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Wie man 20x nicht „FICKEN“ sagen muss, weil man nicht kann, auch wenn man es möchte

Es war bereits Thema in jedem Boulevardblatt, online und gedruckt, in jeder Schülerzeitung und selbst in der Mitgliederzeitung der Ornitologen – denjenigen Menschen, die gut zu Vögeln sind. Trotzdem hat es sich Investigativ-Journalistin Carmen Roshard in der Tagi Ausgabe vom 23. März 2015 nicht nehmen lassen, nochmals über das bunte, schamlose Treiben im Thermalbad auf dem Hürlimann-Areal in Zürich zu berichten.

Selbstverständlich darf sie in dieser anständigen Tageszeitung Dinger nicht beim Namen nennen, deshalb umschreibt sie die schönste Nebensache der Welt, als wolle sie sich mit einem Dreigroschen-Schmuddelroman bei einem NachwuchsschriftstellerInnenpreis bewerben. Ihr Erlebnis in dieser hemmungslosen Umgebung war nicht Stoff genug, die Redaktorin musste gar noch einen Psychologen dazu befragen, weshalb es mit der Menschheit bloss so weit gekommen sei.

Als Einleitung für ihren Artikel verwendet die Redaktorin zwei Sätze, die sie beim Lesen der bisherig erschienenen Berichte aufgeschnappt hatte. Sie schienen ihr angebracht, schliesslich erlebte auch sie beim Besuch des Bades wahrhaftige Ungeheuerlichkeiten:

1) „Viele Paare foutieren sich um Anstandsregeln. Sie tauschen im sprudelnden Wasser mehr als nur Zärtlichkeiten aus.“

Die Hoffnung stirbt nicht immer zuletzt. Im Hürlimann-Areal wurde ihr aber sehr schnell klar, dass sie sich hier in einem Sündenpfuhl befindet, aus dem es kein unbeflecktes Zurück mehr gibt:

2) „Einzig die ausgelatschten und müffelnden Sneakers auf dem Garderobenboden hätten einen warnen müssen, dass es nicht ganz so gesittet zu und her geht, wie es die ­Ambiance verspricht.“

Kaum in ihr Burkini geschlüpft, entdeckt Frau Roshard am Sprudelbeckenrand schon erste Schlüpfrigkeiten:

3) „In zwei der drei Holzwannen sprudeln bereits andere Paare, eng aneinandergeschmiegt, als wären sie Wesen mit zwei Köpfen, die meiste Zeit mit Dauerküssen okkupiert.“

Müssen diese Menschen nicht atmen? Haben sie sich nichts mehr zu sagen? Beim blossen Anblick sich küssender Leute könnte man hier schwanger enden. Die Journalistin presste ihre Oberschenkel bewusst noch etwas stärker gegeneinander, als sie es schon vorher tat. Dass ihr der Geschäftsleiter folgendes Versprechen abgegeben hatte, vermochte sie nicht zu beruhigen:

4) „Das Zürcher Thermalbad werde nie zum «Plauschbad», sondern bleibe ein Ort der Besinnung und Entspannung. Er räumt aber ein, dass es Badegäste gebe, die «die gesunde Scham verloren haben».“

Im Schutze der Abenddämmerung scheint aus dieser Warmwasserbadi ein Swingerclub zu werden, als hätte man einen Kippschalter umgelegt, der letzte Hemmungen ertränkt und den Ausfluss hinunterspült:

5) „Abends nach 20 Uhr scheinen die Regeln freizügiger ausgelegt zu werden. Je höher man steigt, desto tiefer sinkt die Schamgrenze.“

Huch! Jetzt gehts los:

6) „Im Panorama-Bad auf dem Dach sind die Hemmungen weg.“

Oha… Nun scheint sich Frau Roshard ein kleines Bisschen zu verkrampfen. Mit Bleistift und Schreibblock bewaffnet im Lustdampf und in Sprudelgeilheit klare Worte zu finden, ist gar nicht so einfach:

