Auch das drittletzte Interview dieses Jahres aus der Reihe „Rockstars des Alltags“ kommt aus der Brasserie Lipp in Zürich. Wie die letzten zehn auch. Dieses Mal hab ich ein Nachtessen vorgeschlagen, also für einen aus dem Nachtleben eigentlich ein Früshtück. Aber Nici geht Tagsüber an die Uni. So wegen Klischees und so: Auf deren Bestätigung habe ich vergeblich gewartet. Nicht aber auf den Fisch. Der war einmal mehr excellent. Excellent war auch der Einstieg zu diesem Gespräch. Bevor ich Luft holen konnte stellte er die erste Frage. Wär eigentlich mein Job gewesen. Aber das kommt bei diesen Gesprächen aus dem Lipp eh meistens nicht so klar rüber.
Hast Du den Artikel auf Tillate gelesen? Wo sie dieses Mädchen an die Langstrasse geschickt haben um die Schrecken des Kreis Vier zu beschreiben?
Yep. Hab ich. Alex Flach glaub auch. Der hat ihn dann verrissen.
Richtig so. Das war ja auch recht schlimm. Weiter nach unten gehts kaum mehr, da ist nur noch Watson und dann kommt der Boden.
Wieso Watson?
Ach komm, Journalismus in der Schweiz … ein Trauerspiel.
Zum Glück bin ich kein Journalist.
Es gibt schon welche, die gut sind, ein Freund von mir, zum Beispiel, der Christoph Moser …
Mit dem geh ich nächsten Monat hier essen. Kommt dann im November.
Echt? Lustig … den hab ich an der «Fusion» kennengelernt.
Topfnüchtern, nehm ich an.
Ja sicher, Journis nehmen ja keine Drogen. Ich nehm an, Isler und Deine Geschichte von den Ibiza-Openings…
… nur Wasser …
… ja genau … nur Wasser …
… ok, meins war im Gegensatz zu seinem ein bisschen kontaminiert. Aber die Basis war Wasser. Schliesslich wars ein ziemlich harter Job.
Ja sicher, all die Openings machen ist hart.
Und ob. Das ist so ein bisschen wie Kriegsberichterstatter, einfach mit Titten statt Kanonen vor der Linse.
Ich weiss, Isler hat mir ein paar Anektoten erzählt.
Ou … ok.. lassen wirs. Ich weiss nichts mehr. Verdrängt.
Ich glaub, das ist das Alter.
Ich glaub, das ist ok. Ab einem Gewissen Alter hat man das Recht auf Vergessen.
Ja gut, oder Du hast schon soviel Intus, dass Du auch so alles vergisst, ist auch ein Selbstschutz.
Nützt Dir dann nichts, wenn einem ein halbes Jahr später Kollegen die ganze Scheisse wieder um den Kopf haut, nur weil der Isler alles erzählt hat. Aber lass jetzt, ich will ja ein bisschen was von Dir wissen. Was machst Du sonst noch, ausser auflegen?
Also in erster Linie bin ich Student.
Was für einer?
Geschichte, Deutsche Literatur und Geographie.
Oh, Du wirst Lehrer?
Ich werde Lehrer, ja.
Geschichte ist noch heikel, finde ich. Das wird immer so in Stein gemisselt behandelt. Dabei frag ich mich immer: Woher wissen die das so genau? Ich glaube heute kaum mehr etwas, was so unter «Geschichte» vermittelt wird. Geschichte wird ja immer von den Siegermächten geschrieben…
Das ist halt das, was man lernt in der Schule. Das Geschichtsstudium ist komplet anders aufgebaut. Da fängst Du nicht bei der Steinzeit an und hörst bei 9/11 auf, da gibts viele Themen, mit denen wir uns sehr kritisch auseinander setzen.
Ist das geil? Wie lange musst Du noch?
Ich bin jetzt seit vier Jahren dran, jenachdem, wie schnell ich vorwärts mache, habe ich noch zwei bis drei Jahre bis ich den Master habe.
Also sieben Jahre. Könntest es aber auch in fünf Jahren, oder?
Könnte. Aber ich mach ja noch Musik nebenbei und arbeite in einem Restaurant.
Wo das?
Im Hot Pasta, schon seit Ewigkeiten. Ich mach da den Service.
Aber sag jetzt mal, wegen Musik: Was ist das schwierige am Auflegen?
Was «schwierig»?
Was braucht am meisten Zeit? Wieso kann nicht jeder auflegen?
Am meisten Zeit geht drauf mit Sounds suchen.
Die Top Ten von Beatport reichen also nicht aus.
