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Ein Mittagessen mit Christof Moser

Das zweitletzte Interview aus der Reihe „Rockstars des Alltags“ kommt – welch Überraschung – aus der Brasserie Lipp in Zürich. Wie immer. Weil die Moules&Frites da Kult sind. Die haben wir dann auch genommen. Gegessen hab ich mit Christof Moser. Indirekt mit Gery Müller also. Aber das habe ich erfolgreich ausgeblendet. Schliesslich habe ich einen der hoffnungsvollsten Journalisten des Landes zu Tisch gebeten, und nicht einer dieser … dann haben wir noch kurz die Ecopop-Initiative gestreift, und zum Schluss hatte ich das Gefühl, er hätte mich interviewt und nicht ich ihn, aber das passiert noch schnell, wenn man ein Interview mit einem Journi macht. Aber egal, Essen ist da.

 

Christof: … wenn wir jetzt noch schnell Ecopop fertig machen, da waren die 90er, happy times, die Geschichte war zu Ende, alles war gut, dann kam 9/11 und die ganze Welt wurde neu schattiert … die Leute die ich kenne, die jetzt da für diese Initiative sind, Linke …

Rainer: Linke sind für Ecopop? Wieso?

Ja so “Antiwachstum” oder “Der Wirtschafts mal eins reinbrennen” oder so, aber ich mein, diese Leute, das sind alles junge Leute, die hatten die 80er, 90er, es ging immer nur aufwärts, und jetzt in diesem Wohlstand steckenbleiben in den Vororten und denken, dass jetzt alles anders laufen müsse und man stoppen müsse, das geht mir schon auf den Sack.  Schliesslich ist es unsere Generation, die in die Zukunft gehen muss …

… ja das hör ich immer wieder, aber die ältere Generation hat auch eine Zukunft,, die ist vielleicht nicht mehr so lang, aber trotzdem, sie wird stattfinden. Man ruft immer so schnell nach den Jungen, dabei machen die Jungen einfach die gleichen Fehler wie die Alten nochmals, einfach anders. 

Das ist ja eins der grossen Probleme des Journalismus, dass die alten Kämpen nicht mehr dabei sind, die wurden alle ausrangiert, weil sie zu teuer waren, und jetzt sind die ganzen Newsrooms voll von …

… nur schon, dass es Newsrooms überhaupt gibt ist eine Bankrotterklärung.

Gut, davon kommen sie bereits wieder weg, nachdem man für Millionen welche eingerichtet hat.

Ich mein, da streitet man hier unten immer links gegen rechts und rechts gegen links, ich sag immer, hört auf mit diesem Scheiss, das Problem ist nicht links oder rechts, das Problem ist, das heute die Regierung, die Medien und die Konzerne auf der einen Seite stehen und das Volk auf der anderen. Die Medien sind nicht mehr die Kraft, die die Regierung kontrolliert. Kopp hatte ihrem Mann telefoniert und musste gehen. Der amerikanische Präsident hat die Welt angelogen und in einen Krieg gestürzt und es passierte nichts. Da fragt man sich schon, wieso man seine Parkbusse bezahlen soll, wenn man nicht mal mehr für einen Krieg zur Verantwortung gezogen wird. 

Die Frage ist doch, was der Grund dafür ist, dass die Medien ihre Rollen nicht mehr wahrnehmen können. Ich hab das ja selber erlebt als Bundeshausjournalist, wie in den letzten zwölf Jahren in der Bundesverwaltung diese PR-Strukturen hochgezogen wurden. Ich kann heute nicht mehr mit einem Bundesrat am Rande der Arena ein paar Worte wechseln, da ist sofort ein PR-Mann oder eine PR-Frau da und drängt einen weg. Das ist auch eine Entfremdung, man kann kaum mehr mit ihnen in Dialog treten, ich mein, was macht ein Journi? Er stellt Fragen, oder?

Ich finde sowieso, dass die Politik völlig überschätzt wird. Ich würde nie ein Interview mit einem Politiker machen wollen, was will der denn schon erzählen?

Ich hab ja erzählt, ich arbeite 50%, das heisst, ich versuche also dem, was wir jetzt die ganze Zeit diskutiert haben, dem konventionellen Journalismus, dieser News-Getriebenheit, dem Wandel zur industriellen Herstellung, dass ich mich zu 50% aus diesem System herausnehme, um meine eigenen Sachen zu machen.

Könntest ja auch einfach halbtags arbeiten. Nur am Morgen oder so.

