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DIE SEHNSÜCHTIGE FÜRSTIN UND DER LÜSTERNE PIRAT

Die Lady von Caen-Tabasco war reich, kinderlos, gelangweilt. Ihr Mann, der Fürst, war selten bis nie zuhause, verlustierte sich lieber mit jungen Burschen als mit seiner Frau. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass sie wunderschön war, die 28-jährige Erbin des Hauses Tabasco.

Sie war durchaus auch rattenscharf, neugierig und zu vielem bereit.

Doch das alles nützte kein bisschen, denn der Fürstgemahl interessierte sich nun mal nicht für Frauen.

Die Verbindung der beiden Adeligen war als Geschäft zwischen zwei mächtigen Familien zustande gekommen. Sorgsam arrangiert von diesbezüglichen Fachleuten.

Nach Liebe oder Zuneigung hatte dabei niemand gefragt.

Nun war es leider so, dass der Fürst die Vergnügungen seiner Wahl sorglos ausleben durfte.

Während Milady auf Schritt und Tritt beobachtet und bewacht wurde. Treue und damit – in ihrem Fall – Keuschheit waren ihr, von der herrschenden Moral verordnetes, bitteres Los. Sie lebte in einer besonders schlechten Zeit für Frauen, selbst für adlige Frauen aus reichen Häusern.

So schaute sie oft auf das weite, weite Meer hinaus. Träumend. Seufzend. Beobachtete die farbigen Segel und Flaggen der grossen Schiffe, deren Heimat die Ferne war. Wie gerne wäre sie mitgefahren. Als Geliebte eines wilden, freien Seemanns, eines Freibeuters oder Gentleman-Piraten, der ihr in stürmischen Nächten einheizen würde. Hinter verschlossener Kajütentür.

Alles, ja alles würde sie tun, alle Wünsche, alle seine wilden Seemanns-Fantasien erfüllen. Gegen alle Scham und guten Sitten, die ihr von Gesellschaftsdamen, von altjüngferlichen Privatlehrerinnen eingebläut worden waren, würde sie mit Macht verstossen. Und dabei jene nie gekannte Lust, jene exotisch-erotische Freiheit auskosten, nach der sie sich – beinahe schmerzhaft – sehnte.

Diese verbotenen Ideen erregten sie derart, ihre Lenden glühten darob so erbarmungslos, dass sie sich mit einigen Tropfen Laudanum beruhigen musste. Einem Medikament, vom grossen Paracelsus in der schönen Stadt Basel am Rhein erfunden, das sie täglich zu sich nahm. Hier auf dieser befestigten grauen Insel, auf der ihr Mann, der Fürst, mit eiserner Hand herrschte.

Er war übrigens Träger einer furchteinflössend langen, spitzen Nase – zudem ein grosser Freund von Folterungen und Körperstrafen, deren Ausführung er persönlich zu überwachen pflegte.

Einige Zeit später, nach einem – üppigen aber langweiligen – einsamen Diner, zog sich die Gräfin in ihr Schlafzimmer zurück, versank in einem Strudel aus erotischen Träumen.

Sie erwachte unsanft. Kanonendonner drang scharf in ihre Gehörgänge. Da rannte sie zum Fenster. Riss die dicken Vorhänge beiseite. Im Morgengrauen sah sie den Angriff der Freibeuterschiffe. Mit ihren schwarzen Flaggen, die im Wind tanzten. Eine Dreistigkeit sondergleichen, mit der niemand gerechnet hatte. Und gerade deshalb gewannen die Piraten.

Plötzlich wurde die Türe zum Schlafgemach unserer Lady von Caen-Tabasco aufgestossen. Raue Gesellen stürmten lachend in den Raum, fesselten die Dame und trugen sie aus dem Zimmer, durch die Festung, durch das grosse Tor, an den Strand, auf eines der schwarz beflaggten Schiffe. Dort wurde sie sogleich in einen Lagerraum hinunter verfrachtet, die Augen verbunden.

Das Schiff legte ab. Die Lady spürte ihren Herzschlag. Dröhnend. Bis zum Hals hinauf. Die Angst stieg in ihr hoch. Während sie hörte, wie auf Deck herum gebrüllt, hin und her gelaufen, nach Leibeskräften gepoltert wurde. Schwere Stiefel auf harten Planken. Lange musste sie warten. Lange musste sie bangen.

Bis unsere liebe Lady, es waren wohl bereits Stunden vergangen, dann unvermittelt schwere Schritte vernahm, auf jener Treppe, die zum Lagerraum hinab führte. Eine brutale, laute Stimme sagte: „So jetzt wollen wir uns das Vögelchen einmal genau anschauen.“ Eine eigenartige Giesskannen-Stimme antwortete: „Aber dafür muss es zuerst sein Federkleidchen ablegen.“ Unsanft wurde sie aufgehoben. Unsichtbare Finger machten sich an ihren Kleidern zu schaffen. Ein gepresster Schrei entfuhr ihrem Mund.

