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«i dem moment hesch du mir s glück uf d’erde bracht»

https://www.youtube.com/watch?v=J0dI54QgT1o

Konzertberichte sind immer so eine Sache. Da steht man irgendwo im Publikum, schaut sich das Ding an, geht nach Hause und schreibt dann irgendwann, was man gesehen hat. Und damit selten, wie es sich wirklich angefühlt hat. Das geht meistens verloren, irgendwo zwischen der Konzerthalle und der Wohnungstür. Ich hatte die Idee, dass wenn man so zeitnah wie möglich seine Gedanken zum Geschehenen formulieren könnte, und dass, wenn man das aus der Sicht der Band machen würde, man dieses Gefühl hinüberretten könnte. Also hab ich mich beim Baschi-Konzert in Pratteln unter die Musiker gemischt und bin mit Ihnen auf die Bühne, hab mir einen Stuhl genommen und mich mit meinem MacBook zwischen dem Schlagzeug und dem Bass hingesetzt.
„Ich mus na rasch go schiffe“ – „Wie machi immer? Woohoo, ich sege dankeeee..woohoo..etz muni aber na mini Stimm schone.“ – „Wenn spillemer eigentlich?“ – „Hesch mer auna e Zigi“ – die Jungs sind super, ich liebe sie wenn sie auf der Bühne rocken, und ich liebe sie noch mehr wenn sie sich vor dem Auftritt auch nach 9 Jahren fast in die Hosen schiffen.

Nervös sind sie alle. Ausser Nico, Nico scheint entspannt. Der Fels der Gruppe. Eine gewisse Angespanntheit sei bei jedem da, das brauchts, sagt Kutti. Ich frag Baschi ob er schon nervös ist, die Anspannung fühlt. Er hört mich nicht, sieht mich nicht, Phil lacht, das sei immer so, der hört jetzt nichts mehr. Er will eine geile Show abliefern, heute im Heimatskanton. Ich bin gespannt. Angespannt, aus reiner Solidarität, wie sichs gehört, schliesslich geh ich mit auf die Bühne, werde in die Tasten meines Laptops hauen, als würde man meine Sätze hören können.

Nico spielt an. 3,2,1. Bumm. Der Platz neben Pim wäre ruhiger gewesen. Bumm, bumm. Luca und Phil, kommen auf die Bühne, Bumm, bumm, bumm. Pim schleicht sich hinters Keyboard, steigt ein, die Girls kreischen. Wo ist er? Die Drums direkt neben mir dröhnen, ich spür den Bass bis in die Knochen. Alle Hände in der Luft. Baschi lässt warten. Nicht lange, dann kommt auch er von hinten, an mir vorbei, schneller Klaps auf den Hintern, danke, dir auch viel Glück, es geht los: „Es git Zyte, woni mi a jedi Note chlammre, woni wart das öpis passiert, wo mi packt und ich nie me verlier …“ die ersten Zeilen des Eröffnungssongs „Hart a de Gränze“, das Gekreische wird lauter, die Band legt gleich zu Beginn los, ein perfekt eingespieltes Team. Brüder im Geiste, Brüder auf der Bühne, ich blicke raus in die Menge und geniesse den Moment, die Lichtshow, die Augen all dieser Menschen, mit all ihren Geschichten, geschlossen, alle Lippen den Song begleitend, alle Hände über ihren Köpfen, zur Bühne gerichtet, zu Baschi, zu uns. In der Bridge zieht er die Jacke aus, den Girls gefällt was sie sehen, das hört man, und ich sehs. „Prattle! Schön sinder da, unterstützet ois!“ Einstimmig singt die Halle, der Beat baut sich auf, der Startschuss ist gefallen – Nico schreit am Schlagzeug was jeder sieht aber niemand hört. Nur ich. Sein Beat unterlegen tight jene Emotionen die in Baschis Moves, Phils Headshakes und Lucas stoischem Zupfen wiederzufinden sind. „Jede goht sin Weg, einisch mal links, einisch rechts, einisch durab, einisch duruf.. das ischs Lebe, das isch au e Baschi-Show, es chan alles passiere.. sinder parat, Prattle?“ Schön gesagt, denke ich, es geht auf und ab und gerade befinden wir uns auf dem Höheflug. Und ja. Pratteln ist bereit, bereit für die Endstation, bereit für Glück.

Ein Schluck Wasser, und weiter geht’s, ohnikommaohnipunkt, Akustikgitarre über den Schultern. Ich verliebe mich gerade in diesen Augenblick, in dem es scheint, als ob sich beim Spielen der Instrumente die Herzen der Jungs zu öffnen und sich zu finden scheinen, die Musik verbindet Baschi mit Phil, Phil mit Nico, Nico mit Pim, Pim mit Luca. Klingt das kitschig? Ist es auch. Aber was man im Publikum jeweils nicht sehen kann sind diese Blicke die sie sich zuwerfen wenn was schief geht oder sie gerade richtig im Flow sind. „Ob welle riite uf Hawaii, oder am Chef eifach d Meinig seisch, mach das wo dir dis Herz seit..“ sagt Jimmy, und recht hat er.
Und mit einem Mal versinken wir alle im Liebeskummer, singen gemeinsam zu Jemandem, den wir nicht vergessen haben. „..i dem Moment hesch du mir s Glück uf d Erde bracht“ , ich schau raus, und blicke in ein rotblaues Händemeer.

