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Der Donnergott und die sanfte Märtyrerin

Hard knocks can break a head. Hard as wood!

Blöcke spalten. Wenn ich nicht frieren will, muss ich Blöcke spalten. Ich bin es ja gewohnt, mit der Axt zuzuschlagen, dann braucht man nicht mehr so viel Kraft. Hier im Halbdunkel des Holzschopfs. Nachts. Bei einigen Grad Celsius unter Null, hier, hoch oben in den Bergen. Blöcke spalten gibt warm. Manchmal derart, dass ich unmittelbar danach gar keine Lust mehr darauf habe, ein Feuerchen im gusseisernen Ofen anzufachen.

So schwinge ich die grosse Axt und lasse sie auf das Holz niedersausen, eine erloschene Zigarette im rechten Mundwinkel. Den Faserpelz habe ich inzwischen an einen rostigen Haken gehängt, der aus der Bretterwand des Holzschopfs ragt.

So spalte ich also weiter, im ärmellosen Feinripp-Leibchen, das die US-Amerikaner wife beater shirt nennen, vielleicht wegen jenem cholerischen Stanley aus „A Streetcar Named Desire“ von Tennessee Williams, der in jener massgebenden Filmversion, die Elia Kazan 1951 drehte, so unvergesslich von Marlon Brando gespielt wurde, im ärmellosen Feinripp-Leibchen. Doch Stanley musste wahrscheinlich kein Holz für den Ofen hacken, dort unten in New Orleans, Louisiana, wo die Jahresdurchschnitts-Temperatur immerhin 20.3 Grad Celsius beträgt.

Der grösste Axtschwinger des tiefen Südens der USA wirkt und webt sowieso im halbverborgenen Kosmos des Voodoo, einer synkretistischen Religion, die man hier unten auch GrisGris heisst. Sein Name ist Shango, manchmal auch Chango oder Xango geschrieben. Er ist aus Afrika hierher gekommen. Namenlose Sklaven, Angehörige der Yoruba-Stämme, von grausamen europäischen Seefahrern aus ihrer Heimat entführt, entrechtet, erniedrigt, haben ihn mitgebracht.

Er ist ihr Gott, ihre Orisha, ihre Loa des Donners, des Sturms, des Kriegs, er ist auch ein virtuoser Trommler. Das macht ihn natürlich erst recht zu einer wesentlichen Macht down in New Orleans, wo die Polyrhythmen daheim sind – und wo einst das Schlagzeug, wie wir es heute kennen, erfunden worden ist; la Batterie.

Und meine Axt saust auf einen weiteren Holzklotz nieder…

Natürlich haben die Sklavenhalter ihren Opfern aus Afrika verboten, ihre Religionen weiterhin auszuüben. Haben sie es trotzdem getan, wurden sie grausam ermordet, oft genug lebendig gehäutet, worauf ihre blutigen Überreste an Pfählen aufgehängt wurden. Zur Abschreckung. Denn bei den Franzosen, den Spaniern ward nur eine Religion geduldet: Der Katholizismus.

Die katholische Kirche verfügt ja über einen ausgedehnten Pantheon an Heiligen. Beiderlei Geschlechts. Für jeden Kalendertag eine Gestalt. Und dann gleich noch einige mehr. Diese Heiligen waren vor langer Zeit, damals im katholischen Altertum, für Missionare überaus praktisch. Als es nämlich darum ging, die Kelten zu bekehren, auch Maria Muttergottes wurde übrigens zu diesem Zweck eingesetzt. Die frühen Kirchenväter hatten ihrerseits zwar keine besondere Freude an Heiligen und an der Heiligen Jungfrau. Sie fuhren lieber auf der Dreifaltigkeits-Linie. Doch die Kelten waren Pantheisten, ihre Seelen benötigten viele Gottheiten, darunter auch weibliche. Ohne diese Heiligenschar und die gute Mutter wären sie wohl kaum in den Schoss der römischen, katholischen und apostolischen Kirche zu bewegen gewesen…

Und meine Axt saust auf einen weiteren Holzklotz nieder…

Jener Heiligenkanon kam Jahrhunderte später den entrechteten Afrikanern, den Sklaven gelegen. Sie haben nämlich ihre Götter, ihre Orishas, ihre Laos notgedrungen hinter diesen katholischen Figuren versteckt, haben die mystischen Figuren miteinander verschmolzen, synkretisiert, wie die Religionswissenschaftler sagen, zu denen ich nicht gehöre. Von nun an konnten sie ohne weiteres behaupten, dass sie fromme Katholiken wären. Doch im Hintergrund lebten die alten Religionen weiter.

Shango wurde so zur Heiligen Barbara. Diese zarte, kluge junge Frau war eine Märtyrerin. Wie die Legenda aurea berichtet, starb sie einen furchtbaren Martertod, angeordnet vom römischen Stadthalter Marcianus; einem Mann also, der den Krieg im Namen trug. Am Ende der Tortur wurde sie schliesslich von ihrem eigenen Vater enthauptet. Worauf plötzlich ein Blitz aus dem Himmel heruntergefahren sei, der den grausamen Pater familias ruckzuck verbrannte.

Santa Barbara wurde mit der Zeit zu einer ausserordentlichen populären Heiligen, sie gilt als eine der berühmten Vierzehn Nothelfer – und ist unter anderem die Schutzpatronin der Artillerie: Der Kanonen, des Donners, womit wir wieder bei Shango wären.

