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Was vom Rock’n’Roll übriggeblieben ist

Ich war ja nicht am AC/DC Konzert am Freitagabend. Aber was ich davon nicht gehört habe, war jetzt nicht gerade das Gelbe vom Ei. Nicht MEHR das Gelbe vom Ei. Aber heute gibts ja ohnehin bloss noch weichgespühlten Kuschelrock.

Zumindest in der Nähe der Konzertleichtathletikfussballmultifunktionsarena war ich, als am Freitag die Rocklegenden von AC/DC aufspielten. Das Quartier abgesperrt, wie wenn sich die Fans der Hüben- und Drüben-Fussballteams auf die Rüben geben, weil ihr Team verloren hat. Oder weil es gewonnen hat. Oder weils bloss ein Unentschieden gab. Oder weil sie einfach jemanden verprügeln wollen. Wie man halt dann und wann einfach Lust hat, jemanden zu verprügeln. Jetzt gings aber ruhig und gesittet zu und her hier. Keine Randale, keine lauten Stimmen, das Publikum sauber kanalisiert und zu ihrem Sektor gepfercht – gerade so, wie wenn der Zirkus mit seinen exotischen Tieren einmal im Jahr in die Stadt kommt und der Dompteur seine Viecher artengetrennt in ihre Gatter treibt. Moment… WER spielt nochmals ein Konzert heute? Die Zillertaler Schürzenjäger? Nein. Selbst da wäre die Masse aufgebrachter. Zumindest der weibliche Teil davon. Der AC/DC Fan reist zwar ebenfalls im Fan-T-Shirt gekleidet im Fan-Bus an, den sein lokaler Fan-Club organisiert hat – aber der durchschnittliche Rock-Fan hat seine wilden Zeiten hinter sich. Er bringt seine Kinder mit zum Konzert, vielleicht sogar seine Kindeskinder, um ihnen zu zeigen, wie es damals war. So gut das mit einer Dezibel-Beschränkung und einem temporär aufgehobenen Pyro-Stadionverbot halt geht. Immerhin: Die Riffs, die der Gitarrist auf seiner Klampfe rauf und runterjault, die Beats, die der Schlagzeuger auf seine Trommelfelle eindrescht und die Lyrics, die der Sänger in die gemässigt-wilde Meute rausschreit (beim AC/DC Sänger darf man von Schreien reden, da muss man nicht Singen sagen), sind noch die selben wie damals. Damals, als Rock noch nach gekotztem Whisky und im Kreis herumgereichten Mädchen roch. Damals, als ich als 5-Jähriger ein AC/DC Konzert auf dem Balkon meines Elternhauses mithören konnte, 20km Luftlinie vom geschlossenen (!) Hallenstadion entfernt.

Freitag war ich ebenfalls Mithörer, ebenfalls auf einem Balkon, aber lediglich 200m vom Stadion entfernt. Mit Steaks vom Grill und Bier aus der Badewanne. Rock’n’Roll für Daheimgebliebene, jene, die den Trubel nicht mehr jedes Wochenende suchen. Wobei der AC/DC-Trubel ja mehr ein Volksfest mit Zuckerwatte, Bratwurst, Magenbrot und Feuerwerk, ohne Riesenrad war. Wie man das als Aussenstehender beurteilen konnte, der ja wie gesagt nicht mitten in diesem Hexenkessel stand, verschwitztes Fan-T-Shirt an verschwitztem Fan-T-Shirt. Die Steaks schmeckten vorzüglich, das eisgekühlte Bier ebenfalls. Bloss: Von der Rockmusik hörten wir, entgegen unserer freudigen Erwartung, nicht allzu viel. Aber man darf halt heutzutage nicht mehr so doll, in Rücksicht auf den Nachbarn. Nichts mehr. Nie mehr. Jedenfalls nicht so lange, wie die Empfindlichen noch an der Macht sind. Die Altrocker und -hippies, die von allem genug hatten, damals, als man noch alles durfte, so viel man wollte, so lange man konnte. Sogar LSD. Deshalb sind sie, wohl noch leicht verkatert, der Ansicht, dass es das heute nicht mehr braucht. Dass man den Rockern in den Backstage auch besser Rivella stellen möge. Und Gemüsedipp. Und eine Kartonschachtel mit Ohrstöpseln. Und dass man ihnen mitteile, dass die Füsse nicht auf den Tisch gehörten, und dass sie die Toiletten doch bitte so hinterlassen sollen, wie sie sie aufgefunden hätten. Ihr Nachfolger würde es ihnen verdanken. Wie, frage ich, WIE UMS HÖLLENHERRTEUFELSWILLEN soll da noch Rock stattfinden???