7) „Unter der schwarzen Glocke der Nacht und im Schutze des Wasserdampfs weicht manche Entspannung – zumindest für Singles – einer Verspannung. Insbesondere in der Lendengegend mancher Badegäste.“

Hä!? War da unter einer Badehose etwa ein Penis auszumachen!? Unerhört! Und jetzt beginnt es jede mit jedem zu treiben:

8) „Kein Paar, das sich im Strudelwasser nicht befummelt.“

Ob für Tagi-Spesen wohl auch ein Besuch der Caesars Club Sauna drinliegen würde? Muss sie zurück auf der Redaktion gleich abklären – sollte sie es überhaupt zurück an die Werdstrasse schaffen. Schliesslich besteht hier ernsthaft Gefahr, vom Leibhaftigen persönlich im Whirlpool ersäuft zu werden. Doch zurück an die Erdoberfläche. Herr Psychologe, zu Hülf!

9) „Koni Rohner, Dozent für Psychologie an der Pädagogischen Hochschule Zürich: «Alle Normen ändern sich mit der Zeit.» Heute gelte vor allem in Zusammenhang mit Nacktheit und Sexualität vieles als nicht mehr unanständig, wofür man sich früher geschämt hätte. «Mütter lassen sich heute halb nackt im ‹Blick› auf der ersten Seite abbilden, es gibt TV-Werbung für Seitensprung-Agenturen»“

Nackte Mütter? Wääh, pfui! Aber das gibts ja auch bloss bei diesem Schmuddelblatt aus dem Seefeld. Das mit dieser Sexualisierung stimmt allerdings schon. Wenn man sich im Sodom & Gomorra Sündenbad umsieht, ist die Moral tatsächlich Geschichte.

10) „Die Gesellschaft sei narzisstischer geworden, heute müsse man sich zeigen, auf Facebook, mit Selfies, die dann in der ganzen Welt herumgeschickt würden. «Wieso soll man sich also nicht im warmen Pool ungeniert sexuellen Handlungen hingeben?»“

Stimmt! Selfie = Ficken! Endlich ist diese Gleichung wissenschaftlich belegt. Was sich fotografiert, das liebt sich. Wääk, da hinten, schon wieder!

11) «In der heutigen Gesellschaft hat Sexualität für viele nichts Anstössiges mehr, sich zu zeigen auch nicht.»

Für mich ist Sexualität ja etwas Anstössiges. Aber ich bin schliesslich auch nicht die Gesellschaft. Nicht Teil dieser Penisgesellschaft:

12) „Gewisse Hemmungen scheint es aber glücklicherweise doch noch zu geben. Immerhin legt der eine oder andere, bevor er das Bad verlässt, einen Boxenstopp ein, damit er, zurück aus dem schützenden Nass, keinen verspannten Eindruck hinterlässt.“

Es könnte ja sein, dass jemand aus der Leserschaft auch schon bemerkt hat, dass ich kein neues Gesprächsthema aufgegriffen habe, deshalb besser erwähnen:

13) „In der Öffentlichkeit war das Knutschen im Thermalbad immer wieder ein Thema.“

Könnte man da nicht eine Badepolizei einrichten? Denn:

14) «Nur einige wenige machen, was sie wollen. Kaum hat man ihnen den Rücken zugekehrt, machen sie weiter.»

