in

Ein Mittagessen mit Nathan Dallimore

Freitag, 5. Juni 2015 

Von Rainer Kuhn

Dies letzte Interview aus der Reihe „Rockstars des Alltags“ aus dem Alice Choo in Zürich. Nachdem ich mit verschiedenen Gästen mehrmals da gegessen hatte, dachte ich, es wär ein schöner Abschluss, sich mal mit Nathan Dallimore zu Unterhalten. Schliesslich ist er der Chefkoch hier. Und da man Köche in der Regel nicht sieht, sie müssen ja kochen, wurde es an der Zeit, das zu ändern. Als die Karte gereicht wurde, gab ich sie zurück. Nathan sollte mir irgendwas aus der Küche bringen lassen. Das Risiko war gleich Null. Ist ja alles lecker, was hier durch die Tür kommt. Und es kam eine Sushi-Platte, die ich so noch nie gesehen hatte. Fast zu schade, um sie zu essen. Ich habs trotzdem gemacht.

Du bist ja aus Neuseeland. Also führen wir das Gespräch in Englisch. Hoffe, mein Englisch ist gut genug.

Hoffe, MEIN Englisch ist gut genug

Haben wir eine Alternative?

Nein. Ok, russisch vielleicht.

Russisch?

Ich hab in Russland gearbeitet.

Du sprichst also Russisch.

Küchen-Russisch, ja.

Mehr brauchst Du als Koch ja auch nicht.

Ich habe sechs Jahre in Moskau gearbeitet. Meine Freundin arbeitete auch da, das war eine Möglichkeit zusammen zu arbeiten und einander so öfters zu sehen.

Und vorher?

Etwa eineinhalb Jahre auf den Cayman Islands. Aber ich hatte die falsche Arbeitserlaubnis. Also bin ich wieder gegangen. Nach Rhode Island. Hab dort auf verschiedenen Yachten gekocht …

Ist es das, was Du schon immer machen wolltest? Kochen?

Es ist etwas, was ich einfach schon immer gemacht habe.

Beide Eltern gearbeitet und Du musstest selber kochen?

Nein, meine Mom hat gekocht.

Das war Dein Einfluss?

Ich komme aus Neuseeland. Ich hab viel Wassersport gemacht, bin gesurft, getaucht, wir lebten hauptsächlich draussen, haben Fische und andere Meeresfrüchte gefangen und zubereitet. Kiwi-Kultur halt. Ich hatte einfach das Talent dafür.

Jetzt bist Du exakt auf der anderen Seite der Welt, in der Schweiz. Gibt’s da Parallelen, wie man immer wieder mal hört?

Ich bin in einem kleineren Ort aufgewachsen. Da war es nicht unähnlich, ruhig, viel Platz, Berge.

Willst Du wieder zurück?

Ich will immer zurück, klar. Ich bin schon ziemlich lange unterwegs. Ich habe eine kleine Tochter jetzt, sie ist zweieinhalb, da ist das Reisen etwas komplizierter.

Musst auch nicht jetzt. Es wird Sommer, da gibt’s nichts Schöneres als Zürich. Ich würd also noch ein bisschen bleiben. Mich interessiert was anderes: Du arbeitest ja nicht alleine in der Küche, Du hast ein ganzes Team. Was ist das Schwierigste daran, Chefkoch zu sein? Logistik oder so?

Nein, nicht die Logistik. Das klappt alles in der Regel gut. Es sind die zwischenmenschlichen Sachen, man muss sich verstehen, die Leute müssen wissen, was man will. Ich habe viele Leute aus dem Team mitgebracht. Ich hatte sie ja ausgebildet. Es wäre schade gewesen, würd ich davon nicht profitieren können.

Gibt’s Unterschiede, ob Du auf den Cayman Island kochst, in Moskau oder in Zürich?

Eine Küche ist immer eine Küche. Die Kultur ist unterschiedlich, aber genau das mag ich ja. Die Leute, die Sprache. Der grösste Unterschied sind die Gäste. Herauszufinden, was genau sie mögen, was nicht, das ist von Land zu Land sehr verschieden. In Russland hat sich in den letzten sechs Jahren eine Menge geändert. Es ist viel Geld ins Land gekommen, all die grossen Firmen, es sind viele Leute zu Geld gekommen. Und das wollen Sie auch wieder ausgeben. Für Essen, für Autos, für Bildung, Reisen. Das Level ist extrem gestiegen.