Das Konzert war dann auch zuende, als der Himmel noch hell war. Kurz nach dem obligaten Schlussfeuerwerk, mit welchem man üblicherweise einen Höhepunkt manifestiert. Die Einsatztrams standen bereits in Reih und Glied bereit, damit das adrenalingeschwängerte Publikum bequem in Richtung seine Zieldestinationen abreisen konnte, kaum waren die Schleusen geöffnet. Da spühlte es sie dann aus den Toren, ein Meer von rot blinkenden Teufelshörnli, die es offenbar an Souvenirständen zu kaufen gab. Ein herziges Bild, das eine Menschenmenge so abgibt. An Halloween im Europapark. Aber nach einem fucking Rockkonzert?! Wird da nicht Inventar zu Kleinholz geschlagen und Mobiliar zum Hotelfenster rausgeworfen? Nicht bis zur Besinnungslosigkeit gekokst und im Vollrausch der Glastisch zerschlagen? Mit dem Körper eines zugedröhnten, willenlosen Groupies? Nein, da kauft man sich heutzutags nochmals einen Essensbon am Ausgabestand und steht dann nochmals für eine Bratwurst an und holt sich am Stand daneben nochmals einen Becher im Durchlaufkühler eilig erkalteten Bieres. Möglicherweise. Im Backstage die selbe Verköstigung. Möglicherweise. Eventuell auch etwas Veganes.

Die vor entzückter Erregung noch immer geröteten Gesichter bewegten sich von Ordnungshütern kanalisiert in ihre Heimathimmelsrichtungen. Sie haben mein Lieblingslied gespielt! Hach! Ein Tag, so wunderschön wie heute… Hoffentlich erlebe ich nochmals ein AC/DC Konzert, hoffentlich leben die noch so lange, hoffentlich ich. Beim Eindunkeln waren sie verschwunden, die einen von ihnen möglicherweise schon glückseelig im Bett. Die Weithergereisten noch unterwegs, im Fan-Bus oder im Fan-Zug. Übrig blieben Bierbecher, leer, halbleer, voll, zurückgelassen. Der reinigenden Regen ankündigende Sommerwind blies Staub durch die Gassen und Bratwurstkartonteller mit Senfresten, nun wertlos gewordene Konzerttickets, Dreck. Es setzte der Regen ein, begleitet von Wetterleuchten. Zeit, auch unseren Grillabend in 200m Distanz zu DEM Rockkonzert des Sommers für beendet zu erklären. Dann, ich lag nun bereits selber schon im heimischen Bett: Ein Blitz! Ein krachender Donner unmittelbar hinterher! THUNDER! Ein Zeichen! Ich kann jetzt erleichtert einschlafen. Der Rock’n’Roll lebt. Er ist halt einfach ein bisschen ruhiger geworden. Wie wir alle.

THUNDERSTRUCK SONGTEXT

Der Songtext “Thunderstruck” von “AC/DC” darf leider aufgrund von lizenzrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.

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Autor: Pete Stiefel

Pete konnte pfeifen, bevor er der gesprochenen Sprache mächtig war – und an seinem ersten Schultag bereits schreiben. Trotzdem ist er da noch einige Jahre hingegangen. Danach schrieb und fotografierte er fürs Forecast Magazin, für Zürichs erstes Partyfoto-Portal stiefel.li, fürs 20 Minuten, MUSIQ, Q-Times, Party News, WORD Magazine, war Chefredaktor vom Heftli, lancierte das Usgang.ch Onlinemagazin – und er textete für Kilchspergers und von Rohrs Late Night Show Black’N’Blond und Giaccobo/Müller. Er trägt (vermutlich) keine Schuld daran, dass es die meisten dieser Formate mittlerweile nicht mehr gibt.

Irgendwann dazwischen gründete er in einer freien Minute seine eigene Kommunikationsagentur reihe13, die unterdessen seit weit über 13 Jahren besteht. Er ist mittlerweile in seiner zweiten Lebenshälfte, Mitinhaber vom Interior Design Laden Harrison Interiors, schrieb unterdessen Pointen für Giacobbo / Müller, Black 'n' Blond (mit Roman Kilchsperger und Chris von Rohr und irgendwann auf dem Planeten Kult gelandet. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein grosser Schritt für Pete.

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