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AUF DEM OLYMP DES ALKOHOLSPORTS

Mein Freund Paul ist Extremtrinker. Eine Zeit lang wurde er von einer kleinen aber taditionsreichen Whisky-Destillerie unterstützt, die im verwunschen schottischen Hochland liegt. Dort oben, wo die Winde über das Grün fegen, wo das Quellwasser rein und pur ist. Wie der rosafarbene Gaumen einer Jungfrau. Dieser erste Sponsoring-Vertrag hat unseren Paul hochgebracht. In die Ränge jener ernstzunehmenden, vollberuflichen und lizensierten Extrem-Alkoholsportler, die sich immer neue Ziele stecken, die immer neue Hindernisse überwinden, deren Berufung es ist, immer mehr, immer länger zu trinken, dabei zu triumphieren – und zu überleben.

Dies unter den Augen der Medien und damit auch der Weltöffentlichkeit.

Wer in diesem Sport seine Sponsoren behalten will, muss sich zunehmend massiveren Herausforderungen stellen. Immer mächtigere Quantitäten, immer härtere Alkoholika, immer länger aushalten, lautet die Devise. Dafür sollte man schon eine eiserne Leber und eine unglaublich stabile psychische Verfassung mitbringen. Ein Balance-Kraftakt zwischen Zirrhose und Delirium Tremens. Natürlich lieben wir es, wenn wir Paul – oder einem seiner Brüder in Spiritu – am Fernsehen oder auf dem Internet dabei zusehen, wie er beispielsweise, während exakt gestoppten 24 Stunden, elegant und erfolgreich 32 Flaschen Fassabfüllung niedermacht. Und dabei nicht mit der Wimper zuckt. Im Rahmen einer Meisterschaft in jener speziellen Hochoktan-Disziplin des Extremtrinkens etwa, der so genannten Königsdisziplin, wir reden hier von 57 bis 77 Prozent Alkohol.

Aber insgeheim warten wir Zuschauer halt auch immer ein bisschen auf den Unfall, auf den Absturz, auf die Tragödie. Natürlich gib es beim Alkoholsport hin und wieder schwere Unfälle, tödliche sogar, Risse in der Leber, Magenblutungen, Schädelbrüche, wenn die Athleten mit schwerem Kopf und ungebremster Wucht auf den Tresen knallen.

Mit Tränen in den Augen erinnern wir uns etwa an den erfahrenen chinesischen Alkohol-Athleten Sin-Ka Jun, der beim grossen Preis von Kanada, in der monumentalen Alcodrome-Halle zu Toronto, sein Leben aushauchte, er hatte gerade die einundzwanzigste Flasche Calvados angesetzt. – Die Schreie, das blutige Erbrochene, die Augen, wie sie aus ihren Höhlen quollen. Bilder, die man nie vergessen kann.

Aber in den letzten Jahren wurde vom Weltverband viel für die Sicherheit getan.

Dieses Element der Gefahr unterstützt die Dramatik des Alkoholsports, befeuert dessen Attraktivität für ein Millionen-Publikum, das beim riskanten Tanz auf dem Vulkan der hohen Prozente mitfiebert. Natürlich gibt es auch kritische Stimmen, die anmelden, dass Jugendliche sich an den Alkohol-Athleten ein negatives Beispiel nehmen könnten.

Doch mein Freund Paul hat in einem berühmten Interview zu diesem Punkt Klartext gesprochen:

„Auch unsere jungen Fans wissen, dass wir hoch trainierte und disziplinierte Spitzensportler sind. Es ist ihnen klar, dass die Mengen an hochprozentiger Alkoholika, die ich im Rahmen eines Wettbewerbs zu mir nehme, einen normalen Menschen etwa 16 oder 20 Mal töten könnten. Ich kann diese Leistungen nur erbringen, weil ich körperlich und mental extrem fit bin. Ausserhalb meines täglichen Trainings und der Wettbewerbe nehme ich übrigens keinen Tropfen Alkohol zu mir. Natürlich gibt es immer wieder Spinner, die meinen, dass sie uns ohne propere Vorbereitung nachahmen können. Aber das gibt es beim Extrembergsteigen auch. Es steigen ja immer wieder einmal so Spinner mit einem Wäscheseil in die Eiger-Nordwand ein. Und niemand macht Reinardt Messer dafür verantwortlich. Irre gibt es halt überall. Aber die meisten Fans des Alkoholsports sind ganz vernünftige Leute. Sie lieben die Spannung, die sportliche Eleganz und die ganz spezielle Stimmung an den Wettbewerben. Sie trinken selber in der Regel massvoll und niemals, bevor sie ins Auto steigen.“

Wie alle seine Alkohol-Athletenkollegen macht auch Paul bei Aufklärungskampagnen mit, die vor den Gefahren von Alkohol am Steuer warnen – oder zum massvollen Umgang mit Suchtmitteln und zum regelmässigen Überprüfen der Leberwerte mahnen. Wer das Extremtrinken vernünftig anpackt, mit einem guten Trainer und einem ebenso guten Team im Rücken, wird eins ganz sicher niemals: Alkoholiker.

