Auf der ganzen Fahrt hatten wir Blaulicht und Sirene eingeschaltet. Erst, als wir die Menschenansammlung sahen – sensationslüsterne Gaffer – ging Martin, mein langähriger Assistent und der wohl beste Fahrer im Aargauer Polizeikorps, vom Gas und schaltete das Horn aus. Die Schaulustigen wichen zur Seite, neugierig in den Dienstwagen glotzend. Mir machte es nichts aus, denn ich hatte kaum geschlafen. Schuld war ein Null-Neun-Dreizehn, der mich die ganze Nacht auf Trab gehalten hatte. Es ist ein Scheissjob, aber ich wüsste nicht, was ich sonst auf dieser Welt lieber täte.
Als ich ausgestiegen war, kam ein uniformierter Kantonspolizist auf mich zu. Er war bleich und schien mit der Situation überfordert zu sein.
«Sind Sie die aus Aarau?» fragte er etwas schnoderig, während die Gaffer uns anglotzten. Wahrscheinlich musste er vor seinen Landeiern den harten Kerl spielen. Sonst würden sie den Respekt verlieren und wieder anfangen, Hühner zu stehlen, wie damals nach dem Krieg.
«Ja, wir sind die aus Aarau», knurrte ich zurück. «Das ist Gefreiter Huber» – ich nickte mit dem Kopf in die Richtung meines Assistenten – «und ich bin Steiner, Kriminalkommissar.»
«Ähm…» Der Uniformierte schien nicht zu wissen, was er nun tun sollte. Ich half ihm und zückte meinen Ausweis. Er salutierte. Nun konnte ich offiziell die Führung übernehmen: «Zeigen Sie mir den Tatort, Wachtmeister..?»
Er stockte, bis er begriff, was ich wollte. «Odermatt, Wachtmeister Odermatt.» Wieder salutierte er diensteifrig.
«Ja, schon gut. Also..?»
«Bitte, hier entlang.»
Ich hatte mit etwas Schlimmem gerechnet. Doch was ich hier sah, verschlug mir kurz die Sprache. Es musste ein Gemetzel gewesen sein. Das arme Ding hatte nicht den Hauch einer Chance.
«Das Fahrzeug dürfte auf der Hauptstrasse fahrend Höhe Einmündung Kirchenfeldstrasse von der Strasse abgekommen und ins Wiesland geraten sein», mutmasste Odermatt und konnte dabei seine Aufregung nicht ganz verbergen.
«Ist es das erstemal, dass Sie so etwas sehen?» fragte ich, ohne ihn anzublicken. Meine Augen waren komplett vom Bild der Zerstörung in den Bann gezogen.
«In der Polizeischule wird man ja auf allerhand vorbereitet, mit Bildern und Videos. Aber wenn mann es dann in echt sieht, ist es… ist es…» Er fand die Worte nicht.
«… ist es etwas ganz anderes», beendete ich für ihn den Satz. Erleichtert und dankbar blickte er mich an.
«Was ist mit der Spurensicherung?» wollte ich wissen.
«Sie müsste jeden Moment hier eintreffen.»
«Wie sieht es mit DNA-Spuren aus?»
«Oh, jede Menge…»
Ich blickte ihn überrascht an: «Und warum sammeln Sie sie nicht?»
«Oh, das ist bereits geschehen.» Er zeigte auf einen Haufen mit prallen dunkelbraunen Plastikbeuteln. «Was kann ich sonst tun?»
«Leider nicht mehr viel, Odermatt», murmelte ich und kratzte mich am Hinterkopf. «Sperren Sie den Tatort ab, befragen Sie die Leute. Irgendjemand muss doch etwas gesehen oder gehört haben.»
Am Abend hatte ich den Bericht verfasst. Die Auswertung der DNA-Proben förderte nur Scheisse zu Tage – Hundescheisse, um genau zu sein. Auch die Zeugen erwiesen sich als Nieten. Niemand wollte etwas sagen, wohl aus Angst vor Vergeltung, denn dort auf dem Lande kannte jeder jeden. Nach Rücksprache mit dem zuständigen Staatsanwalt Bernasconi und meinem Vorgesetzten Kurt Bächteli entschied ich mich, eine Meldung mit Zeugenaufruf zu veröffentlichen. Sie lautete: «Ein Fahrzeug kam in der Nacht auf Samstag in Unterkulm von der Strasse ab und kollidierte mit einem Robidog-Behälter. Die Kantonspolizei sucht nun den Verursacher.»
Zwei Tage später hatten wir zwar einige Hinweise aus der Bevölkerung, aber keine wirkliche heisse Spur. Sollte der Täter davon kommen? Das Telefon klingelte. Huber nahm ab: «Ja?… Aha… Ahso?… Jaja… Aha?… Moment!» Er hielt den Hörer an die Brust und drehte sich zu mir: «Chef, in Büron hat einer einen Briefkasten umgefahren.»
Mich schauderte. Hatten wir womöglich einen Serientäter? «Irgendwelche Hinweise?» Huber hielt wieder den Hörer ans Ohr: «Irgendwelche Hinweise?… Aha?..Achso… na gut, danke.» Er legte auf und stierte mit in Falten gezogener Stirn den Apparat an. Dann: «Nein, sie suchen noch Zeugen.»
Was kam da noch auf uns zu? Zustände wie in Mexiko? Noch während ich mir in den düstersten Farben ausmalte, welches Grauen die Schweiz überziehen könnte, klingelte wieder das Telefon. Huber reagierte blitzschnell: «Huber? Ja, das ist richtig… ja… ja?? Wirklich?» Er hielt den Hörer an die Brust und drehte sich wieder zu mir: «Chef, in Baar hat jemand einen Hydranten umgefahren. Aber diesmal haben sie einen Verdächtigen!»
Endlich! Sollte das der Durchbruch im Fall werden? Wir mussten es sofort herausfinden.
«Na worauf wartest du noch? Lass uns sofort fahren! Hol den Wagen!»
«Oui mon Capitaine!»
http://www.polizeinews.ch/zentralschweiz/Neulenker+uebersah+Hydranten/563939/detail.htm