Ah, das war bereits vor fünf Jahren, wie die Zeit vergeht. Wir können ihrem Anliegen leider immer noch nicht entsprechen. Wir befinden uns gerade in einer internen Evaluation, die von einer externen Beratungsfirma geleitet wird. Der besten Beratungsfirma der Welt. Wissen Sie, nach der Organisationsentwicklung durften wir wahrnehmen, dass wir vieles gelernt haben. Neue Tatsachen sind dabei ans Licht gekommen. Diese Tatsachen machen es nun notwendig, eine neue Studie von Extern anfertigen zu lassen, die einen weiteren zielführenden Organisationsentwicklungs-Prozess ermöglicht. Schliesslich wollen wir Ihnen künftig ein nachhaltig verbessertes Angebot präsentieren! Ein echtes Zukunftsangebot. Wir werden die Resultate unseres neuen Organisationsentwicklungs-Prozesses zeitnah umsetzen, komplett mit soliden Meilensteinen. Bitte rufen sie uns in fünf Jahren nochmals an. Auf Wiederhören.“

Ist es nicht wunderbar, wie wir heutzutage alle an der goldenen Zukunft arbeiten? Einer paradiesischen Zukunft. Nachhaltig paradiesisch!!!

Wir schmeissen aberhunderte von Millionen in Stadtplanungskonzepte. Doch der Müll wird nicht mehr abgeholt. Wir stecken hunderte von Millionen in Nah- und Fernverkehrskonzepte. Doch Sie stecken Tag für Tag im Autostau – oder wie eine Büchsensardine in einem überfüllten, verspäteten Zug; die Fahrkartenpreise werden nächstes Jahr übrigens um 25 Prozent erhöht, die Bahn braucht schliesslich Mittel für die Zukunftsplanung. Wir hauen Dutzende von Millionen in Sicherheitskonzepte. Doch Sie werden auf der Strasse überfallen und zusammengeschlagen, während die Polizeienden gerade an einem Workshop sind, an dem sie lernen, korrekt zwischen Edelmigranten und Elendsmigranten zu differenzieren – und /–Innen natürlich; im Rahmen von flächendeckenden Grosseinsätzen. Alle lieben heute die Zukunft! Alle verachten die Gegenwart!

Denn die Gegenwart ist doch ein Scheisshaufen…

…und die Zukunft sei der Schatz im Silbersee.

Die Politik, die Hochfinanz, die grossmächtige Industrie, all diese Lenkerinnen und Lenker der materiellen Dinge, all die Signalstellerinnen und – steller haben die Gegenwart längst aufgegeben. Nasenrümpfend beseitigen sie das historisch Gewachsene und ersetzen es durch gutgemischtes Durchstrukturiertes aus der Küche der Zauberschule. Denn heute wollen alle wie wild an Strukturen herumschrauben, von Inhalten will keine Sau mehr etwas wissen. Da müsste man am Ende ja noch Verantwortung übernehmen. Das kann man Leuten in führenden Positionen doch weiss Gott nicht zumuten, dafür sind die viel zu gut bezahlt!

Vor diesem Hintergrund muss einfach alles perfekt werden. Oder etwa nicht?

Nein! Ich muss Sie leider enttäuschen. Wer die Gegenwart zur Müllhalde verkommen lässt, kann auf deren Basis leider keine köstliche Zukunftszwiebelsuppe ansetzen. Wer das Heute im Treibsand versinken lässt, wird kein schönes Morgen mehr ernten können. Wer sich eine Überdosis Optimierung in die Venen schiesst, wird eines Tages mausetot im Scheisshaus des Universums liegen bleiben.

Eure Meilensteine werden Eure Grabsteine sein!!!

Es ist ganz einfach. Wenn wir es nicht fertigbringen, die Gegenwart einigermassen menschentauglich und menschenwürdig zu managen, wird die Zukunft schrecklich sein. Weil unter dem Gewicht der ehrgeizigen Imagination unserer Zukunftsplanerinnen und -planer das Reale stetig nachgibt – es knirscht schon böse im Gebälk – und mit der Zeit unweigerlich zusammenbrechen wird. Unreparierbar! Und zwar nachhaltig…

Das historisch Gewachsene ist, eben weil es gewachsen ist, oft genug stärker, wirksamer und ausdauernder als die meisten neuen Rezept aus der Fachhexenküche. Das historisch Gewachsene sollten wir in den meisten Fällen hegen, pflegen und – wenn notwendig – behutsam verbessern. Am besten unter Anwendung inhaltlicher Kenntnisse und Erfahrungen. Wenn wir einfach alles davon übermütig in den Papierkorb schmeissen und löschen, löschen wir uns damit letztlich wohl selber aus. Und es wäre wohl angemessen, in die Lebenden zu investieren. Wenn es denen nämlich dreckig geht, ist das nicht gerade eine gute Grundlage für die Kommenden.

Die greifbare Gegenwart zu bewältigen, bedeutet unaufgeregte Knochenarbeit; wilde Zukunftsträume zu verwalten, bedeutet fiebernde Schwelgerei.

Und der Zeitgeist der Mächtigen hat sich für das Fieber entschieden. Perverserweise, ohne Not, aus Langeweile, aus Überdruss halt. Weil man doch in den besseren Kreisen unseres scheinbar demokratischen und egalitären Systems ach so überaus weise und wichtig ist.

Vor allem, wenn man ein Diplom der Hogwash School of Witchcraft and WiXardry® im Bilderrahmen aus Mahagoni hängen hat! (- Oder war es Mahagonny?)

Und sollte es so weitergehen, können wir froh sein, wenn wir überhaupt noch eine Zukunft erleben…

…im schlimmsten Fall müssen wir uns nämlich mit einer Kuhzunft zufrieden geben. Also lassen Sie sich schon mal Fell und Hörner wachsen!

Letztere können wir dann ja noch kupieren. Bevor wir Sie an die Melkmaschine anschliessen…

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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