Da meldete sich plötzlich eine dritte Stimme, tief, freundlich, etwas heiser: „Block, Zorg, lasst die Dame in Ruhe.“

Die Hände liessen von ihr ab. “Yessir Kapitän“, lautete die Antwort, zweistimmig. Die Fesseln wurden ihr abgenommen. Die Augenbinde fiel. Da stand er vor ihr. John Borderless, der gefürchtete Freibeuter. Er sah gleichzeitig wie ein Engel und wie ein Teufel aus: Augenklappe, ironisches Lächeln im Gesicht, reich bestickter schwarzer Gehrock am Leib, Rapier am Gurt. Eine verwegene Gestalt. Mit höflich-vornehmem Auftreten.

Und sie erkannte ihn sofort. Als jenen Gentleman-Piraten aus ihren fiebrig-feuchten Träumen und Tagträumen.

Der Kapitän nahm sie bei der Hand, führte sie an Deck. Die Sterne leuchteten am Nachthimmel. Über dem offenen Ozean. Er brachte sie in seine grosse Kabine. „Sie haben gewiss Hunger und Durst,“ sagte er. Nun lud er sie ein, an seinem reich gedeckten Tisch Platz zu nehmen. Freundlich befragte er sie, während des Diners, nahm Anteil an ihren Antworten, schaute ihr tief und forschend in die Augen. Mit jenem einen grauen Age.

Als sie fertig gegessen hatten, ward der Tisch abgeräumt. Schon wurde flugs eine Buddel Rum aufgetragen – plus zwei mächtige Humpen, mit Totenköpfen verziert. Der Kapitän erklärte ihr das Leben an Bord, fasziniert hörte sie ihm zu…

Dann sagte er leise: „Milady, sie sollten verstehen, alle müssen hier an Bord mit anpacken. Jede und jeder nach seinen Fähigkeiten. Und wenn ich Sie so anschaue, scheint mir, dass für eine derart feine, üppig geformte, vornehme junge Dame eigentlich nur eine Arbeit in Frage kommt. Sie werden nämlich ihren Körper und ihr Herzblut einsetzen. Zu gar erfreulichen Zwecken der fleischlichen Lust. Ich hoffe, dass Ihnen diese Tätigkeit liegt. Dabei lasse ich Ihnen die Wahl. Entweder stehen sie dem Smutje und seinen Gehilfen zur Verfügung. Deren letzte Gespielin ist nämlich unlängst am Gelbfieber verstorben. Oder Sie unterhalten meine Wenigkeit, den Kapitän. Ich warne Sie jedoch. Die Gelüste der Küchenmänner sind zwar von eher roher Natur, aber auch leicht und schnell zu befriedigen. Ich hingegen fordere gar viele, ausgetüftelte Aufführungen, wünsche Ausschweifungen, welche grosse Hingabe und Schamlosigkeit von Ihnen verlangen. Wählen Sie also, Milady, wählen Sie weise.“

Dann füllte er die beiden Humpen, randvoll und raunte: „Trinken wir!“

Die Lady von Caen-Tabasco schaute dem Freibeuter tief in sein einziges Auge, die Entscheidung fiel ihr leicht. Warm floss der Rum in ihren Magen, dann stieg ihr der gute Onkel Alkohol in den Kopf. Gerade so, wie manchmal der Blutmond am Himmel aufsteigt.

Und sie sagte mit gepresster Stimme: „Ich gehöre Ihnen, John Borderless.“

Dergestalt fing das Abenteuer der maritimen Ausschweifungen an, mit einem ersten Befehl des Kapitäns nämlich, seine sanfte heisere Stimme duldete dabei keinen Widerspruch: „Ich werde Sie nicht entkleiden, Milady. Sie werden es selbst tun. Im Kerzenlicht. Vor meinen Augen. In aller gebotenen Langsamkeit. Danach will ich ihren Körper betrachten, in gar vielen Haltungen und Stellungen, nicht alle davon sind bequem, die ich ihnen genau beschreiben werde. Johoo, ich bitte Sie nun darum, anzufangen.“

Die Lady tat, wie ihr geheissen. Dabei stieg ihr zunächst die Schamröte ins Gesicht. Doch zwischen ihren Schenkeln brannte alsbald ein mächtiges Feuer.