Auch Paul hat einst natürlich ganz bescheiden in den unteren Ligen des Alkoholsports angefangen.

Bereits als Jugendlicher hat er im Ortsverband der Bier-Wetttrinker sein beträchtliches Talent unter Beweis gestellt. „Wir wussten, dass der Junge über Talent verfügt, er hatte von Anfang an ein Händchen für den Alkohol. Wir ahnten, dass er einmal ganz nach oben kommen würde, wenn er nur eifrig und ernsthaft dranbleibt“, so Elisabeth Vennetelli, die Präsidentin seines damaligen Alkoholsport-Vereins.

Böse Zügen behaupten, dass Frau Vennetelli ihrerseits – in langen Trainingslager-Nächten – unseren lieben Paul ausgetrunken habe, dies weidlich, bis jeweils nichts mehr gekommen sei.

Sie half  Paul jedenfalls dabei, seinen ersten Sponsor zu finden, einen sympathischen Bierbrauer aus Unterdorf, für den er dann so manche Meisterschaft in der jungen Bier-Wetttrinker-Liga gewonnen hat.

Bald wurde die Alkoholsport-Förderung des Bundes auf das junge Talent aufmerksam.

Und schon folgte der Wechsel ins Profilager.

Dabei wählte mein Freund Paul einen ungewöhnlichen Weg. Er ging vom Bier sogleich zur hochprozentigen Alkoholika über. Die Weinliga und die Likörliga hat er einfach ausgelassen. Das war, um einen Vergleich aus dem Automobilsport anzuführen, wie wenn einer von der Seifenkistenliga direkt in die F1 einsteigen würde. Lediglich der Jahrhundert-Alkoholsportler Gustav Brauer aus Bayern hat diesen direkten Wechsel vom Bier zum Brand seinerzeit gemeistert, Jahrzehnte vor meinem Freund Paul. Aber das war noch anno Holz, bevor der grosse Krieg die Welt für immer verändert hat, in den Pioniertagen des Alkoholsports, als es noch zwei Verbände gab. Heute gibt es ja nur noch die T1001, ein Millionenbusiness, kontrolliert vom legendären marokkanisch-monegassischen Krösus Jean Byte, einer ominösen Gestalt, meist leicht schwankend unterwegs.

Viele Kenner des Sports haben dem jungen Paul damals den gnadenlosen Absturz prophezeit. Doch er hat alle Kritiker Lügen gestraft. Gleich am Anfang seiner Karriere hat er den grossen Preis von Aberdeen eingefahren, stieg sodann mit Macht in den dritten Rang des Weltklassements auf. Natürlich wurde er von den Sponsoren und den Groupies umschwärmt. Bald schon reichte seine Frau Heidi-Ruth die Scheidung ein. Sie hatte Paul im Grand Tonic Hotel Biarritz bei einer Sexorgie mit vier jener Alkoholsport-Groupies in flagranti erwischt, die man gemeinhin Tresenluder nennt.

Seinem Sponsoren hielt er hingegen jahrelang die Treue, jener kleinen aber taditionsreichen Whisky-Destillerie nämlich, die im verwunschen schottischen Hochland liegt. Dort oben, wo die Winde über das Grün fegen und das Quellwasser rein und pur ist. Wie der rosafarbene Gaumen einer Jungfrau. Als dann allerdings der sechste Weltmeistertitel kam, konnte dieser Kleinsponsor nicht mehr mithalten, die Logistik wurde einfach zu komplex. Also hat Paul sich schweren Herzens für einen der drei Grossen im Sponsoring Pool des Alkoholsport-Zirkus entschieden: «Edward Gold Scotch Whisky». Mit diesem Sponsor zusammen ist er dann von einem Welterfolg zum nächsten gestürmt.

Natürlich hat Edward Gold meinem Freund Paul während all dieser Jahr unzählige Signatur-Ausgaben seines Whiskys auf die Leber gebrannt, die dann ihren Weg in die Duty Free Shops dieses blauen Planeten gefunden haben, mit Pauls Konterfei auf den Etiketten.

Letztes Jahr wurde Paul bekanntlich in die Ruhmeshalle des Alkoholsports aufgenommen, in Turku, Finnland. Damit war er endlich auf den Olymp seiner Disziplin angekommen.

Doch nun bricht der gute Paul bereits wieder zu neuen Horizonten auf. Er wechselt die Disziplin, als 46-jähriger, das hat es noch nie gegeben. Er sattelt nämlich von Whisky auf Wodka um. Sein neuer Sponsor heisst „Lavrentiy Pavlovich Beria Wodka“. Ich bin sicher, dass mein Freund Paul auch diese Herausforderung hervorragend meistern wird. Unter den kritischen Augen der Weltöffentlichkeit, der Kenner, der Tresenluder und der Fans. Ich wünsche ihm alles Glück dieser Welt – und darüber hinaus!

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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Das Nakatomi Plaza aus «Stirb Langsam»