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Die Befreiung der weiblichen Sexualität

Wenn es um die Frage geht, ob Frauen sexuelle Wesen sind, so würden wohl Männer als auch Frauen mit „ja“ antworten. Was dies konkret heissen soll, ist nicht so einfach zu definieren. Dieselbe Antwort zu erhalten bedeutet nunmal nicht, dass dieselben Gedankengänge zu ihr geführt haben.

Auch Feministinnen, progressive Frauen, ertappen sich manchmal dabei, wie sie Männern Rechte eingestehen, den Frauen jedoch verwehren. Frauen dürfen ab einem gewissen Alter keine Kinder kriegen, Männer schon, Frauen dürfen nicht wechselnde Sexualpartner haben, Männer schon, Frauen dürfen keine erheblich jüngeren Partner haben, Männer schon. Man muss nicht lange überlegen und schon kommt einem das klischeehafte Bild eines untreuen Superhengsten in den Sinn, wobei die Frau ihr Ansehen nach Affären verliert und als Schlampe abgestempelt wird. Beispiele gibt es genug, die aufzeigen, wie ignorant und unerfahren unsere Gesellschaft immernoch ist, wenn es darum geht, die Sexualität der Frau zu verstehen, vielmehr anzuerkennen.

Immerhin: Die heutige Über-Sexualisierung in der Gesellschaft bringt zwar viele Nachteile, doch einen bedeutenden Vorteil mit sich: Sie macht gewisse Frauen, ihren medialen, weiblichen Vorbildern nacheifernd, egoistischer, was ihre Sexualität betrifft. Und doch werden sie von patriarchalen Strukturen eingeschränkt. Nicht zuletzt deshalb, weil sie sich  von ihnen loszulösen nicht fähig sind.

Zu wenig haben Frauen dafür gekämpft, dass man nicht anders könnte, als endlich einzusehen: Auch Frauen haben Triebe. Auch wenn manchmal andersartigen als Männer. Oftmals schliesst Frau lieber die Augen und bevorzugt die Unterwerfung. Was aber nach Aussen nur vorgegaukelt wird, wohlgemerkt. Hinter den Kulissen geht sie ihren Bedürfnissen nach: Jedes Mal, wenn ein Mann fremd geht, ist da auch eine Frau dabei. Eine Frau, die genauso, wie des Fremdgehers Frau, einen Mann zu Hause sitzen hat, der denkt sie sei seine heilige Mutter Theresa.

Das Bild des Heimchens ist wohl einfach bequem und bleibt bequem, solange sich viele Frauen schämen mit ihrem Partner darüber zu reden, dass auch sie erregt, gar animalisch sein können.  Und solange sie Männer ablehnen. Zurück zur Natur – was im übrigen für Körper und Psyche um einiges gesünder wäre.

Die weibliche Sexualität wird ausserordentlich stark moralisiert, weil man Angst hat vor ihr. Man fürchtet die weibliche Stärke schon genug. Ist sie dann sexuell endlich gleichgestellt, so ist sie gemeingefährlich. Man werfe einen Blick auf die immer währenden Abtreibungsdebatten weltweit: Frau soll nicht die Macht haben über Leben und Tod, über Sexualität und Fortpflanzung. Frauen die fordern – auch im Bett – sind gefährlich, unattraktiv und vor allem für den Mann entmächtigend.

Die gesellschaftliche Normalitätserwartung manifestiert das Bild der passiven Frau – sowohl in der Sexualität als auch in anderen Bereichen ihres Lebens. Bestenfalls bietet sie sich an, schlimmstenfalls ist sie Opfer.

Die Sexualforschung war lange von Männern dominiert und fokussierte sich nur auf deren Triebe. Frauen schienen nur für das Gebären zuständig zu sein. Wissenschaftlerinnen wie Meredith Chivers, Marta Meana, Lisa Diamond oder Terri Fisher helfen dabei die weibliche Lust zu verstehen.

Entgegen des Irrglaubens, nur Männer müssen evolutionsbedingt ihren Samen verbreiten, weiss man schon längst: Männer sind zwar für die Verbreitung der DNA zuständig, Frauen jedoch für die genetische Vielfalt. Beide haben also ihresgleichen Aufgaben zu erfüllen, die mit dem Austausch von Körperflüssigkeiten zu tun haben. Die Frau ist bewiesenermassen nicht mehr nur die, die empfängt, sondern auch die, die aktiv zur Evolution beisteuert.