Es kommt immer darauf an, wo Du spielst. Wenn ich in der Zukunft spiele, oder auch an unseren eigenen Partys, da haben wir sehr viele musikaffine Leute, die machen selber zwar keine Musik, aber sie gehen gerne tief in die Materie rein, denen musst Du schon ein bisschen etwas bieten. Wenn ich aber irgendwo in der Innerschweiz spiele …
… kannst Du den alter Koffer mitnehmen …
… nicht gerade den alten Koffer, aber meistens fährt man da gegen die Wand, wenn Du Sachen spielen willst, die niemand kennt. Dabei haben gewisse Tracks aus den Beatport-Charts durchaus seine Berechtigung. Ich bin zum Beispiel ein absoluter Fan von Mihai Popoviciu, ein Rumäne, Produzent und DJ. Mittlerweile steigt alles, was der releast oben in den Charts ein, was auch berechtigt ist. Das heisst doch aber nicht, dass man den dann nicht spielen darf.
Ist das so in der Szene? Wenn etwas zu populär ist, darf man etwas nicht mehr bringen? Wenn mehr als drei Leute Beifall klatschen, ist es plötzlich Scheisse?
Ich find, das ist so eine Gratwanderung. Ich finde es falsch und elitär, sich dem zu verschliessen.
Ich finds weniger elitär als feige.
Wieso feige?
Du mussst nicht mehr drauskommen. Du musst etwas von Musik verstehen, um in einem Mainstream-Track die Qualität zu entdecken. Und dann kann man ihn auch bringen. Wenn Du das aber nicht kannst, dann gehst Du auf Nummer sicher und bringst ihn nicht.
Schau, diese Diskussion ist etwa so alt wie «Digital vs Vinyl only».
Was mir auffällt ist, dass im Elektrobereich die Halbwertszeit eines Hits viel kürzer ist als im Pop oder Rock. Die Liste, die vor einem Jahr superhip war, wirkt heute schon ziemlich verstaubt.
Dann wartest Du zwei, drei Jahre und dann bringst Du den einen oder anderen Track, der vor drei Jahren abging wieder. Da hat dann auch jeder Freude. Aber ja, das Nachtleben an sich ist eher kurzlebig.
Kein Popsong ist nach drei Jahren bereits ein Oldie. Ein elektronischer schon.
Ja, aber das hat mehr damit zu tun, dass es heute so viele Produzenten hat und mit Beatport, Soundcloud, wasauchimmer soviele Kanäle zur Verfügung stehen, wo Du deine Tracks einer Öffentlichkeit präsentieren kannst. Du brauchst kein Label mehr. Du brauchst nicht mal mehr ein Studio. Laptop, Boxen, vielleicht ein Keyboard, reichen schon fast. Du musst mal darauf achten, Flug Zürich-Berlin, wo viele Musiker drauf sind, kurz nach dem Start gehen all deren Laptops auf und dann wird gebastelt.
Das Genre definiert sich auch andauernd neu. House, dann Vocal House, dann Deep House… In Ibiza hatte ich das Gefühl, das Ganze ist nur noch Beats und Bass und Special Effects. BBSE also.
Ja gut, aber das ist halt schon sehr Ibiza. Sehr Tech-Housig halt. Wenn Du drauf bist, ist das zwar geil, aber sonst schon ein bisschen limitiert. In Ibiza hast Du natürlich auch sehr viele Italiener und Engländer, die stehen halt genau auf solche Sachen. Italo-Techno ist eher etwas, was mit irgendwie BPM einfach durchrotzt. Zürich ist da musikalisch näher bei Berlin als bei Ibiza.
Wo liegt der Unterschied?
Wie gesagt, etwas verträumter, etwas melodiöser vielleicht.
Auflegen ist ja eigentlich «Mood» machen. Oder? Ich kann die meisten Tracks ja nicht voneinander unterscheiden. Dann und wann gibts ein Loop, den ich wiedererkenne, aber sonst…
Wenn ich mit meinen Eltern darüber rede sagen sie auch, es tönt alles gleich. Das ist natürlich schon so. Ich fand elektronische Musik ja auch lange scheisse.
Wie kamst Du denn dazu?
Durch meinen allerersten Gastrojob. Ich hab im Liquid gearbeitet. Ich war ein Dance-Hall-Kid …
Wie alt bist Du jetzt?
25.
Da hast Du ja noch gar kein «früher».
Ich mach jetzt seit über sieben Jahren Musik. Ich hatte damals plötzlich gemerkt, dass in diesem Repetitiven eine gewisse Macht steckt.
Und dann hast Du Dir einen Pioneer gekauft und hast angefangen zu üben.
Nein, ich bin dann anfangs meisten mit Luke Redford mitgegangen und hab mehr so an den Bassregeln gemecht. So kam ich langsam rein.
Wenn ich einem DJ zuschaue, einem guten wenigstens, dann kommts mir immer so vor, als sei der Desk ein eigentliches Instrument. Einfach Tracks aneinander reihen und hübsche Übergänge zu machen kann man ja noch schnell, aber mit all den Knöpfen und Reglern erzeugt man erst den Mood.