Die ersten Takte von „Alte Baum“ schlagen in der imposanten Halle wurzeln, die Mädels tanzen, nach kurzer Aufforderung sind die Arme erneut in der Luft, ein „Woohoo“ den Fans entgegen, ein „Woohoo“ von den Fans an uns, ein „Woohoo“ von Nico, ein „Woohoo“ von mir. Er gibt dem Publikum alles, und das Publikum ihm auch. Ein Baschi-Konzert is ein Happening, da wird gelacht, geflirtet, gekreischt und ein Heiratsantrag gemacht. „Ich ghör da grad öppis“ und eine Nadia wird gerufen, sie solle auf die Bühne kommen. Nadia, eine Frau ausdem Publikum,geht an mir vorbei, weiss nicht wie ihr geschieht. Ob sie nervös ist, frag ich nun auch sie, die Frage ist ja gerechtfertigt. Sie sagt nichts, zieht bloss die Augenbrauen hoch. Nun steht sie vorne, und von der anderen Seite der Bühne kommt ihr die Liebe ihres Lebens entgegen: „Zweiehalb Jahr simmer zeme, ich han dich da dörfe kennelerne, de Baschi het en schöne Text i sim Lied Chalti Brise, „du bisch mini Droge, die Einzigi für mich. Jetzt hani mitem Baschi i letzter ziit guete Kontakt gha und ha ihn letzt Wuche gfragt obi mini Traumfrau jetzt dörf frage.. wetsch mini Frau werde?“ Bumm. Kreischen. Jubel. Kuss. Sie will. Er will. Wir wollen alle, „ und es rägnet Gold vom Himmel, das muess s Glück uf Ärde si, und ich wills für immer, eifach nur no bi der si.., s isch wienes Füüürwerch wo nie ändet, s‘isch wienen Traum, ohni dasde schlofsch…“ Der Moment ist für die Ewigkeit. Alle verschwinden, nur Baschi nicht, ich steh auf, dimme das Licht meines Laptops und stelle mich in den Hintergrund.

Die Bühne leer, nur ein Spot hüllt sich um Baschis Schultern, von wo es sanft auf die Bretter tropft, die Gibson windet sich um seinen Hals, die Mundharmonika blitzt auf, die ist neu, aber er spielt sie genau so passioniert wie er die Show auf die Beine stellt. Und die Augen der Girls, die ich in den ersten beiden Reihen sehen kann, funkeln verliebt, in seinen Charme, in seine Ehrlichkeit, in die Stimme, in das Lächeln, das er ihnen immer wieder zuwirft, in diesen Moment. Nach dem einzigen Nicht-Mundart-Song folgt ein Rebel-inc Doppel von Baschi und Phil; „…wer isch de Grösst und de Best, ei sekunde und du bisch weg…“ Wir sind weg, denn die Bühne versinkt für einen Moment in der Dunkelheit, bevor Phil die Saiten wieder anschlägt.
Luca und Nico gehen an mir vorbei an ihre Instrumente, Pim begleitet Baschi einige Takte lang, „gib nid uf gib nid uf, einisch gaht e tüüre uf und du flügsch der-.“ wie immer lässt er die letzte Silbe weg. Der Refrain endet, die sanften töne klingen aus, Und gerade, als man sich fragte, ob er seinen Überflieger Song des neuen Albums neu als Ballade bringt, zählt Nico kurz an und haut drauf. BUMM. Nico gibt Gas. Phil gibt Gas. Luca gibt Gas. Pim gibt Gas. Der Song beginnt erneut mit einer soundtechnischen Riesenwelle, unterstützt von den rockenden Fans, allen voran ein kleiner Junge auf den Schultern seines Vaters mit offenem Mund. Und als Baschi springend und klatschend den altbekannten Hit „chum bringen hei“ anstimmt, breitet es sich zu einem Lachen aus. Baschi geht runter, den Fans noch näher, Hände abklatschend, dem Jungen ein high 5, und plötzlich ist er weg, unter der Bühne durch, von hinten an mir und Nico vorbei, weiterrockend. Der geborene Entertainer. Er wäre ja nicht schon so lange im Business, könnte er nichts bieten, aber er bietet was, und das immer wieder, mal mehr mal weniger, aber konstant authentisch, konstant mit einer Courage, seit 10 Jahren schon auf grosser Fahrt.