Was machst Du, wenn Du nicht kochst?

Wir versuchen jedes Wochenende rauszugehen und etwas cooles zu machen. Manchmal fahren wir in die Berge, nach Davos oder St. Moritz, ich mein, komm schon, das sind die Schweizer Berge, da gibt’s nichts Besseres als das. Und das Grösste ist, dass du in wenigen Stunden da bist. Oder der Rheinfall ist auch cool.

Wie ein Tourist.

Ja, klar.

Sonst? Keine Hobbies? Musik oder so?

Die meiste Zeit verwende ich damit, mich hier zu integrieren. Das ist nicht einfach als Koch, ich arbeite, wenn die meisten frei haben und umgekehrt. Aber ich komme voran. Es gefällt mir hier. Es ist alles sauber, sogar die Hinterhöfe. Und dann habe ich wie gesagt eine kleine Tochter. Die spannt mich auch ziemlich ein.

Hätte ich Dir sagen können. Ich hab drei davon.

Drei?

Ja. Wobei, auch wenn ich es Dir gesagt hätte, hättest Du auch nichts anfangen können. Es können Dir hundert Leute sagen, was alles auf Dich zukommt, wenn Du Kinder hast, und wenn Du dann eins hast, sieht alles anders aus. Ich kann Dir nur sagen: Egal was Dir passiert: Es ist wahrscheinlich normal. 

Echt?

Ja, echt. Da geht’s allen gleich. Das ist auch das einzige, was Du wissen musst. Dass Du nicht alleine bist mit dieser neuen Situation. Dass das den allermeisten ähnlich geht. 

Ok. Beruhigend.

Wie lange bist Du jetzt schon weg von Neuseeland?

Ich bin jetzt 36 Jahre alt. Alles in allem sinds glaub so ungefähr 16 Jahre.

Wo möchtest Du Dich einmal niederlassen?

Das ist ein konstantes Diskussionsthema bei uns. Im Moment ist es wichtig, dass es ein Ort ist, wo wir unsere Kinder in Frieden aufwachsen lassen können. Langfristig müsste es wahrscheinlich irgendwo nahe am Äquator sein. Warm, Meer, tauchen. Das Problem ist, dass ich ein Beach-Bum bin und meine Frau ein City-Girl. Ok, sie liebt den Strand und ich auch die Stadt, soweit ist alles in Ordnung. Wir haben uns aber noch nicht definitiv entschieden. Singapore wär ein möglicher Ort. Wir werden sehen. Es ist schwierig, einen Ort zu finden, an dem alles stimmt.

Aber wenn Du jetzt seit 16 Jahren unterwegs bist: Wo fühlst Du Dich zuhause?

Wir waren 6 Jahre in Russland, das war das Längste bisher. Ich liebe Indonesien. Aber nach einer gewissen Zeit bekomme ich den Inselkoller und dann ziehts mich wieder in eine Grosstadt.

Ich mag nicht mehr in grosse Städte gehen. Früher fand ich es spannend, all die Städte zu besuchen, aber irgendwann bekam ich das Gefühl, dass sie irgendwie alle gleich sind. Die gleichen Restaurants, die gleichen Ladenketten, auch die Musik in den Radios hat sich überall angeglichen. Klar ist Paris anders als London. Aber vom Wesen her sind sie gleich. Ähnliche Strukturen. 

Das ist schon so.  Aber Grosstädte haben eine Art süchtigmachende Energie.

Genau diese Energien find ich zunehmend verwirrender. Ich finds auf dem Land schöner, die Luft, der Himmel, das Gras … 

Das gefällt mir ja auch. Drum haben wirs noch nicht definitv rausgefunden. Es eilt ja auch nicht.

Was würdest Du machen, wenn Du nicht Koch geworden wärst?

Sportfischer. Oder Taucher. Was weiss ich. Ich liebe meinen Job, diesen Lifestyle, ich habe alles, was ich mir wünsche. Wieso also soll ich mir Gedanken darüber machen, was ich sonst noch hätte werden können? Was mir wirklich gefällt an meiner Karriere ist, dass ich immer wieder vor Herausforderungen gestellt wurde, die ich meistern musste. Du kommst irgendwohin, die Küche ist, was sie ist, und Du musst damit klar kommen. Die Erwartungen sind überall hoch, diese immer zu erfüllen gibt jedes Mal einen Adrenalinschub, das brauche ich.

Keine Angst, zu versagen?

Doch, immer.

