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«Langstrasse quo vadis?» Ein Kommentar zu den aktuellen Entwicklungen rund ums Langstrassenquartier

Um die Langstrasse wird es so schnell nicht ruhig. Und das ist jetzt im übertragenen Sinne zu verstehen. Ginge es nach dem Zürcher Stadtrat, wäre sie schon morgen tot. Zugrundeberuhigt und -aufgewertet – zugunsten einiger weniger, auf Kosten vieler anderer.

Doch beginnen wir nicht mitten im aktuellen Geschehen, sondern blenden etwas zurück: 115 Anwohnerinnen und Anwohner der (nennen wir sie vorläufig noch) Partymeile Langstrasse haben sich Ende April beim Stadtrat über die unhaltbaren Zustände in ihrem Quartier beschwert. Mittels eingeschriebenem Brief haben sie ihrem Unmut Ausdruck verschafft. Dass sie mit ihrem Hilferuf dermassen viel Staub aufwirbeln, hätten sie nicht gedacht. Aber ihr Schreiben hat in der Bevölkerung, namentlich in den Leserbriefspalten grosser Tageszeitungen, für emotionale Auseinandersetzungen gesorgt. Die Meinungen waren schnell gemacht: Ruhebefürworter versus Partybefürworter. Dazwischen gab es kaum etwas, ausser vereinzelten Sympathiebekundungen mit der Gegenseite, stets jedoch mit einem grossen Aber verbunden: «Wir haben Verständnis dafür, dass… aber ihr müsst auch verstehen, dass…»

Von der Idee zur Langstrassen-Petition
Diese Diskussionen sind nicht spurlos an der Kult-Redaktion vorbeigegangen. Im Gegenteil. Einige von uns arbeiten und/oder leben direkt an oder in unmittelbarer Nähe zur Sündenmeile. Und das Kult versteht sich seit jeher als Sprachrohr der Club- und Partyszene. Wenn man ihr und damit auch unser Treiben als stadtzerstörerische Sauerei abtut, können wir nicht auf unseren Mündern sitzenbleiben. Rasch war die Idee einer Onlinepetition geboren. Intern nicht völlig unumstritten, weil die Kultredaktion natürlich ein Herz und eine Seele ist, aber trotzdem jedes Mitglied auch seine Sicht auf die Dinge hat. Die Petition mit dem Titel „Die Langstrasse ist und bleibt Zürichs Kultur- und Ausgangsmeile!“ war in Kürze lanciert, und innert gerade mal einer Stunde haben mehr Leute die Petition unterschrieben als Langstrassenanwohner ihren Brief an den Stadtrat. Was folgte, war eine beeindruckende Sympathiewelle in Form von mittlerweils knapp 2800 Unterschriften und einer grossen Flut an positiven Feedbacks und einem beachtlichen Interesse in der Medienwelt.

Obwohl noch nicht eingereicht sind in der Zwischenzeit auch die Stadräte Wolff (Polizeidepartement) und Odermatt (Hochbau) und ihre Departemente auf die Petition aufmerksam geworden. Gemäss Aussage der Abteilung Quartiersicherheit werden die Aktivitäten rund um die Kult-Petition verfolgt und ernst genommen. Ernst genommen werden nach städtischer Aussage auch die Kulturtreibenden, die Gastronomen, Clubbetreiber und Nachtmenschen, die sich im Quartier bewegen. Geplant ist ein Round Table, an welchen alle Beteiligten, zusammen mit Anwohnerinnen und Anwohnern zum Gespräch eingeladen werden. Geschehen noch Wunder in dieser Stadt? Hat man tatsächlich im Sinn, die Partymeile am Leben zu lassen? Dies, nachdem Querstrassen im Kreis 5 mittels Nachtschranken unlängst bereits zwangsberuhigt worden sind. Ein Funke Hoffnung besteht. Allerdings nicht für lange.