Nein, ich mach’s am Stück, weil wenn ich mich dann in eine andere Geschichte hineinbegebe, also zum Beispiel die Istanbul-Szene anschauen gehe, sie mit der Schweiz vergleiche, was läuft da anders, zum Beispiel die ganze Gezi-Park-Sache, das sind sehr ähnliche Themen, die wir hier auch haben. Natürlich kommt dort der Erdogan mit seiner streng islamischen Haltung, wo die Leute kein Bier mehr kaufen können Abends, wo Clubs zugemacht werden, aber es hat daneben hat es einen ganz klassischen Anteil wie hier auch, also zum Beispiel die Kommerzialisierung, das Wegbrennen der Subkultur, das sind sehr ähnliche Mechanismen, und das anzuschauen, da bin ich dann zwei Wochen lang dort in dieser Szene, treffe Leute, bin unterwegs, auch im Nachtleben, spüre, was die Leute spüren, und dann schreibe ich darüber, das ist eigentlich meine Art von Journalismus, das liebe ich.

Und die anderen zwei Wochen arbeitest Du, um die Miete bezahlen zu können.

Ja.

Und die Geschichte aus Istanbul, die publizierst Du dann auch?

Ja, das war jetzt grad die Titelgeschichte vom Surprise.

Du verschenkst sie also.

Ja fast, für fünhundert Stutz. „Und plötzlich sind wir Feinde“ war der Titel. Die Jungen merken ja plötzlich – und das hat auch mit dem Überwachungsstaat zu tun, das haben wir hier ja auch … Das wollte ich vorhin ja noch sagen, ich bin ja ein 90er-Kind, da war der Staat kein Feindbild, der Staat hat weggeschaut, als es die Hanfläden gab, die Streetparade kam auf, eben, Happy-Times halt, das hat sich natürlich geändert, spätestens seit wir wissen, dass wir gezielt überwacht werden musst Du heute – ob Du links bist oder rechts – auf jeden Fall Regierungskritiker sein und auf jeden Fall in die Opposition gehen, da gibt’s gar nichts anderes. Also wer heute zu mir kommt und sagt, der Staat sei der Papa, der für einen schaut …

Ja, das ist ja wohl Geschichte …

… und das führt mich zum Wolff, ich hatte letzte Woche ein Interview mit dem Wolff, ich fands ja noch interessant, weil es ist ja eigentlich völlig egal, ob sieben FDPler die Stadt regieren oder sieben Linke oder sieben AL, es ist immer genau gleich, die Alkis werden immer vertrieben in der Bäcki und soweiter, es ändert sich ja nicht wirklich etwas, und das wollte ich von ihm wissen, was er eigentlich in diese Regierung einbringe, was denn nun eingentlich anders sei.

Und was sagt er?

Das ist ja das, was Du vorhin gesagt hast, dass die Politiker sich in das System einfügen, sie haben ja gar keine andere Möglichkeit. Jetzt kann man sagen, dass sei positiv, weil es letztlich alle auf eine ähnliche Handlungsebene einschwört …

Was ist daran denn positiv?

Stabilität. Wenn Du dieses System gut findest, dann ist Stabilität einer der grössten Werte. Vielleicht geht’s der Schweiz drum ja so gut, weil wir ein so stabiles System haben, weil wir nicht Regierung und Opposition im klassischen Sinn haben, die alle vier Jahre wechseln.

Ist jetzt aber ein bisschen schöngeistig, oder? Weil wir ein stabiles System haben, geht es uns gut? Ich sage, es geht uns gut, weil wir einen zweiten Weltkrieg hatten und alle ihre Kohle hier in Sicherheit gebracht haben und wir uns danach aufs Bankgeheimnis berufen haben und die Kohle nicht mehr rausgerückt haben.

Nicht dass Du mich jetzt falsch verstehst, ich finde das System nicht per se gut. Ich hab bloss gesagt, dass man es durchaus als Vorteil ansehen kann, dass man einen Linken in die Regierung wählen kann und es kommt am Schluss mittelmässiger Durchschnitt raus, und dass man einen Rechten in die Regierung wählen kann und es kommt am Schluss mittelmässiger Durchschnitt raus. Das kann ein Vorteil sein, dass es alles ein bisschen einmittet.

Das ist ja das interessante daran, dass man das als Positiv beurteilt. Eigentlich ist es ja völlig gegen die Natur, oder gegen den Menschen, der diese emotionale Bandbreite halt hat und diese auch leben will. Dieser konstante mittelmässige Durchschschnittsscheiss tötet die ganze Leidenschaft ab. Politik in der Schweiz ist so was wie Ritalin, da gibt’s keine Hochs und keine Tiefs, nichts, wo man sich ein bisschen spürt. Vernunft ist der Feind der Lebensfreude.

