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Samichlaus auf Coci

Natürlich ist der folgende Text beileibe nicht so schlimm, wie der Titel vermuten lässt, aber da Sie nun schon mal auf den Uralt-Trick reingefallen und hier eingestiegen sind, können Sie auch gleich weiter lesen.

Neulich flog mir auf 20min.ch folgender Lead entgegen: «Der berühmte Coca-Cola-Weihnachtstruck fährt durch die Schweiz. Mit im Gepäck: der «echte» Santa Claus.»

Der «echte» Samichlaus? Aber wieso denn in Anführungszeichen? Glaubt der Autor des Artikels das etwa nicht wirklich? Ist das seine Art, im Subtext zu revoltieren und zu sagen: «Mein Boss hat mich zwar gezwungen, das zu schreiben, aber mich alten Marxisten könnt Ihr Süssgetränkverkäufer nicht für blöd verkaufen»? Nun lieber Autor, deine Zweifel sind unbegründet. Es IST der echte Santa Claus. Woher ich das weiss? Weil ich ihn exakt vor 15 Jahren auf seiner Tour durch die Schweiz mit Original-USA-Coca-Cola-Truck begleitet habe!

Und eines kannst Du, lieber Zweifler (resp. können Sie, liebe Leser) mir glauben: Coci-Samichlaus zu sein ist ein knallharter Job! Ich erinnere mich noch gut an seinen ersten Tag. Ausgerechnet beim Shoppi in Spreitenbach sollte die Tour beginnen. Er sass also da, an jenem trockenen, aber kalten hochnebligen Morgen, auf dem Parkplatz, vor sich den Prime Tower von Spreitenbach, als es losging. Als erstes kam ein ambitionierter Vater mit seiner etwa 6-jährigen Tochter. Sie so:

Was isch säb für es Liechtli?
Was isch säb für en Schiin?
De Chlaus mit de Latärne
lauft grad de Wald dur y.
Sin Esel, de hed glaade,
er rüeft, J-a, J-a!
Hüt dörf i mid mim Meischter
Emal is Stedtli ga!
(usw.)

Santa Claus war schwer beeindruckt, das Mädchen sichtlich Stolz und der Vater stocksauer, dass damals das iPhone noch nicht erfunden war und er weder Foto noch Video auf Instagram und facebook posten konnte, was zwar wiederum egal war, da ja beides eh noch niemand kannte, da inexistent (quod erat demonstrandum).

Santa Claus lobte das Mädchen, wühlte in seinem Jutesack und holte ein blau verpacktes Päckchen hervor, das er dem Mädchen überreichte, das sich wiederum (mit strahlenden Augen) artig bedankte. Nicht weit entfernt stand eine kleine Gruppe Jugendlicher, nein eher Kinder, offensichtlich mit Migrationshintergrund (ich vermutete, dass die meisten von hinter dem Baregg eingewandert waren). Clever waren sie schon: sie hatten beobachtet, dass das kleine Mädchen von dem komischen weissbärtigen Kerl in roter Kluft etwas bekommen hatte. Offenbar ohne Bezahlung. Das wollten sie auch. Der grösste von ihnen – schätzungsweise 160 cm hoch, 14 Jahre, schlurfte heran und blieb dann, ohne ein Wort zu sagen, vor Santa Claus stehen. Santa lächelte und weil er wusste, dass manche Kinder etwas scheu waren, baute er eine Brücke. «Guten Morgen. Hast Du ein Versli, das du vortragen willst?» Der Junge mit hängenden Augenlidern und ausdruckslosem Gesicht antwortete nicht. «Nein? Oder willst du ein Liedli singen?» Der Junge antwortete noch immer nicht, aber sein Blick wanderte kurz zum Sack. «Ach so, du willst etwas haben? Ja aber sicher, Santa Claus hat für alle etwas!» Santa griff in den Sack, wühlte kurz angestrengt darin und zog dann ein Mandarinli und ein paar Erdnüsse hervor. Der Junge starrte entgeistert auf die dargebotene Hand Santas und was darin lag. Langsam schüttelte er den Kopf. Nein? «Gschenkli», brachte der Jugendliche mit starkem slawischen Akzent dann doch plötzlich über seine Lippen.

«Die Geschenke sind für die Kinder, die ein Versli aufsagen oder singen oder sich sonst besonders Mühe geben. So etwas sollte doch belohnt werden.» Der Junge schwieg und glotzte. Hatte er überhaupt ein Wort davon verstanden? «Gschenkli», wiederholte er fordernd. Hmpf. Samichlaus lächelte geduldig hinter seinem weissen Bart, der bereits etwas zu jucken anfing. «Willst Du mir ein Weihnachtslied singen?» Der Junge verzog keine Miene und zeigte auf den Sack. Da dämmerte es Santa, dass dieser Junge höchstwahrscheinlich aus einem Kulturkreis kam, in dem die Weihnachtsgeschichte unbekannt war oder zumindest den Ungläubigen zugeschrieben wurde. «Oder irgend ein Lied?» Der Junge verschränkte die Arme. Santa realisierte, dass er nun nach einer Strategie suchen musste, um diesen Knaben loszuwerden. Aber da war noch der Rest seiner Sippe, der sich bereits hinter ihm eingereiht hatte.

