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Nichts kommt nicht von nichts

Einfach mal nichts tun. Das ist leichter gesagt als getan. Und ich meine jetzt nicht einfach ein bisschen nichts, sondern so richtig nichts.

Während Yoga und Meditation bin ich schon einige Male in nichts-ähnliche Zustände geführt worden – bei der Meditation allerdings irgendwann einfach eingeschlafen. Und diese Form von Nichtstun zählt ja dann nicht, denn schlafen kann jedes Kind. Vollständig nichts tun, heisst nämlich auch nichts denken. Denn wer während seines Nichtstuns denkt, der denkt die ganze Zeit daran, was er jetzt gerade nicht tut, respektive, was er an Stelle des Nichtstuns tun könnte – oder noch schlimmer: tun müsste.

Und das mit dem Denken ist bei mir so eine Sache. Meine Denkmaschine arbeitet unablässig, mehrschichtig und in vielen Dimensionen gleichzeitig. Weil dem so ist, und weil daraus nicht selten ziemlich skurrile Gedankengänge entstehen, hat mich einmal eine äusserst liebenswerte Person gefragt, ob sie vielleicht mein Hirn haben könne, wenn ich tot sei. Das hat mich sehr geehrt, und ich habe sofort zugesagt. Denn üblicherweise macht man sich ja bloss an den direkt nützlichen Extremitäten und Innereien eines Verstorbenen zu schaffen, weil man sich dadurch ein längeres, ein wieder etwas komfortableres, oder überhaupt Leben erhofft. Mein Hirn hingegen wird dannzumal einfach noch eine Weile der Erheiterung dienen. Und der Gedanke daran gefällt mir.

Doch zurück zu diesem Nichts. Während meines letzten aktiven Versuches, nichts zu tun (was ja per se ein Widerspruch ist), ist mir (mal wieder) so einiges durch den Kopf gegangen. So habe ich mir überlegt, wieviele Leute es wohl braucht, damit jemand einfach mal nichts tun kann. Nun sind ja Sommerferien eine klassische Periode des sogenannt süssen Nichtstuns. „Sogenannt“ süss, weil viele Menschen in Tat und Wahrheit gar nicht dafür geschaffen sind, sich einer kompletten Untätigkeit hinzugeben. Familien am Strand beispielsweise: Da reden sich zwei Elternteile ein, dass es der innerfamiliären Gemeinschaft ganz bestimmt zuträglich sei, wenn man sich mal für einige Tage ans Meer in den Sand setze. Dass der Nachwuchs dies nicht ganz so romantisch erlebt, lässt sich auch mit Luftmatratzen und Schnorchel nicht wegretouschieren. Mürrisch und gelangweilt nehmen die Kids hin, was unumgänglich ist. Wohlwissentlich, dass sie in 10, vielleicht 15 Jahren „da“ raus sind und nicht mehr mit den Eltern in Urlaub fahren müssen. Nichtwissentlich, dass sie mit grosser Wahrscheinlichkeit das Selbe mit ihrem Nachwuchs tun werden.