Evolutionspsychologe Dietrich Klusmann hat herausgefunden, dass Frauen in einer Beziehung das sexuelle Interesse am Partner bereits nach drei Jahren zu verlieren beginnen. Bei Männern nehme das Interesse nur sehr langsam und stetig ab. “Einerseits waren Frauen in der menschlichen Evolutionsgeschichte noch bis vor wenigen Jahrzehnten darauf angewiesen, einen Versorger für ihre Nachkommen an sich zu binden. Andererseits brauchen sie für erfolgreichen Nachwuchs einen Partner mit möglichst gutem genetischen Inventar.” – so der Wissenschaftler. Frauen sind also von Natur aus promisk und auf diverse Partner fokussiert.

Die Abnahme der weiblichen Lust mag auch daran liegen, dass das nicht-Artikulieren der eigenen sexuellen Interessen, im Dienste des Mannes, unweigerlich dazu führt, dass man schlichtweg keinen Spass mehr hat. Was danach die Beziehung zum Mann am Leben hält, sind andere Werte, wie etwa: Sicherheit, Geborgenheit, Liebe, Kinder oder Wohlstand. In der Hoffnung durch körperliche Unterwerfung Gemeinschaft zu erhalten, wird das genaue Gegenteil bewirkt: Die sexuelle Anziehung beiderseits nimmt unweigerlich ab. Das Selbstbewusstsein beider leidet.

Frau möchte ihrer Lust nachgehen, doch aus rationalen Gründen und der Liebe zum Mann, hält man sich zurück. War man doch Jahrtausende lang gewohnt einfach weiterzuspringen zu einem neuen Sexualpartner, muss sich Frau heute, moralischer, Glaubenssätze wegen, überlegen, wie sie ihre einzige Sexualbeziehung befriedigend gestalten kann.

Gute, langhaltende Sexualität in der Beziehung ist für einen Grossteil der Frauen etwas Subtiles. Ein komplexes Gebilde ihres hormonellen Status, der Erziehungsmuster, der sexuellen Prägung, der gesellschaftlichen Normalitätserwartung, des medialen Einflusses, der Moralvorstellungen, des Umfelds und des momentanen psychischen und gesundheitlichen Wohlbefindens. Ein sehr individuelles Unterfangen, das von Frau zu Frau verschieden ist und ohne Eigenregie nur schwer zum Höhepunkt führt. Vor allem dann nicht, wenn Frau in ihrem Denken generell unfrei aufwuchs und nie lernte sich gehen zu lassen, sie selbst zu sein. Der Körper will Lust suchen und verspüren, der Kopf wehrt sich.

Die weibliche, sexuelle Befreiung zu erlangen, wird schwierig, wenn Frauen die Rolle der Prostituierten übernehmen und Materielles, Sicherheit oder Liebe gegen Sex handeln. Sie erwarten für ihren sexuellen Akt eine Art von Entgelt – was das Aussprechen ihrer sexuellen Bedürfnisse unnötig macht.

So könnte Frau vorwärts machen mit dem Ausdrücken ihrer Vorlieben, Fantasien, Erregungen. Ausser: Ihre Angst dem Mann womöglich nicht zu gefallen, verlassen zu werden, sitzt ihr so tief in den Adern, dass sie sich selbst unterdrückt und irgendwann damit abfindet, keine Befriedigung zu verspüren, statt herauszufinden, was sie beglückt.

Solange Frauen nicht aussprechen, wer sie von Natur aus sind, was sie von Natur aus fühlen und Denken – solange werden auch Mann und Frau, sowie Gesellschaft nicht verstehen, dass eben doch alle Frauen – von Natur aus sexuelle Wesen sind.

 

 

 

Bild: Elena Helfrecht

www.elenahelfrecht.com

www.facebook.com/helfrecht.photography

 

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Autor: Jelena Keller

Jelena ist von Beruf Journalistin und Sprachlehrerin, Schweizerin serbischer Abstammung. Sie mag lange Texte und langes Grübeln. Sie hat sich daran gewöhnt zu viel zu denken und zu wenig zu schlafen. Wenn sie gar kein Auge zumachen konnte sieht sie die Welt nüchtern und in einem Grauton. Wenn sie ausgeschlafen hat, wandert sie mit ihrem Hund auf grüne Berge, durch bunte Blumenwiesen und rosa Weizenfelder. Schreibt auch mal Gedichte und Kurzgeschichten, reist am liebsten um die Welt und probiert Neues aus. Sie meint tatsächlich, dass sich alle Probleme lösen liessen, wenn man sich nur ab und zu in die Lage des Gegenübers versetzen könnte. Walk in my shoes und so. Trotzdem versteht sie manche Menschen nicht. Die, die sich vor dem Leben und dem Tod fürchten und andere verurteilen. Aber von den meisten anderen denkt sie, sie seien alle Freunde, die sie bloss noch nicht kennengelernt hat.

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