Ja, ok …

Oder die Amis, die den Terrorismus ausmerzen wollen, wie sie sagen, aber das geht ja schon per Definition nicht, und dann wollen sie jeden einzelnen überwachen, am Flughafen jeden durchleuchten und scannen … und was ist die Folge? Damit sie ein paar wenige fangen können, müssen sich Millionen freie Menschen täglich ficken lassen. Da komm ich dann irgendwann an einen Punkt wo ich sage, ok, wegen mir müsst ihr das nicht machen, ich lebe lieber mit dem Risiko, ich will lieber wieder die Freiheit spüren. Wenn Freiheit der Preis für Sicherheit ist, dann leb ich lieber mit dieser Unsicherheit.

Ja das ist aber so, Sicherheit kriegst Du nur zum Preis von Freiheit, Aber Du bist wahrscheinlich auch ein relativ angstfreier Mensch …

… nicht unbedingt, die Regierungen machen mir eigentlich fast mehr Angst als die schon fast homöopatische Wahrscheinlichkeit, dass ich hier am Bellevue in die Luft gesprengt werde …

Du lebst also mit dem Risiko, dass irgendein durchgeknallter … Du willst ihn also nicht präventiv vernichten …

Kann ich ja nicht, ich weiss ja nicht, wers ist.

Der Staat versucht das ja herauszufinden.

Mit welchem Erfolg? Dass jeder, der etwas dunkelhäutiger ist und einen langen Bart hat, schräg angeschaut wird? Oder wenn einer nur schon ein bisschen Fieber hat, dann ist er ein möglicher an Ebola Erkrankter und kommt in Quarantäne … da gibt’s Plätze auf der Welt, wo die Leute mittlerweile glauben, dass wenn sie nur schon einen Schwarzen im Fernsehen sehen, sie am nächsten Tag von der Seuche hingerafft oder ihnen die Köpfe abgeschnitten werden. Das ist doch krank. Das hat nichts mehr mit verantwortungsvollem Handeln der Regierungen gegenüber dem Volk zu tun. Das ist das genaue Gegenteil. Das ist auch mein Vorwurf an die klassischen Medien. Sie sind zu reinen Angstschleudern verkommen. News sind nichts anderes als Munition für diese Angstschleudern. 

Da bin ich Deiner Meinung. Angst ist ein Herrschaftsinstrument. Wenn als Regierung Deine Bevölkerung im Griff haben willst, dann musst Du Angst streuen …

Du bist ja ein Verschwörungstheoretiker! 

Nein, das ist doch keine Verschwörungstheorie. Ich finde es nur dann schwierig, ich mein, ich glaube nicht, dass die Welt von fünf Leuten gesteuert wird …

… und am Schluss immer der Rotschild schuld ist …

… genau …

Ich glaube, es sind mehr. Es sind mindestens fünftausend …

… aber ich glaube, es gibt doch immer wieder so viele Unwegbarkeiten und Zufälligkeiten, es gibt immer wieder von Fall zu Fall Leute, die davon profitieren, natürlich gibt es ein Herrschaftssystem, es gibt ein Bankensystem, es gibt die Börse, es gibt diese Firmen …

… die Frage ist doch aber, ob diese Systeme zusammenhängen, oder in einem grösseren System aufgehen … 

… die Frage ist mehr, wie bewusst sie zusammenhängen.

Das Wort Verschwörungstheorie hat ja grad zwei schwierige Wörter in sich. Verschwörung …

… und Theorie, ja …

… Verschwörung ist ja eher so etwas Organisiertes, das andere ist Theorie, also nicht praxiserprobt, also stimmt es wahrscheinlich auch nicht. Für mich ist wirklich entscheidend: Spielen diese Systeme zusammen? Dass Entwicklungen im Gang sind, ist offensichtlich, dass Sachen laufen, deren offziellen Erklärungen nicht zusammenstimmen, ist für jeden sichtbar. Ob Elvis noch lebt, oder ob die Mondlandung stattgefunden hat, ist mir scheissegal, aber zwing mich nicht, die offizielle Version von 9/11 zu glauben. Jeder, der sich ein bisschen darum kümmert, kommt zum Schluss, dass die offizielle Version nicht stimmen kann. Und bevor mich interessiert, was da eigentlich wirklich abgelaufen ist, interessiert es mich, wieso die Regierungen eine solche Version der Ereignisse verbreiten und die auftauchenden Fragen dazu nicht beantworten oder die Fragesteller lächerlich machen oder aber als Staatsfeinde behandeln.

