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OH FACEBOOK MEIN, DU PSYCHO(ANAL)YTISCHES TOOL UNSERER TAGE

Auf Facebook gibt es ja jene vor-präparierten posts, Bürosprüchen ähnlich, vermeintlich bescheidene Lebensweisheiten verbreitend. Sie stören mich nicht. Vielmehr stimmen sie mich oft nachdenklich. – Für mich ist FB in erster Linie ohnehin ein psychoanalytisches Tool. Es erstaunt mich zum Beispiel immer wieder, wie oft sich diese Episteln der Lebensweisheit, die mir da aus der digital world entgegenkommen, mit dem Thema “echte und falsche Freunde” befassen. Und dabei allerlei seltsame Wertungen ins Spiel bringen.

Einige dieser Text-Dingelchen versuchen zudem die Phänomene Freundschaft und Liebesbeziehung qualitativ aneinander zu messen; meist gewinnt dabei – und dies ja durchaus treuherzigerweise – die „echte Freundschaft“.

Ich empfinde diese Textlein als besonders tragische Zeugnisse jener tiefen, gewissermassen grundsätzlichen Einsamkeit und Unsicherheit des menschlichen Individuums. Und ihre grossmächtige Verbreitung lässt darauf schliessen, dass sich viele Menschen einfach nicht damit abfinden können, in ihrem tiefsten Inneren ganz und gar alleine zu sein; mit ihrem Jetzt und mit ihrem Damals…

Gleichzeitig scheint eine tiefe Angst, ein nervöses Misstrauen, welche eigentlich die ganze Aussenwelt betreffen, hinter diesen Botschaften zu stecken. Wenn die “echten” Freunde, wie sie in diesen posts glorifiziert werden, auf der realen Ebene auftauchen würden, müsste man sie hassen, fürchten, ja sogar töten.

Diese echten Freunde, die dich anscheinend “nicht aus  dem Knast holen und die Kaution bezahlen, sondern mit dir lachend in der Zelle sitzen“ würden, sind ganz klar imaginary friends, narzisstische Spiegelungen von uns selber. Echte Freunde – und Feinde – pflegen nicht gemäss jenen Werten oder Mustern zu handeln und zu denken, die wir selber antizipieren.

Weil sie nicht „wir selber“ sein können!

Ist es doch vielmehr der Faktor Unberechenbarkeit, der den Wert aller Begegnungen ausmacht.

Vielleicht würde ein echter Freund ja weder die Kaution hinterlegen, noch mit dir in der Zelle sitzen. Vielleicht würde er drei Tage später mit einer Whisky-Pulle bei dir zuhause aufkreuzen. Und Dir exakt die richtigen Fragen zu der ganzen Knast-Geschichte stellen. Vielleicht würde deine echte Freundin vor dem Knast auf dich warten. Und dir zur Begrüssung erst mal eine schallende Ohrfeige verpassen.

Bevor sie dann mit dir ins Bett steigt – oder auch nicht.

Und: nein, eine echte Freundschaft ist keineswegs besser oder wertvoller als eine Liebschaft. Das sind einfach zwei verschiedene Varianten der menschlichen Begegnung. Und die eine schliesst die andere – um Gottes Willen – nicht aus.

Ich habe gleichaltrige Freundinnen und Freunde, die sich schon seit einem halben Jahrhundert nach dem einen wahren Freund, der einen wahren und allerbesten Freundin sehnen – und dieser Sehnsucht in jenen wehmütigen Nachtgesprächen gerne Ausdruck verleihen, die wir alle kennen. Wenn ich sie nach den Qualitäten befrage, die diese Idealfiguren denn bitteschön aufweisen sollten, erfahre ich immer dasselbe. Die Sehnsüchtigen wünschen sich eine Kopie von sich selber, erwarten, dass alle Vorlieben und Abneigungen im Rahmen einer derartigen Freundschaft geteilt würden, ohne Absprache, erwarten, dass ideale Freundinnen und Freunde ihr Innerstes, ihr Jetzt, ihr Damals komplett miteinander teilen.

Ein grauenhafter Gedanke. Und Ausdruck einer Anspruchshaltung, die auf dieser Welt niemals erfüllt werden kann.

Die echten Freundinnen und Freunde sind vielleicht jene, die momentan gerade mit uns sind, mit denen man sich gut fühlt und gerne wieder einmal etwas unternehmen würde – und natürlich streitet man sich trotzdem manchmal furchtbar mit solchen Leuten. Die echten Freundinnen und Freunde sind zweitweise bei uns und manchmal nicht, manchmal sogar jahrelang nicht, doch wenn sie wiederkommen, wirkt da wieder jene Nähe, die mit Worten so schwer zu beschreiben ist.

Und warum soll es nicht manchmal vorkommen, dass echte Freundinnen und Freunde Sex miteinander haben, im sexuellen und im freundschaftlichen Sinne erfolgreichen Sex?