Es war eine epische Schau, die der Pirat ihr abverlangte. Dabei wurde sie immer heisser, stehend, kniend, sich wälzend, auf dem Boden, den Stühlen, auf dem Tisch. Nach seinen Anweisungen, die er freundlich vortrug, in gewählter Sprache, welche er jedoch immer wieder mit den unanständigsten Ausdrücken garnierte, die je ein Mann zu ihr gesagt hatte, was sie umso mehr anstachelte. Sie flehte ihn an, sie wolle seine Hände, seinen Leib spüren, sie bettelte. Doch er sagte ganz ruhig: „Alles zu seiner Zeit!“

Erst, als sie beinahe explodierte, begann der Reigen der Ausschweifungen. Dabei wurde nichts ausgelassen. Die Lady vollführte Handlungen und gab sich für Sachen hin, die sie sich vorher nur vage vorgestellt hatte. – Und für weitere Sachen, die ihr noch nie in den Sinn gekommen waren. Am Ende der Nacht spürte sie eine unvergleichliche Ruhe in ihrem Inneren. Eine tiefe Zufriedenheit. Wie nie zuvor.

So ging es dann während langer Monate fröhlich vonstatten. Untertags behandelte John Borderless unsere Lady von Caen-Tabasco mit ausgesuchter Höflichkeit, unterrichtete sie über das Meer, die Kunst des Segelns, die Fische und im Schwertkampf, verwöhnte sie nach Kräften.

Doch nachts war sie sein Freudenweib, seine willige Sklavin der Lüste, die er auf ganz andere Art und Weise unterrichtete, in der Wissenschaft der brennenden Leiber nämlich, dabei liess er sie allerlei exotische Kostüme tragen, die ihren herrlichen Corpus nur wenig bedeckten.

Und alsbald verlor die Lady ihr reines Herz an den lüsternen Piraten. Sie wollte für immer bei ihm bleiben. Eines Sonntags heiratete sie der Kapitän. Auf den Planken des Schiffs. Der Bordarzt vollzog die Zeremonie. Ihr glücklichster Tag. Auf den eine Nacht folgte, eine lange Nacht, schmerzhaft-lüstern, dies an der Grenze zur Idiotie, die sich für immer in ihre Seele einbrannte.

Dann kam der Tag, an dem die Piratenflotte anlegte. Am Strand jenes kleinen exotischen, immergrünen Palmen-Eilands, dem Versteck der Freibeutermeute, von Meerjungfrauen umschwärmt. Ach, die Meerjungfrauen. Mit ihren silbernen Zungen…

Alle waren geschäftig. Die Beute wurde entladen. Die Piraten wurden von ihren Frauen und ihrer Dienerschar willkommen geheissen. Und John Borderless führte die Lady zu seinem grossen, von starken Mauern umgebenen Anwesen, das in der Mitte der Insel stand, auf einem Hügel, der einen guten Blick über die Fluten des Ozeans gewährte. Das Tor wurde geöffnet – und John sagte: „So, nun sollst Du meine anderen sechs Frauen kennenlernen.“ Eine Überraschung, fürwahr.

Sechs grosse Kaperfahrten hatte der Kapitän bereits unternommen, auf denen er sechs vornehme Damen entführt, im Laster unterwiesen und geheiratet hatte. Unsere Lady war nun Nummer sieben. Damit musste sich die Lady von Caen-Tabasco abfinden. Das war anfänglich gewiss nicht leicht. Aber mit der Zeit fand sie sich in ihr Schicksal. Zumal es auf dem Pirateneiland immerhin nicht todlangweilig war. Wie einstmals in der Festung ihres ehemaligen Gatten, des Fürsten mit der langen, spitzen Nase.

Es gab hier gutes Laudanum, jede Menge Rum und ein gar wunderliches Kraut, dessen Rauch so angenehm berauschend war. Unsere Lady entwickelte Freude daran, mit den anderen Ehefrauen des Kapitäns fleischlich zu verkehren, wenn der Meister auf grosser Fahrt war. Wenn er dann im Haus weilte, schaute er den Damen gerne bei derlei Kurzweil zu, am liebsten auf dem Innenhof des Anwesens. Nachts. Im Feuerschein.

Manchmal schnappten sich die sieben Frauen einen jungen Piratenzögling, brachten ihn ins Haus, weihten ihn stundenlang ein, in jene weite Welt der Ausschweifungen, die ihnen der Kapitän beigebracht hatte, bis er komplett erledigt war, was sie amüsierte. Dabei war der Zögling der hechelnde, stöhnende, um Erlösung bettelnde Sklave, eine Erlösung, auf die er lange warten musste, die am Ende, wenn die Ladies endlich zufrieden mit ihm waren, jedoch eintrat, einem Hirnschlag gleich, was ihn beinahe das Bewusstsein kostete. Und die Ehefrauen des Kapitäns waren die lachenden Herrscherinnen der Stunde.

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

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Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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