Immerhin erkennen die Bad-Betreiber, dass wo reiner Wein eingeschenkt wird, dieser möglicherweise auch ausgetrunken werden möchte:

15) „Dass warmes Wasser, Kerzenlicht und Alkohol bei manch einem aphrodisische Gelüste wecken, ist nicht neu.“

Dieser Valentinstag ist doch auch nicht mehr, was er mal war. Wos früher einfach einen Blumenstrauss gab und gut war, werden Paare heute immer hemmungsloser:

16) „Seit Jahren bietet das Hürlimann Spa «Valentine’s Special» für Verliebte an. «Nach einer halben Stunde musste ich raus, es war einfach nur gruusig», äusserte sich ein enttäuschter Valentinstag-Gast.“

Selbst Silvester ist manchen nicht mehr heilig:

17) „Das «Valentine’s Special», die Silvesternacht oder «Badegenuss und Biergeschichten» oder «Cocktail-Trinken mal anders» seien «keine Alkoholgelage, sondern Genussevents», selbst wenn diese «durchaus auch aphrodisisch wirken dürfen».“

Immerhin: Bad-Chef Grüter kann zur Entwarnung blasen. Beim blossen Hingucken kann man nicht schwanger werden, auch das ist wissenschaftlich belegt. Und im Pool schwimmt kein Sperma, man kann sich also getrost auch mal einen Schluck warmes Sprudelwasser gönnen, ohne sich hinterher den Mund auskochen zu müssen:

18) „Laut Grüter leidet die Qualität des Badewassers nicht unter den Zärtlichkeiten seiner Gäste. Zumal die Wasseraufbereitung intensiver sei, als dies die SIA-Norm verlange: «Unsere Wasserwerte sind stets top.»“

Trotzdem, auch wenn das Badewasser nachweislich nur sehr gering mit menschlichen Körperausscheidungen kontminiert ist, bleibt Skandaljournalistin Roshard bei ihrer Beobachtung: In allen Zürcher Schwulensaunas und Swingerclubs gibts zusammengezählt weniger Verstösse gegen die Sittlichkeit als in dieser Zu-Wohlfühl-Oase:

19) „Und letztlich seien auch die Gäste «zu mehr als 99 Prozent korrekt und sehr anständig». Die 99 Prozent sind an diesem Abend wohl bereits gegangen.„

Und, angewidert und angeekelt durch ihre Spannerei, stolpert sie, beinahe schon wieder in der Freiheit, erneut über ein kopulierendes Paar:

20) „Im funkelnden Dunkel des gedämpft beleuchteten Smaragd-Bads scheint niemand mehr zu sein. Die Zehenspitzen tunken sich bereits ins Wasser, als man, peinlich berührt, ein junges Paar erblickt, das sich gerade hastig die Badehosen hochzieht.“

Jetzt aber schnell nachhause. Und fortan, das schwört sich die Schreibende, wird sie nur noch in der eigenen Badewanne schwimmen. Da weiss sie wenigstens, wer reingepinkelt hat.


Carmen Roshard im Tages-Anzeiger vom 23. März 2015: «Hoch über Zürich sinkt die Schamgrenze»

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Autor: Pete Stiefel

Pete konnte pfeifen, bevor er der gesprochenen Sprache mächtig war – und an seinem ersten Schultag bereits schreiben. Trotzdem ist er da noch einige Jahre hingegangen. Danach schrieb und fotografierte er fürs Forecast Magazin, für Zürichs erstes Partyfoto-Portal stiefel.li, fürs 20 Minuten, MUSIQ, Q-Times, Party News, WORD Magazine, war Chefredaktor vom Heftli, lancierte das Usgang.ch Onlinemagazin – und er textete für Kilchspergers und von Rohrs Late Night Show Black’N’Blond und Giaccobo/Müller. Er trägt (vermutlich) keine Schuld daran, dass es die meisten dieser Formate mittlerweile nicht mehr gibt.

Irgendwann dazwischen gründete er in einer freien Minute seine eigene Kommunikationsagentur reihe13, die unterdessen seit weit über 13 Jahren besteht. Er ist mittlerweile in seiner zweiten Lebenshälfte, Mitinhaber vom Interior Design Laden Harrison Interiors, schrieb unterdessen Pointen für Giacobbo / Müller, Black 'n' Blond (mit Roman Kilchsperger und Chris von Rohr und irgendwann auf dem Planeten Kult gelandet. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein grosser Schritt für Pete.

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