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Ein Tag im Leben von: Bharat M., Spam Mail Autor

Wir bekommen täglich dutzende von Werbemails, ohne dass wir danach gefragt hätten. Wo kommen sie her? Wer steckt dahinter? Wir haben uns auf den Weg gemacht und jemanden gefunden, der bereit war Auskunft zu geben. Die Reise führte nach Indien.

Ich befinde mich in einem kleinen Strassencafé namens Amit (Amit bedeutet im Indischen ‚der Grenzenlose‘), unweit der Nizamuddin Station, einem der vier Bahnhöfe in Dehli. Hier sitze ich schon geschlagene drei Stunden, weil mir der Rikshafahrer, in dessen wackeliges Gefährt ich am Flughafen gestiegen bin, offenbart hat, dass mein Hotel abgebrannt sei. Seltsamerweise noch bevor ich ihm Name und Adresse gesagt hatte – aber eine Widerrede war zwecklos. Sein Angebot, mich stattdessen in eine andere Herberge zu bringen, habe ich dann allerdings abgelehnt und ihn gebeten mich in einem Lokal in der Nähe des besagten Bahnhofes abzusetzen, dem Ort an dem ich mich für heute Vormittag mit Bharat M. verabredet habe. Dass auch der Besitzer des Amit ein Verwandter meines grimmigen Chauffeurs sein muss, war mir schnuppe. Nach dem nicht überaus angenehmen Flug, der hier in Indien mitten in der Nacht gelandet ist und den nicht enden wollenden Einreiseformalitäten musste ich mich einfach irgendwo hinsetzen und Kaffee trinken. Der riecht hier zwar, wie alles andere auch, nach Curry, was aber immer noch besser ist als der Mief der Strasse. Einige Chapatis und einen grossen Blechtopf mit Dhal später trifft kurz nach neun Uhr meine Verabredung ein, ich habe ihm in der Zwischenzeit meinen Standort mitgeteilt, und er willigte ein, unser Gespräch hier zu führen.

Herr M., ich begrüsse Sie und bedanke mich, dass Sie sich Zeit für ein Interview genommen haben. Wie wünschen Sie, in meinem Artikel genannt zu werden? Wie Sie per E-Mail ja sagten, möchten Sie unter keinen Umständen wiedererkannt werden.

Bharat M.: Sir Spamalot.

Erleichtert, dass mir da offenbar jemand mit Witz gegenübersitzt, willige ich ein. Zumindest teilweise: Ist es okay, wenn ich Sie Sir nenne? Dieser volle Künstlername scheint mir doch etwas gar lang.

Sir Spamalot: In Ordnung.

Sie sind Autor von Spam Mails, welche täglich Abermillionen von E-Mail Inboxen füllen. Haben Sie nicht das Gefühl, Unrecht zu tun? Wollen Sie deshalb nicht mit Ihrem richtigen Namen in der Öffentlichkeit erscheinen?

Sir: Meine Familie glaubt, ich arbeite als Postbote. Es wäre mir unangenehm, wenn die Wahrheit ans Tageslicht kommen würde.

Das leuchtet ein. Aber nochmals: Haben Sie kein schlechtes Gewissen wegen Ihrer Arbeit? Immerhin sorgen Sie weltweit für ziemlichen Ärger mit Ihren E-Mails. 

Sir: Das sehe ich nicht so. Ich helfe Menschen bei der Lösung ihrer Probleme. Was soll daran unrecht sein?

Wie jetzt? Sie glauben, mit dieser Mailflut jemandem zu helfen – ausser sich selbst und Ihren Auftraggebern?

Sir: Na, klar! Männern mit kleinen Schwänzen beispielsweise. Denen helfe ich, indem ich ihnen Penisvergrösserungen mittels operativem Eingriff vermittle. Oder mit einer einfachen Penispumpe.

Das geht mir nun schon etwas zu sehr ins Detail. Wie sieht ein typischer Tag im Leben eines Spam Autoren aus?

Sir: Daran ist nichts aussergewöhnlich. Üblicherweise stehe ich um fünf Uhr auf. Während meine Familie noch schläft, koche ich Tee und trinke meine erste Tasse mit einem Schuss Milch. Dazu gibts Naan und Gemüsecurry vom Vorabend, und ich lese Zeitung. In der Küche liegen meistens noch einige Blätter herum, in der meine Frau Früchte oder Gemüse vom Markt nachhause gebracht hat. Wenn Hühnchen drin war, mag ich das nicht so sehr. Oft ist das Papier dann fettig, und man kann kaum einen Buchstaben erkennen. So erfahre ich, was in der Welt passiert. Manchmal sinds halt bloss Seiten mit Inseraten. Aber die lese ich trotzdem. Oder ich schaue mir die Bilder an. Und wenns mal kein Zeitungspapier im Haus hat, oder ich die selben Neuigkeiten schon 3-4x gelesen habe, lese ich Texte auf Kartonschachteln oder Shampooflaschen. Lesen ist wichtig, lesen bildet. Das hat mir meine Grossmutter beigebracht.

Okay. Und dann gehen Sie zur Arbeit? Wo arbeiten Sie?

