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Das Abendmahl

Ich hatte ja, offen gestanden, panische Angst vor diesem Weihnachtsessen. Das mag jetzt mancheinem etwas seltsam erscheinen: Gesellige Runde, Wein, Weib, Gesang… wovor könnte man sich da schon fürchten! Die Antwort ist eine einfache: Bei einer solchen Zusammenkunft einer der Neuen zu sein. Man kennt es: Dem Neuen wird der Stuhl weggezogen, wenn er sich setzen möchte. Ihm wird von hinten auf den Kopf geschlagen, man drückt ihn Gesicht voran in den Grützeteller… Mit entsprechenden Gedanken ist man Tage vor dem Ereignis nervös, schläft schlecht und steigt dann am Tag X mit einem beklemmenden Gefühl in der Brust ins Tram of no Return. Ich habe bewusst kein Retourbillett gelöst – womöglich herausgeworfenes Geld. Man weiss schliesslich nie, wo so ein Abend endet, und wie. Schliesslich war ich noch nie an einem solchen Abend, mit solchen Leuten. Solche Leute? Kult Autoren. Über die existieren ja haarsträubende Geschichten, bisweilen noch haarsträubender als diejenigen, die sie selber zum besten geben. Einige von diesen Leuten kannte ich bereits vor meiner Aufnahme in den erlauchten Kreis. Deshalb wusste ich, dass die Geschichten stimmen, denn ich war nicht selten mit dabei, als sie passierten.

Eines vorweg: Ausser, dass ich am Ende dieses Abends Opfer eines Entführungsversuches zweier Basler Kult Autoren wurde, hat sich keine einzige meiner Befürchtungen bewahrheitet. Glücklicherweise gelang es mir nach einer Irrfahrt rund um die halbe Stadt – sie konnten sich beide nicht einigen, wo sie mich hinbringen sollten – die Flucht aus dem Wagen. Nachdem der Fahrer irgendwas von Chemie und Gift und Novartis erzählte, und sein Kollege auf der Rückbank neben mir, dass er den Leibhaftigen persönlich schon an seinem Bart gezupft habe. Aber zurück zum Festschmaus. Dieser war, wie bereits erwähnt, entgegen meiner Befürchtungen richtig angenehm. Wir tanzten erst um einen brennenden Scheiterhaufen, nahmen anschliessend wärmende Lobesworte entgegen und quittierten diese mit wohlwollendem Applaus. Es fühlte sich irgendwie an wie eine Waldweihnacht. Einfach gut. Und so sollte es für den restlichen Abend bleiben. Wir spiesen an einer langen Tafel wie eine grosse Familie – oder wie Jesus mit seinen Jüngern. So sah es auch aus, mit unserem Chef in der Mitte des grossen Tisches, wir, seine Schäflein um ihn geschart. Ich hätte dieses Bild auch sehr gerne in Öl gemalt, leider hatte ich Staffelei und Farben nicht im Gepäck. Und das Smartphone vermochte die Szenerie nicht gebührlich einzufangen, meine Familie wirkt auf dem Bild grauenhaft unterbelichtet. Was sie überhaupt nicht ist, wie ich nach diesem feierlichen Abend in mein Tagebuch schreiben kann. Im Gegenteil: Sehr belichtet und hell. Ich mag meine neue Familie. Ob sie mich auch mag, wird sich nächstes Jahr zeigen, wenn ich wieder eine Einladung zum Abendmahl erhalte. Oder eben nicht.

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Autor: Pete Stiefel

Pete konnte pfeifen, bevor er der gesprochenen Sprache mächtig war – und an seinem ersten Schultag bereits schreiben. Trotzdem ist er da noch einige Jahre hingegangen. Danach schrieb und fotografierte er fürs Forecast Magazin, für Zürichs erstes Partyfoto-Portal stiefel.li, fürs 20 Minuten, MUSIQ, Q-Times, Party News, WORD Magazine, war Chefredaktor vom Heftli, lancierte das Usgang.ch Onlinemagazin – und er textete für Kilchspergers und von Rohrs Late Night Show Black’N’Blond und Giaccobo/Müller. Er trägt (vermutlich) keine Schuld daran, dass es die meisten dieser Formate mittlerweile nicht mehr gibt.

Irgendwann dazwischen gründete er in einer freien Minute seine eigene Kommunikationsagentur reihe13, die unterdessen seit weit über 13 Jahren besteht. Er ist mittlerweile in seiner zweiten Lebenshälfte, Mitinhaber vom Interior Design Laden Harrison Interiors, schrieb unterdessen Pointen für Giacobbo / Müller, Black 'n' Blond (mit Roman Kilchsperger und Chris von Rohr und irgendwann auf dem Planeten Kult gelandet. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein grosser Schritt für Pete.

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