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es wäre mir auch lieber.

Ja, es wäre mir auch lieber, ich könnte das alles glauben, was gegenwärtig in den grossen Zeitungen und Fernsehstationen und Medienportalen und so geschrieben wird. Ich könnte glauben, dass da ein suizidgefährdeter Psycho den Piloten aus der Kabine gesperrt und dann einen Flieger voll Menschen in eine Bergwand gesteuert hat. Könnte glauben, dass sich ein Flugzeug pulverisiert und seine klitzekleinen Überreste über zwei Quadratkilometer verstreut werden, wenn es frontal in eine Felswand knallt. Könnte glauben, dass es normal ist, dass man wohl den Stimmenrecorder findet, aber die Black Box nicht, und das man sich für diese Black Box auch nicht weiter interessiert. Es wäre mir lieber, denn dann hätte ich Freude an den etablierten Medien in diesen Tagen. Ich könnte mich emotional aufladen an den Headlines wie “Todespilot war depressiv” oder “Nach Lubnitz’ Wahnsinnstat: Wieviele Piloten sitzen krank im Cockpit?” oder “Hier sichert die Polizei kistenweise Beweismaterial aus der Wohnung des Mannes, der …”, ich könnte mich mitaufregen und mitempören in den täglich mit neuen Erkenntnissen über den “Todespiloten” aufwartenden News-Sendungen und Talk-Shows, und ich könnte mich abends ins Bett legen und denken, naja, zum Glück ist sonst alles in Ordnung auf dieser Welt.

Aber ich komme einfach nicht draus. Fragte mich, ob das wirklich so aussieht, wenn ein Flugzeug in eine Wand fliegt? Oder wieso dass man so absolut und genau weiss, dass die Geschichte, die von all den Redaktionen erzählt wird die einzige ist und stichhaltig stimmt? Fragte mich, was denn mit den anderen Möglichkeiten wie “technischer Defekt”, “Triebwerkgase im Cockpit”,”vom Boden steuerbar” oder sogar “Explosion” oder “Abschuss” ist? Auch wenn die eine oder andere Möglichkeit vielleicht für naive Gemüter wie wir es sind etwas absurd klingen mag: Kann man sie restlos und zu 100% ausschliessen? Und ich fragte mich, wer denn genau den Voice-Recorder gefunden hat, wem er ihn übergeben hat und wer ihn ausgewertet hat, fragte mich, wer die Auswertungen wem zur Verfügung gestellt hat und wer es welchen Journalisten wie erzählt hat. Einfach mal so zum Spass: Ich fragte mich, wie es wäre, wenn ich jetzt mal Journalist wäre und meinen Job als Journalisten ernst nehmen würde und dieser Kette nachgehen würde, weil ich es genau wissen wollte, was es mit dieser Version so auf sich hat, die da so unheimlich schnell und von allen portiert gefasst und gefestigt wurde. Ganz so, wie man es von einem Journalisten erwartet: “Question everything”.

Vielleicht würde ich es auch ein bisschen lockerer nehmen und einfach ein bisschen im Internet surfen. Und dann würd ich lesen, dass die französische Staatsanwaltschaft die Möglichkeit eines technischen Defekts doch nicht ausschliesst und dass Lufthansa 275 Mio. Euro für Schadenersatzforderungen zurückstellt. Dann frage ich mich, was ich jetzt machen würde. Müsste ich jetzt nicht mal fett auf die Titelseite setzen so im Sinn von: HALT! STOPP! LUBITZ VIELLEICHT UNSCHULDIG! TECHNISCHER DEFEKT KÖNNTE GRUND SEIN! oder irgendsowas, und mich dann wundern über all die Journalistenkollegen, die nichts hinterfragt haben und einfach allen alles nachgeplappert und sich überboten haben mit noch verdrehteren und enthüllenderen Geschichten und Diskussionsrunden über den Massenmörder Lubitz? Und wenn ja, würde ich es tun? Müsste ich dann nicht auch die anderen Möglichkeiten mal genauer unter die Lupe nehmen? Und solange nicht alle anderen Möglichkeiten restlos ausgeschlossen werden können, die Möglichkeit “Lubitz” als eine gleichberechtigte Möglichkeit nebst den anderen Genannten behandeln? Also bis zur vollständigen Klärung auch nicht weiter darauf eingehen? Müsste ich dann nicht auch die Frage stellen, warum sich niemand diese Fragen stellt? Und mich gleichzeitig quasi stellvertretend für die Branche schuldig fühlen am vorschnellen Rufmord eines jungen Mannes, dessen Eltern noch leben? Würde ich das tun? Oder würde ich denken: “Ach scheiss drauf, ist einfacher so. Gibt sonst nur Arbeit und Diskussionen, die mit der Frage enden, ob die Mondlandung auch nur gefaked war. Mach ich noch eine Geschichte über den Hund der Ex-Freundin des depressiven und latent suizidgefäreten Todespiloten, auch schön.”? Ich weiss es nicht.

Aber ja, es wäre mir auch lieber.

 

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Autor: Rainer Kuhn

Rainer Kuhn (*1961) hat das ganze Ding hier gegründet, aufgepäppelt, fünf Mal neu erfunden, vorher Werber, noch vorher Betriebsökonomie studiert, noch vorher Tennislehrer gewesen. Dazwischen immer mal wieder ein Kind gemacht. Wollte eigentlich mal Pferdekutscher im Fex-Tal werden, später dann Pfarrer. Im Herzen ein Landbub, im Kopf dauernd unterwegs. Schreibt drum. Hat ein paar Gitarren und ein paar Amps in der Garage stehen. Macht Musik, wenn er Zeit hat. Hat er aber selten. Blues und Folk wärs. Steht nicht gern früh auf. Füllt trotzdem die Kult-Verteilboxen jeden Monat mehrmals eigenhändig auf. Fährt Harley im Sommer. Leider mit Helm. Mag Mainstream-Medien nicht. Mangels Alternativen halt Pirat geworden. Aber das ist manchmal auch streng.

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