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Cheerio, Wonder-Underdog!

Ein Pappkamerad war er, in der Küche einer Kreuzberger Ladenwohnung in den achtziger Jahren. Rings um ihn herum sein Fanclub: Punks, ein schwarzer Kater und die obligatorische Ratte. Sein Name: Donald Duck.

Punks und Ratten sind längst verschwunden im post-punk-faktischen Zeitalter. Er jedoch hat überlebt. Donald Duck mauserte sich zur Kultfigur aller Establishment-Gegner. Noch heute sitzen wir wehmütig bei Crémant und Macarons beisammen und gedenken des Helden unserer Jugend. Einen Toast auf Donald!

Donalds Mythos – Winner in Potenz

Wenn alles dem Untergang geweiht ist und Hardcore-Anarchos Mutationen zum Bildungsbürger vollziehen beziehungsweise dem schnöden Siegeszug der Zeit unterliegen, worin besteht dann Donalds Mythos? Donald ist ein Zwitter, Loser und Winner zugleich. Donald ist der virtuelle Winner, der Winner in Potenz. Dafür lieben wir ihn! Nicht genug, dass wir im christlich-jüdischen Abend- und Disneyland hässliche Entlein in strahlende Schwäne verwandeln, wir weihen den Sinn unseres Lebens dem Underdog. Sind wir erst einmal selbst dem Dasein der Unterprivilegierten entronnen, kämpfen wir für die Rechte der Entrechteten, Bildung und Wohlstand für alle. Wir wollen ihn siegen sehen, Donald Underdog Duck! Einen anarchischen Sprung in das Golddukatenbad soll er machen und den Dagoberts dieser Welt die Bling-Bling-Dollarzeichen-Augen auskratzen – ja, das ist unsere Devise!

Willkommen im Establishment!

Von unserem hehren Motto lassen wir uns nie und nimmer abbringen. Dafür nehmen wir sogar die Unbill des Beamtentums auf uns, faule Eier für die Journaille-Canaille und Crémant statt Champagner. Auf der sozialen Leiter sind wir gerade so weit geklettert, dass wir sehen, was da unten passiert, ohne aber den Sicherheitsabstand nach oben zu verlieren. Wir richten uns ein in der Zone der Guten und Gerechten, lamentieren über die neue Dekadenz der vom schnöden Mammon Besessenen und das Unterschichtsfernsehen. Und eh wir’s uns versehen sind wir da angelangt, wo wir niemals sein wollten: im Establishment! Als Künstlern der Selbstverleugnung und -bestärkung gelingt es uns jedoch mit Bravour, unseren Idealen unverbrüchlich treu zu bleiben. Wir treten für soziale Gerechtigkeit ein und zwangsbeglücken das kulturelle Proletariat. Unsere Ästhetik und die Idee davon, wie man zu leben hat, erheben wir zum Maß aller Dinge, wobei wir selbstverständlich das Maß dekonstruieren und neu zusammenfügen. Schließlich wollen wir uns nicht einer spießigen Norm unterwerfen. Ganz individuell gehen wir dabei vor: Chacun à sa façon! Gleichberechtigt lassen wir Argumente und Diskurse unserer MitstreiterInnen gelten. Wir zollen den Gegnern Christian Krachts genauso Respekt wie seinen Verfechtern, mühen uns ab mit Rezensionen über Sloterdijk und Houellebecq um der Diskurskultur willen. Wir sind die Normensprenger der Kapitalismus- und Sozialkritik! Cin Cin!

Häme für die Meritokraten

Das Schicksal aber straft uns: Verdammnis von oben und unten! Hedonismus werfen sie uns vor, Dekadenz! Unsere Kampfbegriffe richten sich plötzlich gegen uns selbst. Verachtung schwappt uns entgegen, obwohl wir doch die Fahne des Humanismus hochhalten, das Hässliche der Wirklichkeit mit Feingeist und Bonmots verdecken und den Fratzen der Financiers ein menschliches Gesicht zeigen! Die Geldelite verachtet uns als schwächliche Décadents, die Unterprivilegierten als verlogene Bagage, die Almosen aus dem Staatssäckel verteilt und über den White Trash lästert. Häme schütten sie aus über uns Meritokraten! Haben wir das verdient?

Faustisch-heroische Opportunisten

Während wir jammern und klagen, erkennen faustisch-heroische Opportunisten ihre Chance. Sie erinnern sich an unsere Mythen, wissen, dass nur der Underdog Sympathien und Wählerstimmen hinter sich vereint. Im Zweifelsfall immer für den Underdog! Der Sieg ist um so köstlicher! Wie sagte schon der andere Donald? „I always want to think of myself as an underdog.“

Die Krokodilstränen des Establishments über das Elend des Kulturproletariats und die eigene Misere bereiteten der Märchenente den Weg ins Paradies.

Tricky Donald Underdog Duck

The tricky thing ist, dass es Donald T. gelang, Donald Underdog Duck und Dagobert in Personalunion zu sein. Die gesamte Kampagne war ein Spektakel, das den American Dream, den Siegeszug des Underdogs grandios in Szene setzte. Donald, der Bauarbeiter, rough’n raw, Donald, der Proll, der es bis ins Weiße Haus schafft! Der faktische Hintergrund spielte dabei keine Rolle, die Grenzen zwischen Wirklichkeit und virtueller Wirklichkeit verschwimmen ohnehin. Was danach passiert, was uns erwartet, was wir am eigenen Leibe zu spüren bekommen, bleibt abzuwarten.

No more crocodile tears! Auf nach Entenhausen!

In der Zwischenzeit frönen wir des Wahlvolk-Bashings, der Hitler-Manson-Vergleiche und – quelle surprise! – des Selbstmitleids. Im Verborgenen aber lauert er und hat vielleicht längst mit der Umwertung der Werte begonnen, der Underdog in disguise! Höchste Zeit, der Ratio wieder eine Chance zu geben, Klugheit und Sachlichkeit walten zu lassen! Reißen wir den Donald T.s die Maske herunter und schenken dem wahren Donald Underdog Duck endlich Gehör! Das mag unseren ästhetischen Ansprüchen nicht genügen und uns den Apéritif verderben, aber vielleicht fühlen wir uns dann lebendiger als im Textsumpf unserer Selbstbeweihräucherung. Zumindest aber ziehen wir den Post-Whatevers eins über die Mütze!

Also: Hören wir endlich auf, Krokodilstränen zu vergießen! Auf nach Entenhausen!

 

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Autor: Ute Cohen

„Langeweile ist eine Sünde, für die es keine Absolution gibt.“ (Oscar Wilde)

Aus gutem Grunde verlässt Ute Cohen nach dem Abitur das kleine fränkische Dorf, in dem sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hat. Das Studium der Linguistik und Geschichte und eine Dissertation folgten. Schließlich
war es an der Zeit, den Elfenbeinturm zu verlassen. Amerikanische Unternehmensberatungen lockten. Business statt Beckett!
Dann von Düsseldorf nach Paris: Kinder, Küche und Arbeit für eine internationale Organisation. Zurück in die Welt der Wirtschaft mit Kommunikationsberatung und Ghostwriting in Paris, Frankfurt und Berlin. Im Februar wird ihr erster Roman im Septime-Verlag veröffentlicht.

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