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De Sepp isch en Tubel

Heute ist es einfacher denn je, ein guter Mensch zu sein. Korrektur: Sich als besseren Menschen zu fühlen und allen vorzugaukeln, auch tatsächlich ein besserer Mensch zu sein.

Tagtäglich werden es mehr mehr oder minder prominente Persönlichkeiten und/oder Institutionen, die uns Anlass geben, sich über sie zu empören – uns im Irrglauben leben lassen, wir seien so viel besser als sie, die Proleten und Despoten. Heute ist es der Blatter Sepp, welcher die Gemüter erhitzt und zum Überbrodeln bringt. Dabei haben wir es doch schon lange gesagt, schon IMMER gewusst: Die FIFA ist ein korrupter Haufen, den es auszumisten gilt. Alle käuflichen Schweinehunde raus – übrig bleibt das pure Fussballglück. Oder so. Jetzt mal losgelöst von der Tatsache, dass es Machenschaften im Weltfussball (und in der Politik und in der Wirtschaft und in der Öffentlichkeit und im Privaten) gibt, die tatsächlich haarsträubend sind: Blatter, Putin, Berlusconi & Co. dienen uns als willkommene Feindbilder, ohne welche unser Alltag ein grosses Stück ärmer wäre. Wen würden wir boykottieren, wenn Monsanto und Nestle nicht wären? Wen könnte man dissen, wenn es den ennet der Grenze einkaufenden Schnäppchenjäger nicht gäbe, wen, wenn wir alle vegan lebten, keine Energieverschwender, Raser oder Taugenichtse wären? Wer würde den Sündenbock mimen, wären wir allesamt heilig und fromm, würden weder fluchen, noch schlagen, weder misshandeln, noch fehlentscheiden? Allerdings, von wegen fromm: Auch die Kirche steht unter Dauerbeschuss, Glaubensrichtungen und ihre Angehörigen ganz generell. Wobei: Auch der Hasser wird gehasst. Sei er links oder rechts, je extremer, desto verhasster. Aber auch jener in der Mitte ist ein jämmerlicher Waschlappen, ein Opportunist – einer, der alles kann und doch nichts ist. Jener, der geht, soll bleiben, wo er ist. Und derjenige, der kommt, ist nur dann willkommen, wenn er ein Gastgeschenk mitbringt. So gehört sich das einfach. Wer gibt, ist schliesslich selig, wer nimmt, ein Dieb. Und ein weiser Spruch sagt: «Alle wollen Individuen sein – doch wehe, wenn einer anders ist.»

Dabei ist möglicherweise derjenige der Tubel, der den ersten Stein wirft und mit jedem weiteren Stein nichts anderes tut, als von seiner eigenen Person abzulenken. Wer unermüdlich solidarisierend und moralisierend danach strebt, ein besserer Mensch zu WERDEN – oder eben: wie ein besserer Mensch wahrgenommen zu werden, indem er andere als Schlechtmenschen anprangert, verpasst eines ganz bestimmt: Tatsächlich ein guter Mensch zu SEIN. Und Sepp ist wahrhaftig auch ein Tubel. Nicht aber weil er tat, was er immer noch tut, sondern weil er uns schon wieder die Möglichkeit bietet, unsere Äusserlichkeiten noch weiter vom inneren Kern zu entfernen. Tubel. Nein, echt jetzt.

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Autor: Pete Stiefel

Pete konnte pfeifen, bevor er der gesprochenen Sprache mächtig war – und an seinem ersten Schultag bereits schreiben. Trotzdem ist er da noch einige Jahre hingegangen. Danach schrieb und fotografierte er fürs Forecast Magazin, für Zürichs erstes Partyfoto-Portal stiefel.li, fürs 20 Minuten, MUSIQ, Q-Times, Party News, WORD Magazine, war Chefredaktor vom Heftli, lancierte das Usgang.ch Onlinemagazin – und er textete für Kilchspergers und von Rohrs Late Night Show Black’N’Blond und Giaccobo/Müller. Er trägt (vermutlich) keine Schuld daran, dass es die meisten dieser Formate mittlerweile nicht mehr gibt.

Irgendwann dazwischen gründete er in einer freien Minute seine eigene Kommunikationsagentur reihe13, die unterdessen seit weit über 13 Jahren besteht. Er ist mittlerweile in seiner zweiten Lebenshälfte, Mitinhaber vom Interior Design Laden Harrison Interiors, schrieb unterdessen Pointen für Giacobbo / Müller, Black 'n' Blond (mit Roman Kilchsperger und Chris von Rohr und irgendwann auf dem Planeten Kult gelandet. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein grosser Schritt für Pete.

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