Sir: Ja, anschliessend gehe ich zu Fuss zur Arbeit. Ich möchte mir gerne ein Fahrrad kaufen, aber dazu reicht das Geld noch nicht. So gehe ich eine halbe Stunde, bis ich dann im Internetcafé eines Cousins meinen Arbeitsplatz beziehe. Dort richte ich mich zusammen mit einigen anderen Autoren ein und informiere mich im Internet darüber, was die Menschen aktuell für Bedürfnisse haben. Der Mensch eilt immer seinen Bedürfnissen hinterher. Und das machen wir uns zunutze.

Wir?

Sir: Meine Auftraggeber und ich.

Was sind denn zum Beispiel aktuelle Themen, die der Menschheit unter den Nägeln brennen? Nebst Penisverlängerungen, Viagra Generika und was sonst noch jedes Kind so kennt?

Sir: Ebola und iPhone 6 beispielsweise. Ein iPhone 6 will jeder und Ebola keiner. Darauf lässt sich aufbauen. Am Ebola-Virus will sich keiner die Finger schmutzig machen. Jeder hat Angst davor angesteckt zu werden. Lieber bezahlt man da ein paar Dollar, damit das andere für einen tun.

Spendenaufrufe zum Beispiel?

Sir: Genau.

Und diese Spenden landen auch an ihrem Bestimmungsort? 

Sir: Teilweise… Ein Teil geht an meine Familie und an mein Fahrrad. Ein Teil an meinen Auftraggeber, ein Teil an PayPal, ein Teil an eine Organisation, ein Teil an die Regierung…

Und ein Teil an die Ebola-Prävention?

Sir: Möglicherweise.

Das ist Betrug!

Sir: Wie mans nennt. Ich erledige einfach meinen Job.

Können Sie weitere Beispiele nennen, woran Sie gerade schreiben?

Sir: Online Casinos, Darmflora, Escort Services, Cigarren, Fischer-Ausrüstungen, Kontakte zu Spermaschluckerinnen…

Das tönt ja ganz danach, als ob Ihre Leserschaft fast ausschliesslich aus Männern bestehen würde. Bekommen Frauen keine Spam Mails?

Sir: Das ist in der Tat so. Frauen klicken weniger solche Angebote im Internet an. Sie fallen dafür auf andere Angebote herein. Und auf Heiratsschwindler.

Sie texten ja nicht auf Indisch, sondern auf Englisch nebst anderen Sprachen auch auf Deutsch. Oder so etwas Ähnlichem wie Deutsch. Das klingt dann so: 

„Hallo, wie Sie wissen, bin ich ein Mann, der sein Ohr an den Boden hält fest. Es hat eine Menge Hype um OptioNavigator und die neue Software, Nach einer der Beta-Tester, kann ich offiziell sagen, dass sie es bekommen haben vor Ort auf. Zum Glück für Sie sie jetzt geben sie kostenlos an eine ausgewählte Gruppe von Menschen.“ 

Wer versteht sowas – und wer fällt dann auch noch auf ein solches „Angebot“ herein?

Sir: Sie müssen wissen, meine Texte zielen nicht auf die Intelligentesten der Gesellschaft. Viel eher auf die intellektuelle Unterschicht, um es nett auszudrücken. Die Leute mit geringer Bildung und dafür umso grösserer Begeisterungsfähigkeit. Wenns bunt ist, und wenn ihnen Glück versprochen wird, dann ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass sie das Angebot anklicken. Sie werden auch kaum etwas unternehmen, wenn investiertes Geld nicht den gewünschten Effekt bringt. Bei gescheiten Menschen hätten meine Auftraggeber hinterher bloss Ärger am Hals.

Sir, ich bedanke mich für dieses interessante Gespräch und den Einblick in eine bisher unbekannte Berufsgattung. 

Sir: Eine Bitte hätte ich noch. Könnten Sie mir die E-Mail Adressen Ihrer Redaktionskollegen angeben? Ich würde ihnen gerne zu Weihnachten eine Karte senden.

(Dieses Interview wurde auf Indisch geführt und anschliessend sinngemäss ins Deutsche übersetzt.)

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Autor: Pete Stiefel

Pete konnte pfeifen, bevor er der gesprochenen Sprache mächtig war – und an seinem ersten Schultag bereits schreiben. Trotzdem ist er da noch einige Jahre hingegangen. Danach schrieb und fotografierte er fürs Forecast Magazin, für Zürichs erstes Partyfoto-Portal stiefel.li, fürs 20 Minuten, MUSIQ, Q-Times, Party News, WORD Magazine, war Chefredaktor vom Heftli, lancierte das Usgang.ch Onlinemagazin – und er textete für Kilchspergers und von Rohrs Late Night Show Black’N’Blond und Giaccobo/Müller. Er trägt (vermutlich) keine Schuld daran, dass es die meisten dieser Formate mittlerweile nicht mehr gibt.

Irgendwann dazwischen gründete er in einer freien Minute seine eigene Kommunikationsagentur reihe13, die unterdessen seit weit über 13 Jahren besteht. Er ist mittlerweile in seiner zweiten Lebenshälfte, Mitinhaber vom Interior Design Laden Harrison Interiors, schrieb unterdessen Pointen für Giacobbo / Müller, Black 'n' Blond (mit Roman Kilchsperger und Chris von Rohr und irgendwann auf dem Planeten Kult gelandet. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein grosser Schritt für Pete.

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