Aber das ist keine Verschwörungstheorie. Du sagst, dass Du die offizielle Version nicht stimmt. Du sagst nicht, dass der Chenney und der Bush im Zimmerchen gesessen sind und blablabla … da fängts nämlich an, zur Verschwörungstheorie zu werden, wenn man der ofiziellen Version eine konkrete Theorie gegenüberstellt, die genauso schlüssig ist oder eben nicht wie die offizielle Version. Ich meine, dass die NATO eine kriegstreiberische Gesellschaft ist, jetzt zum Beispiel in der Ukraine zwischen Europa und Russland, das ist keine Verschwörungstheorie, dass siehst Du an ihren Äusserungen, das siehst Du an ihren Forderungen.

Ist doch auch so eine komische Geschichte. Der Flieger in der Luft explodiert und am Boden neue Pässe und unversehrte Koffer und so … solche Sachen krieg ich einfach nicht zusammen, und dann der Flugschreiber, der von den Engländern und den Holländern ausgewertet worden sei, und deren Ergebnisse bis heute nicht veröffentlicht wurden, das möchte man doch schon erklärt bekommen, vor allem, wenn vorher mit Kriegsgedanken gespielt worden wurde … Ich mein, die Chance, dass da irgendwelche Mächte Interessen verfolgen in einer Dimension, die wir gar nicht nachvollziehen können, ist doch relativ gross. 

Ja, schon, aber ich habe zum Beispiel die Erfahrung gemacht, dass sobald ein paar Leute zusammensitzen und eine Idee aushecken, dass es dann immer irgendwo eine undichte Stelle gibt. Für mich ist es darum nicht vorstellbar, dass eine Mondlandung gefaked ist. Ich sage nicht, dass es nicht so sei …

Das ist dann immer der Killersatz. Dass es doch immer irgendwie rauskommen würde. Und genau drum kommts eben nicht raus. Weils gar niemand wissen will. Wir sind hier in der Schweiz, wo alles so stabil ist, da will man sich solche Sachen gar nicht vorstellen, wenn man nicht muss. 

Dann würdest Du also sagen, dass die Medien insgesamt so kontrolliert sind, dass sie diesen Fragen gar nicht nachgehen wollen, gar nichts aufdecken wollen …

… das kann ich so nicht absolut sagen. 

Das wär ja dann die Logik.

Wenn ich verfolgt habe, was seit dem Flugzeugabsturz in der Ukraine im April bis heute zu diesem Thema in den grossen westlichen Medien unisono abgegangen ist, dann komm ich halt unweigerlich auf diese Idee. Reisserische, hässliche, unrecherchierte, unreflektierte Artikel und Reportagen in Wort und Bild, das hat doch nichts mehr zu tun mit einem unabhängigen und kritisch denkendem Journalismus. Man hat sich vom ersten Tag auf eine Version eingeschossen und nie überlegt, ob es noch andere Versionen geben könnte. Und auch hier interessiert mich als erstes die Frage „Wieso?“.

Es hat da eine sehr beindruckende journalistische Leistung gegeben, ich weiss nicht mehr wo ich das gelesen habe, es war ein Journi, der aufgrund öffentlich einsehbaren Kameras und Bilder nachvollziehen konnte, wo die Rakete herumgefahren wurde. Der hatte genug technisches Verständnis, um diese neuen Möglichkeiten auch zu nutzen und einzusetzen.

Und dann gibt’s ja immer welche, die diese technischen Möglichkeiten noch besser verstehen, weil sie sie ja gebaut gekauft und betrieben haben.

Also wenn wir jetzt an diesem Punkt sind, können wir sagen: Wir wissen nichts, möglicherweise ist sehr viel gefaked und wir können nichts dagegen tun. Dann wäre ja der Journalismus überflüssig …

… der News-Journalismus auf jeden Fall, ja …

… aber was macht man dann damit? Dann gibt’s ja nur noch den Rückzug zu sich selber. Und alles, was man sich Gedanken verschwendet ans System und wie man es ändern könnte, ist völlig für die Füchse. Das wär dann so die Grundstimmung.

Manchmal komme ich auf diesen Schluss ja. Man gilt dann zwar als Ignorant, aber wenn jeder wieder mehr für und auf sich schauen würde … dann könnte einer kommen, dem es nicht so gut geht und Du hast die Kraft und die Energie, ihm zu helfen. Aber wenn Du an all dem Scheiss, der da erzählt wird auch noch teilnimmst, dann regt dich der am Ende des Tages nur noch auf und Du hilfst ihm nicht. Hast ja auch keine Zeit mehr, hast ja an all dem Scheiss der da erzählt wird, teilgenommen.