Rettung nahte in Form zweier aufgetakelter Damen Mitte 20 – Schwestern, Freundinnen – das konnte er nicht eruieren. Aber sie stöckelten ähnlich gleich mit ihren Highheel-Stiefelchen, bedruckten Leggins und bepelzten Mäntelchen plappernd in seine Richtung. Eine trug auf dem Arm ein kleines Mädchen, geschätzte zwei Jahre alt, mit grossen braune Kulleraugen und kunstvoll drapiertem Wuschelhaar. Die Damen schnatterten miteinander im Singsang – ja, es waren eindeutig Brasilianerinnen. Ohne sich um Höflichkeiten zu kümmern, setzte die eine nach einem entwaffnenden Lächeln, dem sich selbst der alte Santa nicht entziehe konnte, das Kind auf seinen Schoss, während die andere bereits eine kleine Kompaktkamera gezückt hatte und noch rätselte, mit welchem der wenigen Knöpfe das Teil einzuschalten war. Währenddessen redeten beide auf das von den Ereignissen überrumpelte Kind ein. Erst jetzt realisierte es, dass es nicht mehr auf dem sicheren Arm seiner Mutter, sondern – ja wo eigentlich sass? Langsam drehte das Mädchen den Kopf und blickte Santa in die Augen. Das war natürlich ein Schock. Die sonst schon grossen Augen weiteten sich, füllten sich augenblicklich mit Tränen und schon heulte es los wie ein Tsunami-Alarm. Es streckte die Arme in Richtung Mami, doch die redete beruhigend auf ihre Kleine ein, während ihre Schwester/Kollegin/Klon es geschafft hatte, die Kamera in Gang zu bringen. Die beruhigenden Worte zeigten Wirkung, das Heulen erstarb, das Kind hörte zu, bis es sich wieder daran erinnerte, dass es nicht auf Mamis Arm sass, drehte langsam wieder den Kopf zu Santa, erkannte den gfürchigen alten Mann wieder und schrie von neuem los. Egal, die Bilder waren im Kasten und nun gab es weitere Fotos, bei denen sich abwechselnd eine der Ladys ebenfalls noch neben Santa (und das weinende Kind) stellte, der jetzt erkannte, dass Mitte 20 sehr grosszügig geschätzt war. Das traumatisierte Baby müsste heute etwa 17 Jahre alt sein. In seinem Interesse hoffe ich, dass die Hipster-Bart-Welle bald mal abflaut, sonst lässt sie sich wohl nie auf einen Kerl ein.

Santa Claus’ Nervekostüm war schon ziemlich strapaziert – dabei war noch keine halbe Stunde seines Dienstes vergangen! Aber sie zeigte klar und deutlich, worauf er sich die nächsten Tage einstellen musste.

Darum, liebe Eltern, wenn Ihr mit euren Sprösslingen den Coci-Chlaus besuchen geht, seid nett zu ihm – ein Lächeln, ein paar freundliche Worte, ein «Dankeschön» reichen – Geld zustecken wäre sicher auch nett, aber in Ermangelung von Taschen an seinem Kostüm schwierig in der Performance. Und zudem besteht die Gefahr, dass er sich damit wieder mit Glühwein abfüllt. Denkt einfach daran – er ist auch nur ein Mensch!

http://www.20min.ch/schweiz/news/story/Der-Weihnachtstruck-tingelt-durch-die-Schweiz-21345068

Nikolaus von Myra (altgriech. Νικόλαος Μυριώτης, Nikolaos Myriotes; * zwischen 270 und 286 in Patara; † 6. Dezember 326, 345, 351 oder 365 ist einer der bekanntesten Heiligen der Ostkirchen und der lateinischen Kirche. Sein Gedenktag, der 6. Dezember, wird im gesamten Christentum begangen und ist auch Gegenstand zahlreicher Volksbräuche.

Nikolaus wirkte in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts als Bischof von Myra in der kleinasiatischen Region Lykien, damals Teil des römischen, später desbyzantinischen Reichs, heute der Türkei. Sein Name bedeutet im Griechischen «Sieg(reich)er des Volkes» (aus νίκη und λάος).
(Wikipedia)

Bilder:
Santa mit Truck und mit seinen Elfen

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Autor: Henrik Petro

In den 90ern prägte Henrik als Moderator von Sputnik TV trotz seines Ostschweizer Dialektes die Erinnerungen der Partyjugend bis heute. Während mehrere Jahre war er Chefredaktor des gleichnamigen Magazins. Später schrieb er fürs Fernsehen (u.a. Chefautor von Dieter Moor und Rob Spence, eine Folge der SitCom "Fertig Luschtig") und produzierte auch (u.a. 150 Folgen von "Der Scharmör"). Er war die ersten Jahre von Radio Street Parade Musikchef und war dann später einige Jahre Autojournalist.

Arbeitet heute hauptberuflich als Frauenversteher, aber da er von seinen Freundinnen, BFFs, Kolleginnen und wem er sonst noch sein epiliertes Ohr leiht, kein Geld dafür verlangen kann, dass sie ihm ihre Männerprobleme in allen Details schildern, arbeitet er zusätzlich noch gegen Entgelt als Chefredaktor in einem Fachverlag. Damit sein Hirn unter dieser Belastung (und wegen Handy-Antennen) nicht explodiert oder eine Selbstlobotomie durchführt (was ihm zwar die Aufmerksamkeit von Gunter von Hagen garantieren und somit zur Unsterblichkeit verhelfen würde), schreibt er Kolumnen für kult. Am liebsten über menschliche Begegnungen. Oder überhaupt über Menschen. Oder darüber, was Menschen so tun. Oder getan haben. Oder tun könnten. Oder sagen. Oder gesagt haben. Oder sagen könnten.

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