Ja, das ist schon so.
Kannst Du leben vom Auflegen?
Ja mehr oder weniger. Sonst würd ich ja nicht noch nebenbei arbeiten. Schlussendlich entscheide nicht ich, wieviel ich spiele. Du wirst gebucht oder nicht.
Ist ja auch eine Rhythmusfrage, kannst ja nicht 4 Nächte hintereinander auflegen und am anderen morgen jeweils aufstehen.
Nein, und es macht dann irgendwann auch keinen Spass mehr so.
Was hast Du vorher gemacht? als Du also noch «jung» warst?
Ich war lange Leiter in einer Jugendgruppe. Roter Falke hiess die.
So eine Art Pfadi?
Nein, da wehrten wir uns immer extrem dagegen. Die Jugendgruppe ist aus der Arbeiterbewegung heraus entstanden, in den zwanziger Jahren, die gabs in ganz Europa. Früher waren das die «Jungkommunisten».
Im Seefeld aufgewachsen und dann bei den Jungkommunisten?
Es hatte schon zu meiner Zeit nicht mehr viel mit Kommunismus zu tun. Das einzig, was daran erinnert hat, war die Bezeichnung «rot».
Und was habt ihr da gemacht?
Es ging um Freizeitgestaltung, um Kinderrechte, es ging eher darum, den Kindern am Samstagnachmittag eine andere Welt zu zeigen als nur Playstation und Computer. Ich bin ja schon affin, aber die Generation nach mir, die wächst mit dem Zeugs auf, von Kindesbeinen an. Ich fands als Kind immer totel geil, in den Wald zu gehen und auf Bäume zu klettern. Das Aufkommen des Internet hat das Tempo in allen Bereichen des Lebens extrem beschleunigt. Als ich das erste mal ins Internet ging, war das mit einer 56kb-Verbindung, das ging stundenlang und auch nur, wenn gleichzeitig nicht noch jemand angerufen hat. Heute ist das ein Klick und los gehts.
Als ich 25 war, war SKY der erste Sender, der am Nachmittags ein paar Clips brachte. das wars.
Hast Du da auch so Kassettli aufgenommen mit Stücken, die Du vom Radio aufgenommen hast, und dann zusammengeklebt und so?
Mixtape machen, ja.
Geil.
Ich weiss nicht, wir hatten ja gar keine Alternative dazu. Musik war damals irgendwie noch ein viel wertvolleres Gut als heute. Ich ging am Mittwochnachmittag in Winterthur ins «Pick-Up» und hab mir Schallplatten abspielen lassen. Und wenn die eine Seite dann fertig war ging man zur Kasse und hat gefragt, ob man auch die zweite Seite hören konnte. Skippen gabs da nicht. Man musste das Album durchhören. Und dann kehren für die zweite Seite. Die haben das dann auch meistens gemacht, obwohl sie wussten, dass der Kleine da wohl keine 25 Franken dabei hat, um die Platte dann auch zu kaufen.
Das war bei uns nicht viel anders. Die, die es sich leisten konnten, flogen übers Wochenende nach London oder Mailand, um Platten zu kaufen, die hier niemand hat.
Es ist ja nicht nur die Verfügbarkeit, die heute einfach gegeben ist. Es ist auch die Masse an Musik. Heute gehts weniger darum gute neue Sachen zu entdecken, die Schweirigkeit liegt eher darun, sich durch all die schlechten Sachen durchzuwühlen, bis man die guten gefunden hat.
Aber darum geht es. Sich mit Musik auseinander zu setzen, zu suchen, zu spüren. Das technische hat man noch relativ schnell.
DJ ist ja ein klassischer Aufreisser-Beruf. Oder ist das ein Klischee?
Es ist nicht mehr ein Aufreisser-Beruf, wie wenn man an der Bar arbeitet. Ich glaub, da sind die Chancen grösser.
Gut, man will ja auch nicht jede mit nach Hause nehmen.
Ich sehe, Du willst mich da auf etwas festnageln. Ich denke, dass jeder Mensch, der in einer gewissen Art und Weise im Rampenlicht steht, attraktiver wirkt als andere. Aber ich habe mir darüber echt noch nie wirklich Gedanken gemacht.
Also reden wir von was anderem. Politik zum Beispiel. Du als ehemaliger Jungkommunist … und die neue Generation ist nur noch am Gamen …
Ich habe schon das Gefühl, dass zumindest das politische Interesse meiner Generation im Vergleich zu Deiner Generation deutlich abgenommen hat.
Ist das etwas Gutes oder etwas Schlechtes?
