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RICHTUNG GOMORRAH

Ich höre noch heute das Rauschen ihrer mächtigen Schwingen im Sturmwind. Wie sie sich gen Himmel erhoben. Nachdem sie mir die Flügel gebrochen hatten, mich auf jenem Felsvorsprung aussetzen, auf dem grauen Grund der Sterblichkeit.

Dies nur, weil ich zu sehr geliebt hatte, mit Herz und Seele und – jawohl – Körper.

Mehr, als Engel jemals lieben dürfen.

Eure Liebe ist ein kaltes Labyrinth, geformt aus ehernen Grundsätzen, hohen, doch blutleeren Idealen. Und einer Verdrängung, die hässliche Monster gebiert. Denen ihr jene erbarmungslos ausliefert, die eure Grundsätze, eure Ideale nicht teilen, die eure selbstherrlichen Regeln, welche ihr gesetzt habt, unter Einsatz der Macht des Schwerts, nicht billigen können. Mit Haut und Haar ausliefert.

Ja, Erbarmungslosigkeit ist eure Duftmarke!

An den Zinnen eurer Himmelsburg stellt ihr die ausgebluteten Köpfe zur Schau. Auf Speeren, deren Spitzen im so genannt heiligen Krieg geschmiedet wurden. Die Häupter der Ungläubigen, wie ihr sagt: Futter für jene Taubenschwärme, die den höchsten Thron umschwirren.

Futter für Engel.

Eure Liebe ist eine unerbittliche Mühle, zwischen deren Mahlsteinen jede natürliche Regung zermalmt und zerquetscht wird. Der Saft, der dabei fliesst, ist euer Nektar, aus dem Mehl, das übrigbleibt, kocht ihr euch euren klebrigen Ambrosia-Eintopf zusammen: Aphrodisiakum einer verklemmten Enthaltsamkeit, die voller Verachtung herunterschaut – auf die vulkanische, pulsierende, fleischliche Liebe, die doch die eigentliche Mutter des Universums ist.

Doch ihr seid nicht bei der Mutter, ihr seid beim Vater, der – längst impotent geworden – einen Thron besetzt, mittels Angst und Schrecken, welcher aus den Knochen ausgerotteter Völkerscharen geformt wurde, die ihm nicht folgen wollten.

Yes Ma’am, es waren grosse Schlachten, es war ein grosses Schlachten…

…jene Ultranekropolis, in der ausschliesslich Schädelhäuser stehen, zeugt davon.

Und auf dem Felsvorsprung, der diese Ultranekropolis überragt, haben mich die Wesen mit ihren mächtigen Schwingen ausgesetzt, diese Prätorianergarde eines dreimal verfluchten Übervaters.

Nun liege ich hier, auf grauem Grund. Meine Flügel gebrochen. Also zücke ich mein scharfes Strassenkampfmesser, ein Tanto von Cold Steel® aus Ventura, Kalifornien, und entledige mich diesen nutzlos gewordenen Anhängseln. Eine blutige Angelegenheit.

Doch bin ich das Bluten gewöhnt, ich sterbe nicht gleich daran. So schlafe ich einige Stunden, träume von süssen Wetterhexen, von ihren prallen, kurvigen, splitternackten Leibern.

Ich erwache gestärkt.

Verlasse den grauen Grund, marschiere los, meinem unfehlbaren inneren Kompass folgend: Richtung Gomorrah.

Ich wandere, wandere, wandere, unermüdlich, denn ich bin zäh, bis ich ihre goldenen Tore sehe, so verlockend, so einladend.

Jetzt weiss ich, dass ich angekommen bin, und sehne mich nur noch nach den Lustbarkeiten, die diese Hauptstadt der Sünden, diese Stätte der rötesten aller Nächte zu bieten hat.

Eine solch köstliche Wahnsinnsmenge an Lüsten, dass kein Engel – und erst recht kein Mensch – sie zu zählen vermag.

So durchschreite ich das Tor. Die stolzen, grossen, wunderbar versauten Amazonen, die hier Wache halten, zwinkern mir verführerisch zu.

Dem bodenlosen Abgrund der Lüste werde ich zunächst drei Köstlichkeiten entnehmen:

1. Einen sechsfachen Sazerac (er besteht aus einem mächtigen Schluck Absinth, mit dem das gekühlte Glas gut ausgeschwenkt wird, einer massiven Dosis Whisky, zwei Dritteln Peychaud’s Bitter und einem Tropfen Ahornsaft).

2. Eine anziehend ausgestattete Mamsell, in deren unergründlich dunklen Augen die Bereitschaft zur erotischen Selbstauflösung wie Blitze flackert…

3. …und dazu eine dröhnende Musikanlage, aus der Commodores LIVE! Von 1977 dröhnt. – Diesem blutroten Himmel der herrlichen Sünden entgegen, an dem sich die Ekelpakete mit ihren mächtigen Schwingen niemals blicken lassen.

Nachdem ich mich dann aufgelöst habe, im Säurebad der Ausschweifungen, werde ich mich durch den Verzehr eines mächtigen, blutigen Steaks, einer heiligen Kuh bei lebendigem Leib aus den Rippen geschnitten, wieder zusammensetzen.

Darauf werde ich proklamieren, sodass man es durch das gesamte Universum schallen hört:

„Die Hölle ist das Paradies!“

Jetzt will ich gleich noch einen weiteren sechsfachen Sazerac – s’il vous plait – und schon habe ich noch eine zweite Mamsell in meinem Lotterbett. Oder ist es ein ausladendes Sofa, raffiniert konstruiert, das bereits im Château de Silling herumgestanden hat?

Denkt immer schön daran, vor dem Einschlafen, falls ihr noch schlafen könnt, unter den Brücken eines mühseligen Lebens: Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen!

Sowie: Mene, mene, tekel, upharsin…

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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