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Gemeinsam schweigsam

Dämliche Sprüche und dämliche Paare

Damals, als mir der Spruch das Gehirn malträtierte, da fand ich ihn schrecklich kitschig und dumm, wie fast alle Arten von kurzangebundener öffentlicher Gefühlskotzerei. „Man kann mit vielen Menschen reden doch nur mit den Wenigsten schweigen.“ Irgendwie so, lautete er. Wahrscheinlich eloquenter ausgedrückt. Und trotzdem wurde mir so übel, dass ich meine Magenschleimhaut auf dem Laptop liegen sah. Wenn ich aber ehrlich bin, machte er mir Angst, weil er die unvorstellbar zusammenhängenden Wörter wie Liebe und Schweigen verband. Er machte mir Angst, denn ich befand mich in einer Zeit mit dir, in der wir naive Dinge sagten wie: „Egal wie lange wir zusammen sind, wir werden uns nie anschweigen am Tisch im Restaurant wie die dort drüben. Schrecklich! Versprich mir das! Komm, Kuss!“

Viele traurige Fratzen und kein Oralverkehr

Eine Zeit in der wir pausenlos grinsten, Händchen hielten am Tisch und erregt waren, wenn wir einander mit dem Daumen über den Zeigfinger streichelten. Die Hände sich dann im Auto losliessen um unter Kleidungsstücke, an warme Körperstellen geschoben zu werden. Eine Zeit, in der wir entzückt waren darüber, wie der andere atmet. Wie sollte ich auch tatsächlich verstehen, wie der Satz interpretiert werden wollte? Ich hatte ja nur diese traurigen Fratzen vom Nebentisch im Kopf, die während des ganzen Abendessens bloss kommentiert hatten, was, wie schmeckt. Manchmal nur ein laues: „Mhh. Sehr gut. Magst du deins?“ Gefolgt von traurig gefühllos hochgezogenen Mundwinkeln. Klimper, klimper. Weitermachen mit dem Zerschneiden und in den Mund einführen. Ob die wohl grundsätzlich zu wenig Vaginen und Penisse in Münder einführten, dacht ich mir da. Wieso es nach Beziehungsbeginn nicht einen offiziellen Richtwert für die Menge an zu praktizierendem Oralverkehr gab. Es gab ja auch einen für Energieverbrauch des Körpers in Kalorien. Wie Fliessbandarbeit sah das aus. Wie schlechtbezahlte Fliessbandarbeit. Was für ein Abenteuer, auf das sie sich begeben hatten, dacht ich mir. Welche kurzlebige Sinnesreise, die dann immer nur im Magen endet und verarbeitet wird, bis sie wieder herausgeschissen wird. Sie gingen essen, dacht ich mir, um sagen zu können, wie gut es doch gewesen war, dort oben, bei Sonnenuntergang, als wir uns 90% der Zeit anschwiegen, klimperten und assen, statt Penisse und Vaginen zu zerfleischen.

Fressorgien statt Sexorgien

Und dann zogen wir zusammen und verbrachten die meiste unserer Freizeitzeit gemeinsam. Erzählten von Haustieren in der Kindheit, von Knochenbrüchen, dummen Lehrern, der ersten grossen Liebe, weshalb es wohl mit der Letzten nicht geklappt hatte, wie man die Zukunft gestalten wollte, von politischen und religiösen Ansichten, grundsätzlichen Ansichten. Irgendwann nicht mal so viel später, erzählten wir dann, wie man Wäsche machte und was der Alex so treibt, wie es der kranken Tante geht, die heute angerufen hatte und wieso man keine Lust hatte schon wieder vor dem Fernseher rum zu gammeln und dann doch noch abwaschen zu müssen und vom Arschloch, dem Chef. Und dass man seine Tage bekomme gleich und lieber fressen und weinen würde, statt Sex zu haben. Es war ja nicht so, dass man weniger zuhörte und erwiderte, man kannte bloss all die vergangenen Geschichten schon und machte sich daran gemeinsam neue zu kreieren. Das klappte gut, uns fiel auch immer eine Aktivität ein, spannende, neue Dinge halt. Das war ja gar nicht das Problem.

Totengräber und alte Witze

Mir fiel bloss auf, dass wir uns gezwungen fühlten zu reden, wenn Leute um uns herum sassen. Ob das der erste Abend am Fliessband sein würde, fragte ich mich. Der Anfang vom Ende? Die Angst packte mich an der Kehle wie ein Vergewaltiger. War das etwa der Anfang von unserem Dasein als Sinnes-Scheisser? Obwohl wir vorhin nackt im Bad über Tagesaktualitäten und so vieles geredet, alles besprochen hatten und dann im Auto alles weitere, das uns noch eingefallen war: Es war alles fast ein bisschen ausgeredet, da am Tisch. Drum wiederholten wir alles nochmals, mit anderen Worten und kommentierten noch rasch irgend so eine Absurdität der Popkultur. Dann verglichen wir die Menschen um uns herum mit Tieren oder Hunderassen. Wir zwangen uns, um das Bild der gelangweilten, ewigen Schweigeminüter, Totengräber, in uns zu verdrängen. So waren wir nicht. Dann sagte einer immer etwas Lustiges, um die Angst zu besänftigen. Wir lachten noch oft, so war das nicht, aber irgendwann sind die Witze erzählt und das tagesaktuelle Geschehen kommentiert, weisst du wie ich meine?