Jawohl, auf Facebook gibt es jene vor-präparierten posts, Bürosprüchen ähnlich, bescheidene Lebensweisheiten verbreitend. Sie stören mich überhaupt nicht. Vielmehr stimmen sie mich oft nachdenklich. Weil die meisten dieser Sprüche sich mit Qualifizierungen, Bewertungen, Einordnungen von Situationen beschäftigen, die diese, unsere Welt ständig hervorbringt. Und zwar immer im Sinne von scharfen, einfachen Eingrenzungen, Aus- und Abgrenzungen. Dies tun sie in der Regel in einem Ton, in dem ein Absolutheitsanspruch mitschwingt, wie wir ihn auch aus Sprichwörtern, aus so genannten „Volksweisheiten“ kennen. In einem Ton halt, der mich sofort davon überzeugt, dass hier etwas mit der Perspektive nicht stimmen kann, dass hier in Wirklichkeit Wünsche und Ängste miteinander vermengt und dann auf eine Formel gebracht werden, die am Ende einfach eine Art Gebetchen gegen die Fährnisse des Lebens darstellt.

Eine Formel, die vom Ton her wohl vernünftelnd und augenzwinkernd daherkommt, in Wirklichkeit aber Weihrauch auf den Altären des Irrationalen verbrennt. Und den grundsätzlichen Irrtümern des Menschen Tribut zollt. So weit, so deprimierend.

Schon die Bürosprüche der Vergangenheit hatten ja diesen doppelbödigen Charakter. Wenn beispielsweise der Spruch „Man muss nicht verrückt sein, um hier zu arbeiten. Aber es hilft ungemein.“ an einem Arbeitsplatz prangt, weist dieser ja in Wirklichkeit unmissverständlich darauf hin, dass in diesem Betrieb eine eiserne spiessbürgerliche Ordnung herrscht, die in ihrer Biederkeit niemals, aber auch wirklich niemals gestört werden darf.

Es gibt da noch eine weitere Variante von Facebook-Lebensweisheiten, die ausserordentlich beliebt ist. Sie grenzt die Geschlechter voneinander ab, zementiert permanent und genüsslich vermeintliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Ich lese diese Botschaften immer ernsthaft. Und dann denke ich nach. „In dem Fall bin ich eine Frau,“ sagt Es in meinem Inneren nach dem ersten Nachdenken meistens. Ich denke noch ein bisschen nach – und dann sagt es: „Ich kenne eigentlich beide Handlungsweisen/Eigenschaften, die in diesem Spruch voneinander abgegrenzt werden sollen, ich kenne sie beide aus meinem eigenen gottverdammten Inneren… Was bin ich jetzt? Mann oder Frau? Zwitter?“

Dann fasse ich mir schnell in den Schritt. Und stelle fest: Er ist noch da…

Und eben, Facebook ist ein psychoanalytisches tool. Seine Lebensweisheiten, die da von derart vielen Menschen unendlich kolportiert, weiter-gepostet werden, sprechen nicht von einem Universum der endlosen Möglichkeiten, in dem Tag für Tag einfach alles geschehen kann, das halt möglich ist, in dem das Beste, das Schlimmste, das Schönste, das Nervigste permanent über alle Beteiligten hereinbrechen können. Ohne Warnung.

Diese Lebensweisheiten sprechen vielmehr von einer kleinen, brav abgezirkelten Welt, einem Weltchen, in dem alles in netten kleinen Schubladen versorgt ist. Einem Realitätchen, welches man mittels einiger cleverer Worte in die Berechenbarkeit zwingen kann.

Doch lasst Euch nicht täuschen, Leute, wir alle wissen in Wirklichkeit nicht mal die Hälfte über uns selbst und eigentlich überhaupt nichts über das Universum, das uns umgibt.

…und wenn man gerade von der besten Freundin, die man seit 20 Jahren kennt, zum ersten Mal einen geblasen bekommt, wenn frau die Zunge ihres besten Freundes, den sie seit 20 Jahren kennt, zum ersten Mal an ihrer Klitoris spürt, wenn also eine sexuelle Realität – unvermittelt und quer – in eine ach so fadengerad-keusche Freundschafts-Seeligkeit eindringt, urplötzlich, ohne vorherige Absprache, sollte manfrau nicht zu sehr erschrecken.

Vor allem dann nicht, wenn alles ganz angenehm schmeckt.

Denn – mit Verlaub – ein derartiger Akt gehört eindeutig zu den harmloseren Vorgängen, den vergnüglicheren Hervorbringungen aus dem Repertoire der Realität.

Oder hätten Sie lieber, dass ein Airbus A 321 auf Ihr Häuschen runter-crasht, während Sie gerade am Sockenstopfen sind? Oder vielleicht eine Thermonukleare Katastrophe, schlappe zehn Kilometer von ihrem Wohnort entfernt? Oder einen Clockwork-Orange-Besuch in Ihrem Ferienhäuschen (während Sie dort weilen, natürlich)? Oder gleich den Weltuntergang?

Die Realität ist ein rasendes Monster, komplett unberechenbar, tollwütig, unbezähmbar. Soviel ist sicher!

Also dreht den Megabass auf die Elf. Und lasst uns feiern Leute. Es ist doch einfach alles scheissegal! Trinkt den Wein des Dionysos im Übermass. Er wird Euch nicht schaden. Denn schon morgen könnten die Sturmfluten der Realität jede und jeden von uns hinwegspülen, den Styx hinunter. In die Finsternis.

Hey now hot missy, wanna share some nice little face time in the service elevator?

 

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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