Woran kann man als Koch denn scheitern? 

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, zu scheitern. Deine Leute machen nicht, was Du willst, dann hast Du ein Problem. Als Koch beurteilst Du jeden Teller, der die Küche verlässt. Daran wirst Du gemessen. Immer. Die Orte wechseln, die Saisons wechseln, es sind andere Dinge, die man auf den lokalen Märkten bekommt, die einen inspirieren, neue Sachen zu machen. So lerne ich andauernd. Es sind die kleinen Dinge, die ein Restaurant ausmachen, die Persönlichkeit des Kochs ist entscheidend: Macht er was aus den Möglichkeiten? Fügt er neue Möglichkeiten hinzu? Es ist auch eine Frage der Hingabe. Dass Du Dich mit deinen Gästen „verbindest“, auf sie eingehst, interessiert bist, ihre Feedbacks ernst nimmst. Gib immer ein bisschen mehr, als sie erwarten. Die viele Reiserei hat mir sehr dabei geholfen, Situationen schnell zu erfassen und umzusetzen.

Zu keiner Zeit wusste man mehr über die verschiedenen Nahrungsmittel, über den Körper, darüber, wie bestimmte Nahrungsmittel auf den Organismus wirken. Die Leute sind viel aufgeklärter in dieser Beziehung als früher. Macht es das für Dich als Koch nicht auch schwieriger?

Es gibt so viele Sachen, die man berücksichtigen muss. Dass die Leute erfahrener und interessierter mit Food umgehen, macht es nicht schwieriger, im Gegenteil. Die Gäste sind offener geworden.

Du bist jetzt seit etwa 6 Monaten hier. Was ist Dein Eindruck von Zürich?

Es ist wirklich eine coole kleine Stadt. Ein sehr schöner Ort. Aber es ist auch ein kleiner Markt. Man muss vorsichtig sein, was man macht. Jeder kennt jeden. Und jeder „gossipt“ jeden.

Ist das nicht überall so?

Ich glaube, hier ist es schon ziemlich ausgeprägt. Wie wenn die Leute hier Angst haben, sich selber zu sein. Sie wollen gesehen werden. Und sehen. Und urteilen und beurteilt werden. Die ganze Zeit.

Mir fällt das gar nicht so auf. Ok, es ist meine Stadt, ich lebe und arbeite hier, die meisten meiner Leser leben oder arbeiten hier, wir sind hier zuhause. Da empfindet man vieles nicht mehr so, man sieht solche Sachen gar nicht mehr, es ist normal, was Leute, die von aussen hereinkommen eben sehen, weil es für sie nicht normal ist. Drum find ichs immer wieder spannend zu hören, wie Leute wie Du, die weit gereist sind und noch nicht lange in Zürich sind, diese Stadt und ihre Leute erleben.

Der Standard hier ist sehr hoch. In allen Bereichen. Das heisst fast. Da gibt es etwas, dass meine Frau und mich wirklich erstaunt, sogar nervt: Das Fehlen von „Food-Markets“. Der Street-Food ist schrecklich, vor allem jetzt, in der Saison, hier hats kaum Märkte, wo man die lokalen Produkte kaufen kann.

Du musst aufs Land kommen, da gibt’s das noch eher. 

Ja, klar, aber warum nicht in der Stadt? Warum nicht auf der Strasse?

Wir hatten grad das Street-Food-Festival.

Ich weiss. Ein Festival. Das alleine ist noch keine Kultur. Aber wir brauchen die lokalen Märkte. In Russland gingen wir immer auf lokale Märkte, grossartig, all das saisonale Gemüse, die Früchte, alles frisch, direkt von den Produzenten.

Wir produzieren Kebab hier in Zürich.

Yeah, cool, wow … shit … das ist keine Street-Food-Kultur.

Aber das, wie ihr hier gerade die Sushi serviert hat eine Menge Kultur. Das geht ja schon eher in die Richtung Kunstwerk.

Die Leute am Nebentisch sollen denken „wow, das will ich auch“. Das meinte ich vorhin. Gib immer ein bisschen mehr, als die Gäste erwarten.

Welches sind denn die Disziplinen in der Küche wo man noch besser werden kann. Timing?