Der Stadtrat macht unmissverständlich klar: Die Langstrasse soll vom Nachtleben befreit werden – so schnell wie möglich
Am 30. Juni wurde eine Medienkonferenz zum Thema Nachtleben einberufen. In der Medienmitteilung mit Sperrfrist wird dann aber nicht lange Honig ums Maul geschmiert («Ein attraktives Nachtleben gehört zur Stadt»), sondern bereits in der Einleitung klar gemacht: Die Stadt wird ein Urteil des Baurekursgerichtes umsetzen: «Öffnungszeiten nach Mitternacht erfordern künftig eine Baubewilligung». Was im ersten Moment nicht sonderlich aufsehenerregend tönt, birgt gehörigen, zukunftweisenden, höchst explosiven Zündstoff: Während bisher die Stadtpolizei zuständig war für Bewilligungen zu verlängerten Betriebszeiten von Bars und Clubs, ist es nun das Hochbaudepartement. Verlängerungsgesuche erfordern eine Baubewilligung, und diese ist rekursfähig. Genau hier sitzt die Sprengkapsel: Ausgedeutscht heisst das nichts anderes, als dass jeder Anwohner einer potentiellen Bar- oder Clubliegenschaft gegen Öffnungszeiten rekurrieren kann. Nicht nur gegen die Betriebszeiten, sondern auch gleich noch gegen die sogenannten „Wartezonen“ – den Bereich, in dem Raucher vor einem Lokal an ihren Glimmstängeln ziehen. Es braucht keine besonders grosse Vorstellungskraft, um zu erkennen, dass damit faktisch kein neues Lokal mehr eröffnet werden kann. Obwohl Hochbauvorsteher André Odermatt an der Konferenz beteuerte, dass man das neue Bewilligungsgesetz „mit Augenmass umzusetzen gedenke“, ist klar: Ein einzelner Anwohner hat die Möglichkeit, seine Rekurse so lange weiterzuziehen, bis ein Gastronom den Schnauf verliert. Nervlich, aber insbesondere auch finanziell. Entsprechende Beispiele aus der heutigen Bauwelt gibt es wie Sand am Meer. Geschichten, die haarsträubender nicht sein könnten und nicht selten surreal anmuten – einfach, weil sich eine Einzelperson aus willkürlichen Prinzipien querstellen wollte. Der Maschendrahtzaun lässt grüssen.

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen
Ich werde den Eindruck nicht los, und da kann auch kein Honigschmier-Round Table Gespräch etwas daran ändern, dass der Stadtrat vor einer Minderheit an (finanzkräftigen) Langstrassenanwohnern kuscht und geradlienig und kaltschnäuzig den roten Faden des Projektes „Nachtleben ausrotten“ weiterverfolgt. Ein weiteres Glanzstück praktizierter Gentrifizierung (Ironiemodus: aus), bei der sich die Linke in den eigenen Schwanz beisst: Quartiere beruhigen, aufwerten (dagegen ist ja per se nichts einzuwenden) und sich anschliessend darüber beklagen, dass in der Folge auch Liegenschaften saniert und aufgewertet werden und sich der Durchschnittsbürger hinterher das Wohnen im Quartier nicht mehr leisten kann. Verständlich, dass der Vermögende Bewohner, welcher nun eine horrende Miete entrichtet, gerne ruhig schläft. Aber: Wir lassen uns – bei allem Verständnis für die Tatsache, dass sich auch das Nachtleben und seine Exzesse an gewisse Regeln zu halten hat – den Mund nicht verbieten. Wir stehen weiterhin dafür ein, dass die Club- und Barszene eine Daseinsberechtigung hat und nicht an den Stadtrand verdrängt werden darf, wie es sich zahlreiche Lärmgeplagte wünschen. Eine nächste Gelegenheit dem Nachtleben Gehör zu verschaffen ist die Podiumsdiskussion am Röntgenplatzfest zum Thema „Gemeinsam gegen Verdrängung – geht das?“, zu welchem ich als Kult-Petitionär eingeladen worden bin. Dort werden wir Stadtrat Richard Wolff unsere gesammelten Unterschriften und Pro-Nachtleben an der Langstrasse überreichen und ihm damit klar machen, dass wir den Kampfberuhigern das Feld nicht widerstandslos überlassen.

Röntgenplatzfest 2015 – Unterstützung im Publikum willkommen:
Freitag, 21. – Sonntag, 23. August
Podiumsdiskussion: Samstag, 22. August, 16.00h “Gemeinsam gegen Verdrängung – geht das?” – moderiert durch Daniel Ryser, WOZ-Journalist, Buchautor und Slampoet – Podiumsteilnehmer werden noch bekanntgegeben.

www.roentgenplatzfest.ch – Online Petition: «Die Langstrasse ist und bleibt Zürichs Kultur- und Ausgangsmeile!»

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Autor: Pete Stiefel

Pete konnte pfeifen, bevor er der gesprochenen Sprache mächtig war – und an seinem ersten Schultag bereits schreiben. Trotzdem ist er da noch einige Jahre hingegangen. Danach schrieb und fotografierte er fürs Forecast Magazin, für Zürichs erstes Partyfoto-Portal stiefel.li, fürs 20 Minuten, MUSIQ, Q-Times, Party News, WORD Magazine, war Chefredaktor vom Heftli, lancierte das Usgang.ch Onlinemagazin – und er textete für Kilchspergers und von Rohrs Late Night Show Black’N’Blond und Giaccobo/Müller. Er trägt (vermutlich) keine Schuld daran, dass es die meisten dieser Formate mittlerweile nicht mehr gibt.

Irgendwann dazwischen gründete er in einer freien Minute seine eigene Kommunikationsagentur reihe13, die unterdessen seit weit über 13 Jahren besteht. Er ist mittlerweile in seiner zweiten Lebenshälfte, Mitinhaber vom Interior Design Laden Harrison Interiors, schrieb unterdessen Pointen für Giacobbo / Müller, Black 'n' Blond (mit Roman Kilchsperger und Chris von Rohr und irgendwann auf dem Planeten Kult gelandet. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein grosser Schritt für Pete.

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