Und meine Axt saust auf einen weiteren Holzklotz nieder…

Shango besitzt ein gewaltiges Ego. Er ist James Brown auf dem Höhepunkt seines Ruhms, er ist Muhammad Ali im Ring, er ist Elvin Jones, der sein Schlagzeug vibrieren lässt, er ist Miles Davis, der „Bitches Brew» aufnimmt, er ist Jimi Hendrix, der seine Fender Stratocaster in Flammen aufgehen lässt; er ist Blues, er ist Funk, er ist Rock’n’Roll, Baby! Er ist kraftvoll, er ist gefährlich, er ist cool, er ist schwarz! So ist er durch die Zeitläufe gewandert. Heute können wir ihn uns vorstellen, wie er aus einer meterlangen, silberglänzenden Stretch Limo steigt, zwei blonde kaukasische Schönheiten in starken Armen, mit einem königlichen Hermelinmantel über seiner zoot suit, mit einem riesigen weissen Stetson auf dem Kopf, den er wie eine Krone trägt, einer grossmächtigen Erektion unter dem Hosenladen und blitzenden vergoldeten Zähnen. Superfreak, Sex Machine, Mister Big, ein damned huge black motherfonker, eine erbarmungslose Naturgewalt. Mit einem stolzen Sinn für Gerechtigkeit.

Und meine Axt saust auf einen weiteren Holzklotz nieder…

Natürlich weist Shango Charakterverwandtschaften zu anderen Donner-, Wetter- und Kriegsgöttern auf. Zum ägyptischen Falken Horus beispielsweise, speziell zu dessen kriegerischer Erscheinung, die da heisst Ra Hoor Khuit, oder zum mächtigen Thor aus dem hohen Norden, der seinen Streithammer Mjölnir schwingt.

Doch Shango schwingt keinen Hammer. Er schwingt eine Axt. Mit zwei Klingen. Eine schwarz, eine rot. Seine Anhänger tragen diese Doppelaxt als Amulett um ihre Hälse. Und ich habe schon mehrere namhafte Schlagzeuger getroffen, die ein derartiges Amulett haben. Immer, wenn ich über diese Axt nachdenke, kommt mir bald auch Plutarch in den Sinn, mit seiner Labrys, wie die Doppelaxt in der lydischen Sprache geheissen hat. Möglicherweise ist dieses Wort übrigens mit dem Begriff Labyrinth verwandt, darüber diskutieren die Sprachforscher, zu denen ich nicht gehöre.

Diese lydische Doppelaxt hat Hephaistos geschwungen. Mit jener Waffe hat er einst den Schädel des Göttervaters Zeus gespalten. Damit wurde er zum Geburtshelfer der Athene, die in der Tiefe dieses Schädels herangewachsen ward. Der Hephaistosschlag, wie man sagt. Hephaistos ist der Handwerkergott, der Schmied, der Patron aller vulkanischen Dinge. Genauso wie der launische Voodoo-Gott Oggun eben, Bruder des Shango, der übrigens mit Sankt Petrus synkretisiert wird, manchmal allerdings auch mit dem Heilgen Georg, Sie wissen schon, der mit dem Drachen…

Und wieder spalte ich mit meiner Axt einen spröden Holzklotz entzwei..

Ja. Die Axt. Sie spaltet. Spaltet Holz, Gedanken, Haare, Köpfe, Völker, Kulturen, Planeten. Natürlich habe ich auf einem meiner Heimaltare auch eine Heilige Barbara stehen. Manchmal, vor allem am 4. Dezember, stelle ich ein Glas Schnaps vor die Statue sowie einige Okra-Bohnen. Oggun steht gleich nebenan, in Gestalt des Sankt Georg, was ich ihm opfere, verrate ich nicht.

Um den Hals trage ich allerdings ein Amulett, auf dem der Heilige Antonius von Padua prangt, er repräsentiert Elegguà, den Götterboten des Voodoo-Pantheon, meine persönliche Loa, in deren Namen mich einst meine holy mother, Big Mama Blanche aus New York City, getauft hat, mit Blut, die beiden Narben auf meinen Schulterblättern zeugen davon, im Rahmen meines Rayado-Rituals, nachdem sie mir das Kaurimuschel-Orakel gelegt hatte, wie es halt Brauch ist, wie es halt getan werden muss…

Und meine Axt saust auf einen weiteren Holzklotz nieder; Spaltschläge…

Schläge: Mütter aller Rhythmen, die wiederum wohnen im Herzen aller Musik. Schläge, die Neugeborenen ihre ersten Schreie entlocken. Schläge, die Köpfe meiner Feinde spaltend. Wobei ich für letztere Arbeit einst meine .357 Magnum bevorzugt hätte. Was heute allerdings nicht mehr in Erwägung gezogen werden muss. Denn ich habe keine Feinde mehr. Und wenn ich welche haben müsste, würde ich meinen lieben Elegguà, nachdem ich ihm Florida Water und eine dicke Zigarre verehrt hätte, zu Shango oder – noch schlimmer – zu Oggun entsenden, mit der Bitte, meine Feinde zur Strecke zu bringen. Und dann täte dies alles prächtig und blutig ablaufen, präzise wie ein Schweizer Uhrwerk, Ladies and Gents!

So. Nun ist aber genug Holz gehackt, es reicht für die nächsten Tage. Ich hänge die Axt an ihren Platz im Holzschopf, wische mir den Schweiss von der Stirne und begebe mich zum Ofen. Wo ich alsbald ein hübsches Höllenfeuerchen entfache, aber nicht, ohne vorher folgende Worte zu sprechen:

«Mojuba Elleguà, Babà mi, Agô Elleguà/Baralayiki, Eshu Odara, Mojuba Eshu Ioni, Kosi/Ikù, kosi arun, kosi offo, kosi arayé/Babà, furm me iré/Awò, iré orno, ire ornà, ire arikù bawaba»

So agieren Akolythen halt, die an den Altaren des Wahnsinns stehen, zu denen ich gehöre. Und gut ist!

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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