Die Organisation. Die besten Chefs sind die, die am besten organisiert sind. Je organisierter Du bist, desto relaxter bist Du, wenn der Stress kommt. Und dafür braucht es Erfahrung. Jeder Ort, an dem Du gearbeitet hast, jede Person, mit der Du gearbeitet hast, hat Dir etwas beigebracht, Dich etwas gelehrt, einen Tipp hier, einen da, man kann immer etwas aufschnappen, was einem weiterbringt. Erfahrung hilft Dir, Dich besser zu organisieren, und Organisation hilft Dir, relaxter an die Arbeit heranzugehen und Dich um das zu kümmern, was Du am liebsten und am besten machst, neue Gerichte auszuprobieren, zum Beispiel.

Hast Du Kontakt zu anderen Köchen hier in der Stadt?

Bisher nicht, nein, ich hätte es gerne, ich liebe es, mich auszutauschen. Sehen und hören, was die anderen machen, zusammenzukommen und einander zu inspirieren. Ihr habt da einen Ort, der ist fantastisch. Gerold’s Garten. Wunderbares Konzept, guter Spirit. Solche Plätze liebe ich.

Was ist mit Musik? Was hörst Du? Kaufst Du Platten?

Ich liebe Live–Musik. Konzerte.

Welches war Dein letztes Konzert?

Die Chilli-Peppers. In Russland. AC/DC kommen, da will ich unbedingt hin. Jede Art von Live-Musik ist cool. Egal ob in Stadien oder kleinen Clubs. In Russland gabs viele Orte, wo lokale Bands spielten. Wir hingen oft mit Ihnen ab. Habt Ihr hier eigentlich auch sowas wie “Strawberry-Festivals” oder so?

Strawberry-Festivals?

Ja.

Nein. 

Wie die Engländer zum Beispiel?

Wir haben tonnenweise Wurststände. Würste sind, neben Kebab, unser nationaler Street-Food.

Ok.

Wir haben verschiedene Würste. Die Würzung machts aus. Ist eigentlich beim Kochen immer so, oder? Alles eine Frage der Gewürze. 

Ja, nicht ganz, aber ja, Gewürze spielen eine grosse Rolle. Sushi ist wieder eine andere Disziplin.

Habt Ihr in der Küche auch Diskussionen? wenn mal einer nicht einverstanden ist oder so?

Nein, eigentlich nicht, die Regeln sind klar und es sind alles erwachsene Leute.  Wenn wir Differenzen haben, können wir voneinander lernen, verschiedene Ansichten, wir probierens aus, und wenn wenn es uns nicht gefällt, dann tun wirs nicht. Wenn der Sushi-Chef Dir die Platte bringt, dann ist das seine Arbeit, da ist er stolz darauf. Du siehst, dass es mit Liebe gemacht ist, Hingabe, das geht nicht, wenn Dir nicht gefällt, was Du machst.

Aber das ist es doch auch, was das “Auswärts essen” ausmacht, oder? Ich mein, ich kann auch zuhause kochen, nicht ganz so gut, aber ich kann mich ernähren. Wenn ich in ein Restaurant gehe gehts ja nicht nur ums Essen alleine …

Service … etwas Neues entdecken, Gastfreundschaft … die soziale Umgebung … die Freundlichkeit, eben, die Leidenschaft … all das zusammen machts aus.

und die Küche ist das Zentrum …

… die Küche ist das Zentrum. Die Küche ist immer das Zentrum. Das siehst du auch, wenn Du ein paar Leute nach Hause einlädst, irgendwann stehen alle in der Küche und hängen dort ab.

Gefällt dir dieser Beitrag?

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Autor: Rainer Kuhn

Rainer Kuhn (*1961) hat das ganze Ding hier gegründet, aufgepäppelt, fünf Mal neu erfunden, vorher Werber, noch vorher Betriebsökonomie studiert, noch vorher Tennislehrer gewesen. Dazwischen immer mal wieder ein Kind gemacht. Wollte eigentlich mal Pferdekutscher im Fex-Tal werden, später dann Pfarrer. Im Herzen ein Landbub, im Kopf dauernd unterwegs. Schreibt drum. Hat ein paar Gitarren und ein paar Amps in der Garage stehen. Macht Musik, wenn er Zeit hat. Hat er aber selten. Blues und Folk wärs. Steht nicht gern früh auf. Füllt trotzdem die Kult-Verteilboxen jeden Monat mehrmals eigenhändig auf. Fährt Harley im Sommer. Leider mit Helm. Mag Mainstream-Medien nicht. Mangels Alternativen halt Pirat geworden. Aber das ist manchmal auch streng.

Facebook Profil

Nein, wirklich?!

DIE BESTEN 3 IN BERN