Ich finds eine absolute Katastrophe. Wir leben ja auch in dieser Welt mit, und wenn es an jemandem ist, diese Welt mitzugestalten, vor allem in einer Welt, in der wir noch eine Zeit lang leben wollen, dann an uns.
Klar, aber ist Politik denn das richtige Feld, um die Welt mitzugestalten? Ich mein: Ist die Verweigerung nicht eine Voraussetzung für ein neues System? Weil wenn irgendwann niemand mehr mitmacht …
Du hast ja immer Leute, die mitmachen, das sind dann aber irgendwann vielleicht grad die Falschen. Wenn ich bei Abstimmungen Leute frage, ob sie abgestimmt haben, dann sagen viele «nein, voll nicht».
Ich geh auch nicht mehr abstimmen.
Wieso?
Ob die Take-away-Buden gleichviel MwSt zahlen müssen wie die Restaurants? Komm schon, das interessiert keine Sau. Und ich glaube nicht, dass das Resultat mein Leben verändern wird. Der Weltfrieden wird damit auch nicht hergestellt.
Ja, klar, das ist absoluter Schwachsinn. Aber es gibt durchaus Themen, die Relevant sind, die Abstimmung über die Personenfreizügigkeit fand ich sehr wichtig. Und wenn ich höre, wieviele Leute sich im Nachhinein aufgeregt haben, die aber gar nicht abstimmen gegangen sind, dann kommt mir das Grauen.
Diese Abstimmung war genau meine Ausstiegsmotivation. Ich fands total daneben, wie plötzlich miteinander umgegangen wird, nur weil man in einer Frage nicht der gleichen Meinung war. Die ehemals hochgelobte Diskussions-Kultur unseres politischen Systems ist ziemlich am Arsch. Ich hab Verständnis für jeden der sagt: Bei diesem Scheiss mach ich nicht mehr mit. Wenn jedesmal die Wahlverlierer sich für das ganze Land schämen und das System in Frage stellen, nur weil sie mit ihrem Anliegen nicht durchgekommen sind, ist das eine intellektuelle Bankrotterklärung.
Ja, aber soweit denken die meisten gar nicht. Sie informieren sich ja nicht mal.
Mir gefällt die Idee, dass die Jungen in diesem System der Lügen und Intrigen nicht mehr mitmachen wollen.
Ja, aber es ist keine Haltung, es ist keine Verweigerung, kein aktives Nichtmitmachen. Das könnte ich bis zu einem gewissen Punkt noch unterstützen. Sie interessieren sich einfach nicht, was um sie herum passiert.
Wie ist das in Deinem Freundeskreis?
Die sind alle politisch interessiert bis politisch sehr interessiert. Wir haben etwas auf die Beine gestellt, das nennt sich «Sammelbecken», ist so eine Diskussionsrunde, wo wir Themen besprechen, wo wir jeweils einen Experten einladen. Dann machen wir eine Flasche Wein auf und hinterfragen alles, diskutieren, entdecken neue Ansichten …
Ich überleg mir grad wie das bei mir war mit zwanzig.
… ich bin nicht zwanzig. Ich bin fünfundzwanzig …
… ok, das macht keinen grossen Unterschied für mich…
… für mich aber schon. Aber das hat damit zu tun, dass fünf Jahre bei mir einen Fünftel meines Lebens ausmacht, bei dir nur einen Zehntel.
Der Unterschied liegt auch im zeitlichen Kontext. Ich war in den Achzigern 25. Da gabs nichts Böses, kein Aids, kein Waldsterben, keine Klimaerwärmung, die Börse explodierte und alle hatten Geld. Der Himmel war weit und offen. Heute ist er immer irgendwie bewölkt.
Deshalb wäre es ja auch so wichtig, dass die Jungen sich interessieren. Vielleicht war zu Deiner Zeit die Notwendigkeit nicht so gross. Heute ist sie aber grösser denn je. Schau Dir Hong-Kong an, all die Studenten die da auf die Strasse gehen, oder in Spanien, in Portugal, in Griechenland, dort interessieren sich die Jungen dafür, die müssen sogar, die haben gar keine andere Wahl. Den Jungen in der Schweiz gehts zu gut, auch wenn das jetzt abgelutscht klingt. Muss es einem denn immer erst ans Lebendige gehen, bis man den Arsch hochkriegt?
Der Vorteil des Internets ist hier gleichzeitig auch sein Nachteil. Du hast zwar alle möglichen Informationen, bist aber völlig überfodert damit. Zuviel Information lähmt.
Klar kannst Du relativ wenig zum Frieden in Syrien beitragen. Aber wenns darum geht, Flüchtlinge aufzunehmen, Leid zu lindern, dann kannst Du daran teilnehmen, Dich einsetzen, denn das findet bei uns statt. Wenn man da kommt und sagt, dass interessiere einem nicht, dann find ich das einfach nur beschissen.