„So vill Herze sind verlore, so vill Auge so vill Träne“, so viele Herzen, da unten, und ich hoffe für mich, sie alle verstehen die Botschaft in den Worten dieser im Radio auf und ab gespielten Single. Doch wenn ich darauf achte, merke ich es, und es fährt mir noch mehr ein als Nicos konstantes Schreien, jeder Song dieses neuen Albums, all diese Lyrics scheinen den verlorenen Herzen da unten aus der Seele zu sprechen. „Öffnet euri Auge, fanget ah dra z glaube, es Läbe voller Liebi, cha jedem Mensch sis Ziel sii..“ Der ganze Konzertsaal scheint unter Strom zu stehen. Jedes Lied bisher wurde konstant mitgesungen, die Texte haben sich in die Köpfe gebrannt, kein Wunder, sein aktueller Wurf ist ein grosser. Das allerletzte ausgesprochene Wort auf seinem neuen Album ist „Hoffnung“, sagt Baschi, der letzte Song ist somit angesagt, und es ist heiss auf der Bühne. Ich strecke dem Fotografen, der während der Show auf der Bühne rumhüpft, die Zunge raus und warte darauf, dass Kutti neben mir auf der Bühne erscheint. Er scheint aber nicht zu kommen, bis ich sehe dass er von der Mitte aus die Bühne betritt und gleich loslegt. Chalti Brise entfacht ein Feuer im Publikum, Baschi legt seinen Arm um Kutti und das Duett beginnt. Sie feiern gemeinsam, sie feiern mit den Fans. „Kutti MC! Merci!“ Beim Applaus dröhnts nicht mehr ganz so sehr wie am Anfang, man weiss es kommt zum Ende, doch wir tragen sie noch einmal zu den Sternen. Ein Blick zu Phil, ein blick zu Marc der hinter der Bühne fürs Rechte sorgt. Das sieht auch keiner da draussen, doch er hat das Ganze schön im Griff. Irgendwie wunderbar.

Jetzt sagt er es, und wie macht er immer? „Oohooh, und ich sege dankeeee..“, dass sie alle kamen, er sagt er wisse, woher er komme, er sagt danke, seiner absoluten Hammerband, sie sollen Lärm machen für seine Band, sie machen Lärm, sie sollen Lärm machen für seine Crew, sie machen Lärm, und noch mehr Lärm für Kim, Tourmanagerin und Geburtstagskind, seit 8 Jahren mit dabei, teil der Familie, er sagt danke, danke den Fans, die Fans machen noch mehr Lärm, bedanken sich auf diesem Weg zurück, „Merci Prattle!“ Abgang.
Aber Pratteln hat noch nicht genug. Zu-Ga-Be wird verlangt, lautstark. Der Lärm hält an und schwupp, die Band ist wieder da, gemeinsam mit Kutti, der freestylet was das Zeug hält, während ich die mit Leichtigkeit zusammengeworfenen Reime gar nicht erst abzutippen versuche, und ein Kameramann hinter mir die Tasten meines MacBooks filmt, wie er vorher die Bandmitglieder filmte. Die Hände zum Beat in der Luft schwenkend, wie es sich gehört, fühlen die Fans den Augenblick, fühlen Baschi, fühlen Kutti, fühlen, dass sich da zwei Jungs gefunden haben in Ihrer Unterschiedlichkeit und mit Ihrem gemeinsamen Auftritt eine Brücke zwischen ihren musikalischen Welten zu schlagen vermögen.

Ich für meinen Teil, lehne mich zurück und geniesse es, freu mich auf Backstage, ein kühles Bier, eine Zigarette. Kutti geht schon mal vor, das gedimmte Rotlicht flutet den Raum kitschig romantisch. „Okay, mir chömed zum letschte Song.. er heisst „heb mi“, nemed eui Liebschte id Ärm.. danke sinder alli cho..“ Viele halten sich, Augen geschlossen, die Melodie geniessend, und ein allerletztes Mal geht die Band gemeinsam richtig ab. Die Halle dröhnt. Und in der Welt, in der Jeder so alleine scheint, war der gemeinsame Nenner heute Abend dieses Konzert, diese Musik, dieser Moment. Die Hoffnung.

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Autor: Angela Kuhn

Angela Kuhn (*1994). Im Herzen Stadtzürcherin. Auf dem Papier aus Winterthur. Ein wenig noch aus Sizilien. Und ein wenig aus der Rioja. 19 Jahre alt und erfahren, in den Augen der Geschwister. 19 Jahre jung und ahnungslos, in den Augen der Welt. Schreibt immer mehr, aber noch zu wenig. Spricht immer weniger, aber noch zu viel. Weiss nicht mehr woher, weiss noch nicht wohin. Fragt sich, wie die Welt hinter Schulbüchern aussieht - vielleicht glitzert sie. Mag alles Glitzernde. Und Kaffee. Ist ein Sommermensch. Und Ästhetin. An Weihnachten Christkind. Singt ein wenig. Spielt Gitarre. Und Schlagzeug. Und Uno. Nichts davon wirklich schlecht, nichts davon wirklich gut. Nicht religiös, weil noch keine für sie glaubhafte Religion erfunden worden ist. Bleibt Weltoffen. Setzt auf die Zukunft.

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Dave Hause im Dynamo Werk 21, 29. November 2013