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Korhelovica oder: Weihnachten bei Mami

«Was machst Du am 24.? Kommst Du zu mir?» fragte meine Mutter Mitte Dezember. «Leider nein, ich habe schon zwei Anfragen, so einsame Herzen», die Antwort ihres Rabensohns. Also von mir.
«Ach ja, und ich bin etwa kein einsames Herz?», sagte meine Mutter zwar nicht, sondern dachte es nur erstaunt über mein Vertrauen ihr gegenüber, dass sie «den Weihnachtsabend ohne Schaden auch sehr gut alleine verbringen kann», wie sie mir später erklärte. Zumindest Karma hatte Erbarmen und stornierte die Angebote, so dass ich doch an Heilig Abend am 1906 erbauten Wohnhaus in Zürich Wollishofen klingelte.

Höhepunkt bei meiner Mutter an Weihnachten ist das Essen (einverstanden – bei welcher Mutter schon nicht?). Eine der Standardspeisen ist die Sauerkrautsuppe: Korhelovica – zu Deutsch: Säufersuppe. Denn nach durchzechter und durchsoffener Nacht soll diese Suppe nähren und Kater hemmen zugleich. Aber vor allem schmeckt sie! Ingridenzien sind – oh, Überraschung – Sauerkraut, Kartoffeln, Pilze, Schinkli und pikante Paprikawürste. Eine Delikatesse – die ich mir aber Jahr für Jahr redlich verdienen muss.

«Ah, super», sagte sie zur Begrüssung, zwei Worte, die (zumindest mir gegenüber) zu ihrem Basiswortschatz gehören. «Da kannst du mir grad noch was installieren.» Äh… aaaahja. Es ist eben so, dass ich meiner Mutter an Weihnachten IMMER etwas installieren muss. Sei es ein neues iPhone oder iPad konfigurieren, einen WiFi-Router zum Laufen bringen oder – wie heute – ihr neues UPC Cablecom Horizon konsumfertig einrichten. «Ich habe eine neuen Fernseher», beantwortet sie meinen fragenden Blick. Einen neuen Fernseher?! HEILIGE SCHEISSE!! Das ist kein Fernseher, das ist eine LED-Wand, gross genug, um am Hauptbahnhof Zürich die Reisenden mit Werbespots einer Instantgehirnwäsche zu unterziehen. Sofort spürte ich ein unschönes Gefühl in meinem Bauch – purer Neid! Auf meine Mutter! Und das an Weihnachten – pfui! Aber Jesus vergibt allen. Oder war das sein Vater?

«Warum eigentlich ein neuer Fernseher?», fragte ich, war doch der Vorgänger noch immer grösser als mein eigenes Heimkino. «Ich konnte die Untertitel nicht mehr lesen.» Aha. Es kommt also doch auf die Grösse an. Erst recht im Alter.

Auf actio folgt reactio und blöde Fragen stellen kann meine Mutter genau so gut, wenn nicht sogar besser: «Und was läuft bei dir mit Frauen?» Das war der Moment, an dem ich mir überlegte, die Wirksamkeit der Säufersuppe im Selbstversuch zu testen. Dazu müsste ich mich aber vorher randvoll laufen lassen. Und genau darauf hatte ich plötzlich unbändige Lust. Aber da diese Frage genau so zum jährlichen Ritual gehörte und ich noch eine komplizierte Aufgabe zu erledigen hatte, verschob ich das Besäufnis auf den nächsten Tag.

Den Fernseher hatte sich meine Mutter liefern und installieren lassen, er stand bereits auf ihrem rollbaren TV-Möbel, das eigentlich robust und ansehnlich war, aber unter dem riesigen Flatscreen wirkte wie aus einem Überraschungsei. Vorsichtig rollte ich das ganze nach vorne, legte mich, soweit es der Platz zuliess, hinter die Installation und begann, Kabel aus-, um- und einzustöpseln. Nach getaner Arbeit erhob ich mich und sagte: «Lass es uns zuerst ausprobieren, bevor wir das Teil wieder nach hinten rollen.» – «Ja», sagte meine Mutter – und rollte das Teil wieder nach hinten.

Es funktionierte, zum Glück. Dann kam der Part, der jedesmal genau gleich abläuft: dazu muss ich vorausschicken, dass meine Mutter Bedienungsanleitungen grundsätzlich nicht in die Hand nimmt, geschweige denn liest – so, als könnte man von ihnen Krätze bekommen – oder Augenkrebs. Es kam nun also: die Instruktion. «Mit dem Knopf kannst du das und das und mit diesem Kopf hier das… schreibst du es dir diesmal auf?» – «Ja, ja…» Sie kritzelte eine Skizze der Fernbedienung und fing an, die Tasten anzuschreiben. Für einen Aussenstehenden mochte das vielversprechend aussehen. Mich konnte es nicht mehr täuschen. Wenn ich in ein paar Monaten nachfrage, ob sie je eine Sendung aufgezeichnet und geschaut habe, wird sie mir einen gekreuzten Blick zuwerfen und sagen: «Na.» Auf meine Frage, warum nicht, wird sie antworten: «Weil ich nicht draus komme wie das geht.» Worauf ich genervt sagen werde: «Aber ich habe es dir doch genau gezeigt. Und ausserdem hast du eine Bedienungsanleitung…» Und sie daraufhin selber genervt in der Wohnung hin und her laufen und irgendwelche wichtigen dringenden Tätigkeiten vortäuschen würde, um diese Diskussion nicht weiterführen zu müssen. Ja, Familienrituale an Weihnachten sind schon was Schönes!

 

Bild 1: Korhelovica

Bild 2: Zur Vorspeise gab es Kabelsalat

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Autor: Henrik Petro

In den 90ern prägte Henrik als Moderator von Sputnik TV trotz seines Ostschweizer Dialektes die Erinnerungen der Partyjugend bis heute. Während mehrere Jahre war er Chefredaktor des gleichnamigen Magazins. Später schrieb er fürs Fernsehen (u.a. Chefautor von Dieter Moor und Rob Spence, eine Folge der SitCom "Fertig Luschtig") und produzierte auch (u.a. 150 Folgen von "Der Scharmör"). Er war die ersten Jahre von Radio Street Parade Musikchef und war dann später einige Jahre Autojournalist.

Arbeitet heute hauptberuflich als Frauenversteher, aber da er von seinen Freundinnen, BFFs, Kolleginnen und wem er sonst noch sein epiliertes Ohr leiht, kein Geld dafür verlangen kann, dass sie ihm ihre Männerprobleme in allen Details schildern, arbeitet er zusätzlich noch gegen Entgelt als Chefredaktor in einem Fachverlag. Damit sein Hirn unter dieser Belastung (und wegen Handy-Antennen) nicht explodiert oder eine Selbstlobotomie durchführt (was ihm zwar die Aufmerksamkeit von Gunter von Hagen garantieren und somit zur Unsterblichkeit verhelfen würde), schreibt er Kolumnen für kult. Am liebsten über menschliche Begegnungen. Oder überhaupt über Menschen. Oder darüber, was Menschen so tun. Oder getan haben. Oder tun könnten. Oder sagen. Oder gesagt haben. Oder sagen könnten.

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