Lass uns furzen

Für mich war das kleine Schweigen sogar ein kleines autonom sein. Selbstständig in Ruhe denken, nicht alles sagen müssen. Mich allein zu fühlen die ein, zwei Minuten. Heraus reissen aus der Zweisamkeit, meine eigenen, abstrusen Gedanken weiterspinnen, die du nicht kennen musst – weil wirklich unaussprechlich oder für Psychiater bestimmt. Es fühlte sich gut an, mal allein zu sein im Kopf.

“Man kann mit vielen Menschen reden, doch nur mit den Wenigsten Schweigen.“ Jetzt verstand ich ihn. Du hast mir die naheste Nähe gegeben, hiess das. Wir sind uns so innig vertraut, dass wir uns genug wohlfühlen um auch mal schweigen zu können. Oder zu furzen und zu lachen dabei. Oder in der eigenen Kotze liegen zu können. In Ruhe zu essen nach turbulenten Tagen. Wenn ich auswählen könnte, ob ich immer die Anfangsphase einer Beziehung für immer erleben möchte oder furzen zu können mit dir, würd ich furzen nehmen, dacht ich mir kurz.

Wie Schweigen ohne abzusterben

Und dann fragte ich mich, wann wohliges Schweigen, in richtiges Unwohlsein umschwappt. Ob es da eine Grenze gab, einen Indikator für das Schweigen der Rekapitulation. So eines, das einer üblen Trennung vorausgeht. Das ist dann nicht die Art Trennung, bei der geflucht wird und erniedrigt. Es geht still vor sich. Wie wenn sich Tote im Grab “adieu” sagen, bevor sie in die Hölle oder den Himmel ziehen. Das suchen sie sich dann wohlgemerkt selbst aus. „Wir hatten uns nichts mehr zu sagen“, sagten sie. Aber das musste wohl schon den ganzen Tag, wenn nicht Jahre so gegangen sein. Es konnte aber unmöglich immer dagewesen sein. Schliesslich hatte man ja einen Grund dort zu sitzen, wo man sass. Eine gemeinsame Geschichte, die aber nicht mit Zukunftsvisionen bespielt werden wollte. Wie ein ausgetrockneter, trauriger Bach mit ein paar Tropfen letzten Lebens in sich, der gerettet werden wollte von dieser langwierigen Dürre. Und vor zu wenig Penissen und Vaginen in Mündern.

Ein schlechtes Schweigen ist ein Schweigen, das nicht einmal durch repetitive Gesprächsthemen aufgehoben werden kann. Ein ermattetes Dasein verursacht. Eine Müdigkeit, ein sich Ekeln davor mit dem anderen zu reden, weil eine ekelhafte Erwiderung dessen auf einen wartet. Eine beschissene Antwort, die zu noch mehr Schweigen führt, für gefühlte 100, ach was, 1000 Jahre. Ein Maulkorb für beide, der da ist, um vor grösserem Kollateralschaden zu bewahren

Aber nein. Das war es wirklich nicht. Es war ein wohlig warmes Schweigen, von Zeit zu Zeit. Und das würde ich meinen – ist unsere Errungenschaft.

 

 

 

 

(Photo: Thinkstock)

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Autor: Jelena Keller

Jelena ist von Beruf Journalistin und Sprachlehrerin, Schweizerin serbischer Abstammung. Sie mag lange Texte und langes Grübeln. Sie hat sich daran gewöhnt zu viel zu denken und zu wenig zu schlafen. Wenn sie gar kein Auge zumachen konnte sieht sie die Welt nüchtern und in einem Grauton. Wenn sie ausgeschlafen hat, wandert sie mit ihrem Hund auf grüne Berge, durch bunte Blumenwiesen und rosa Weizenfelder. Schreibt auch mal Gedichte und Kurzgeschichten, reist am liebsten um die Welt und probiert Neues aus. Sie meint tatsächlich, dass sich alle Probleme lösen liessen, wenn man sich nur ab und zu in die Lage des Gegenübers versetzen könnte. Walk in my shoes und so. Trotzdem versteht sie manche Menschen nicht. Die, die sich vor dem Leben und dem Tod fürchten und andere verurteilen. Aber von den meisten anderen denkt sie, sie seien alle Freunde, die sie bloss noch nicht kennengelernt hat.

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