Kürzlich kam im Gainsbourg eine zu mir und meinte, sie interessiere sich eigentlich nur für sich. Und ich dachte, ist das jetzt etwas Gutes oder etwas Schlechtes? Ich fand diese Ausage auf jeden Fall wahnsinnig ehrlich. Aber sie hat mich auch ein bisschen schockiert. Ich glaube schon, dass es eine höhere Ebene braucht, wo man sich zusammen seine Gedanken macht …

Ich glaube, das macht nur Sinn, wenn Du diese Sachen dann auch mit Dir verknüpfst. Das ist ja dann auch das einzige, was Du beurteilen kannst, wie es auf Dich wirkt, wie die Ereignisse auf Dich wirken, die Leute, das ist doch am Schluss das Entscheidende. So ist es glaub nichts Falsches, wenn sie sagt, sie interessiere sich nur für sich. Aber es ist gesellschaftlich nicht chic, man nennt das „egoistisch“ und das Wort ist negativ aufgeladen. Kürzlich war da doch die Frage, ob man jemanden töten würde, um selber zu überleben, und die Mehrheit meinte „ja“, und dann hiess es, wir seien eine Gesellschaft von Egoisten. 

Wir sind ja auch eher beim individualistischen Gedanken, der andere Bereiche auslöscht, diese neoliberale Idee, dass im Grunde jeder selber schuld an seiner Situation sei, was ja auch nicht richtig ist, weil man keinen Systemgedanken mehr hat, da geht dann keiner mehr auf die Strasse und sagt, dass sich etwas ändern muss, da sitzt jeder zuhause im Kämmerlein und denkt, er sei ja selber schuld, und macht nichts, weil er glaubt, er bringe es einfach nicht. Das ist die eine Seite. Das andere ist, die Individualisierung – wie gesagt, ich bin ein Kind der 90er, ich liebte das, die Freiheit, ich kann mich selber entfalten  – aber am Schluss, ich meine, die „Pimperleins“ mit denen die Leute sich zum Teil beschäftigen, rund um die Uhr nur irgendwelchen Bullshit, das kann auch krank machen, das in sich selber ertrinken …

Ich glaube manchmal, man muss auch nicht immer die Welt retten, früher wollte ich immer die Welt retten, das will ich zwar heute noch, aber manchmal denke ich, hör doch auf mit dem Scheiss, Rainer, die Welt musst Du nicht retten, die Welt wird auch in Millionen von Jahren irgendwo durch den Weltraum fliegen, das muss man nicht retten, lass die Leute doch machen, was sie machen, manchmal kommts halt so raus, manchmal anders. Die Idee, die ganze Menschheit in eine einzige Denk- und Lebensform zu zwingen, all diese Individuen zu normieren … das ist so wie wenn ein Päärchen sagt, dass sie überhaupt nicht zusammen passen, weil sie nichts gemeinsam hätten. Sie könnten auch sagen, dass sie perfekt zusammenpassen, weil der andere alles das ist und hat, was man selber nicht ist und hat … man kann das auch als Erweiterung sehen und nicht als Einengung. Wir sollten vielleicht weniger an den Gemeinsamkeiten, dafür mehr an den Unterschieden Freude haben. 

Wir werden durch Social-Media auch ein bisschen da hineingedrängt, am Schluss bist Du mit den gleichen fünfzehn Meinungen, die Du eh schon kennst und wo Du die ganze Härte spürst, wenn Du mal eine andere Meinung hast.

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Autor: Rainer Kuhn

Rainer Kuhn (*1961) hat das ganze Ding hier gegründet, aufgepäppelt, fünf Mal neu erfunden, vorher Werber, noch vorher Betriebsökonomie studiert, noch vorher Tennislehrer gewesen. Dazwischen immer mal wieder ein Kind gemacht. Wollte eigentlich mal Pferdekutscher im Fex-Tal werden, später dann Pfarrer. Im Herzen ein Landbub, im Kopf dauernd unterwegs. Schreibt drum. Hat ein paar Gitarren und ein paar Amps in der Garage stehen. Macht Musik, wenn er Zeit hat. Hat er aber selten. Blues und Folk wärs. Steht nicht gern früh auf. Füllt trotzdem die Kult-Verteilboxen jeden Monat mehrmals eigenhändig auf. Fährt Harley im Sommer. Leider mit Helm. Mag Mainstream-Medien nicht. Mangels Alternativen halt Pirat geworden. Aber das ist manchmal auch streng.

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