Ich bin erneut abgeschweift. Aber das gehört zu meinen Überlegungen zum Nichts und dem Nichtstun. Was benötigt es also, damit eine komplette Familie während ein bis zwei Wochen nichts, rsp. ganz wenig, völlig Unproduktives tun kann? Es braucht während der Ferienzeit eine ganze Heerschar an fleissigen Leuten, die ihrerseits SEHR VIEL tut, um der Familie die Infrastruktur und die Ressourcen zur Verfügung zu stellen, damit sie sich so richtig zurücklehnen kann, und da sind all diejenigen, die für die Vorbereitungen und für die Grundvoraussetzungen verantwortlich sind, noch nicht eingerechnet. Kondomhersteller gehören im vorliegenden Beispiel nicht dazu, denn die beiden Erwachsenen sind ja, wie erwähnt, mit ihrem Nachwuchs angereist. Es sind jedoch Erzabbauer, Schmiede, Schraubendreher, Blechbieger, Lackierer, Polsterer, Sound- und viele andere Ingenieure, Elektroniker, Glasgiesser, Händler und Zwischenhändler, Versicherer, Banker und ganz bestimmt auch eine Handvoll Krimineller dafür verantwortlich, dass da ein Auto steht, in welchem Familie X am Tag Y in die Ferien fahren kann. Sie erkennen die Tragweite, werter Leser. Im Urlaub sind es dann gleichwohl Architekten wie Agronomen, Müller wie Brauer, Köche wie Zimmermädchen, Maurer, Strassenbauer, Markierungs- und viele andere Maler, Lieferanten, Spezialisten, Sachverständige, Kreditgeber, Handlanger, Servicemonteure, Prüfexpertinnen, Grilleure, Pizzaiolos, Tellerwäscher, Gärtnerinnen, Bademeister, Taucherbrillendesigner, Bäcker und Konditorinnen, Schweinehirte, Schafskäser, Matrosen, Kapitäne, Kioskverkäufer und, und, und, und, UND!!!, die nicht ausschliesslich, jedoch zu einem wesentlichen Teil dazu beitragen, dass diese Familie (und viele mehr) hier in der Hotelanlage, dort am Strand, hier in der Pizzeria, dort im Park sitzen kann – und nichts tun.

Natürlich sind die meisten dieser Berufsgattungen nicht bloss dazu da, Feriengästen Ferien zu ermöglichen. Etliche von ihnen zu einem grossen Bestandteil aber schon, vorrangig in den Ferienregionen. Und sie verdienen alle Geld damit, manch einer zu wenig, mancher wohl gerade genug, um sich und seine Familie zu unterhalten. Und dann und wann vielleicht einmal selber irgendwohin zu fahren, wo man sich um sie kümmert. Überlegen Sie sich mal, wenn Sie hier so sitzen – sei es nun selber im Urlaub, bei der Arbeit, beim Nichts- oder vielleicht auch gerade sehr viel tun – was es alles braucht, damit alles ist, wie es ist. Bei mir führt das jeweils zu einer grossen Bewunderung für die und vor den Dingen, wie sie sind, und wie sie funktionieren. Und ich überlege mir dann, wie leicht es als Bettler wäre, einfach einmal nichts zu tun. Einfach nicht betteln, schon bleibt nichts übrig. Das Nichts, das wir längst verlernt haben, es zu spüren, zu erleben, zu besitzen und loszulassen. Dann, just in diesem Moment, werden Sie vielleicht für einen Augenblick nichts tun, nichts denken und dem Nichts begegnen. Sonst beginnen Sie einfach noch einmal von vorne.

Bild:

Frederick Arthur Bridgman (1847-1928)
Dolce Far Niente
Öl auf Leinwand

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Autor: Pete Stiefel

Pete konnte pfeifen, bevor er der gesprochenen Sprache mächtig war – und an seinem ersten Schultag bereits schreiben. Trotzdem ist er da noch einige Jahre hingegangen. Danach schrieb und fotografierte er fürs Forecast Magazin, für Zürichs erstes Partyfoto-Portal stiefel.li, fürs 20 Minuten, MUSIQ, Q-Times, Party News, WORD Magazine, war Chefredaktor vom Heftli, lancierte das Usgang.ch Onlinemagazin – und er textete für Kilchspergers und von Rohrs Late Night Show Black’N’Blond und Giaccobo/Müller. Er trägt (vermutlich) keine Schuld daran, dass es die meisten dieser Formate mittlerweile nicht mehr gibt.

Irgendwann dazwischen gründete er in einer freien Minute seine eigene Kommunikationsagentur reihe13, die unterdessen seit weit über 13 Jahren besteht. Er ist mittlerweile in seiner zweiten Lebenshälfte, Mitinhaber vom Interior Design Laden Harrison Interiors, schrieb unterdessen Pointen für Giacobbo / Müller, Black 'n' Blond (mit Roman Kilchsperger und Chris von Rohr und irgendwann auf dem Planeten Kult gelandet. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein grosser Schritt für Pete.

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