Früher war die Welt noch in Ordnung. Früher heisst: damals, als es sich noch bloss der Hochadel leisten konnte, Portraits seiner Antlitze erstellen zu lassen.
Mehr oder minder talentierte Kunstmaler waren dann während Stunden und Tagen damit beschäftigt, ein möglichst schmeichelhaftes Abbild ihres Auftraggebers zu erschaffen. War beispielsweise der französische, selbstverliebte Herrscher Louis XIV mit einem Portrait nicht zufrieden, liess er das noch feuchte Ölbild zerstören und den Übeltäter den Löwen zum Frass vorwerfen. Wenn auch es sich möglicherweise nicht ganz genau so zugetragen hat, zeigt diese Anektote auf, dass es Zeiten gab, da ein Personenportrait noch einen Wert hatte.
Wegbereiter für den Untergang einer ja eigentlich aufstrebenden Zivilisation war dann die Erfindung des Fotoapparates im Laufe des 19. Jahrunderts. Von diesem Moment an war es theoretisch jedermann möglich, sich selber zu fotografieren. Was praktisch dann aber noch längere Zeit für das Gros der Menschheit unmöglich, da unerschwinglich war. Nach wie vor musste man einen Sachverständigen engagieren, der einen mit seiner Kamera auf Fotopapier bannte. Noch etliche Jahre hielten Technik und verhältnismässig hohe Kosten das Individuum davon ab, sein fotografiertes Gesicht einer grösseren Masse zugänglich zu machen. Niemand hätte im Traum daran gedacht, von seinem Portraitfoto 250 Abzüge (oder mehr!) herstellen zu lassen und diese in einem frankierten Umschlag an Freunde, Familie und Unbekannte zu versenden.
Mit der Markteinführung der Smartphotoapparate mit Telefoniefunktion, spätestens seit der Lancierung solcher Geräte mit Frontkamera, war der Niedergang der Menschenrasse besiegelt. Fortan sollten wir ungefragt mit mehr oder minder attraktiven Selbstportraits überflutet werden. Diese Schmach lässt sich nur eindämmen, wenn man sich komplett abkapselt und in einen abgedunkelten Raum fernab von Zivilisation und Handyempfang einschliesst. Wer, nebst Alpöhi, tut das aber? Niemand. So werden wir tagein, tagaus von (mittlerweils nennt man Selbstbildnisse lapidar nur noch) Selfies torpediert. Und, als wäre das nicht schon schlimm genug, hat kürzlich auch noch irgend so ein Taugenichts den Selfiestick erfunden. Damit manifestiert der moderne Zeitgenosse seine Unabhängigkeit – oder anders ausgedrückt: Dass er nicht mal mehr Freunde hat, die ihn fotografieren wollen, weil er unablässig nonstop nach einem Selbstportrait vor atemberaubender Kulisse oder neben einer Pizza lechzt.
Glücklicherweise gibt es unterdessen eine Gegenbewegung, die hoffentlich global Schule macht: Vereinzelte Locations, unter anderem Freizeitparks, haben nebst öffentlichem Onanieren jetzt auch Selfie Sticks verboten. Angeblich aus Sicherheitsgründen, aber ganz bestimmt auch, weil man mit einem Selfie Stick in der Hand einfach elend bescheuert aussieht und das Ästhetenauge beleidigt. Leute! Hört auf damit! Niemand will unablässig eure Fresse sehen. Auch dann nicht, wenn ihr glaubt, ein Model zu sein. Denn richtige Models haben Fotografen, die sie richtig gut fotografieren. Oder einen Maler, der sie malt, in Öl, auf Leinwand, mit Stil und Charakter. Und wenn das Bild schlecht ist, wird sein Erzeuger den Löwen zum Frass vorgeworfen. Ach, damals… als die Welt noch in Ordnung war.
Abb. 01: Selfiestick ist kürzer als der Arm -> bringt nichts.
Abb. 02: Kleingruppe mit Selfiestick-Überschuss -> Person ohne Selfiestick wird ausgegrenzt.
Abb. 03: Person hat Sinn vom Selfiestick nicht verstanden -> muss nicht mit der Haarfarbe der Person zu tun haben, kann es aber.
Abb. 04: Beschissene Familienferien -> werden auch durch einen Selfiestick nicht besser.
Abb. 05: Selfiesticks als Beziehungskiller -> Seit er einen längeren hat, läuft nichts mehr.
Abb. 06: Selfiestick Backup -> Sicher ist sicher: Zur Sicherheit besser immer trotzdem noch ein Foto von einer richtigen Person mit einer richtigen Kamera machen lassen.
Abb. 07: Kack Position -> Auch ein Selfiestick macht eine scheiss Pose nicht besser.
Abb. 08: Papa, warum sitzt Mama nicht bei uns am Tisch? -> Weil ich keine verdammten Selfiesticks am Tisch dulde. Iss jetzt, Sohn.
Abb. 09: Warum siehst du eigentlich auf jedem Foto aus, als wärst du am Golf spielen? -> Das ist modern, Grossmutter. Das musst du nicht verstehen.
Abb. 10: Fotos aus der Froschperspektive lassen alles grösser erscheinen -> Ausser Schwänze. Dafür Doppelkinne.
Abb. 11: Der Beweis -> Nicht wissen, wozu ein Selfiestick gut ist, hat nichts mit der Haarfarbe zu tun.
Abb. 12: Schatz… -> Ach, vergiss es.
Abb. 13: Seitdem ich diesen Selfiestick verwende -> werden die Fotos einfach besser.
Abb. 14: Auf frischer Tat ertappter Selfiestick-Dealer -> Wurde augenblicklich den Behörden übergeben.
Abb. 15: Well… -> No comment.
Abb. 16: Neu -> Selfiesticks eignen sich auch für Schwarz/Weiss-Fotografie.
Abb. 17: Und dann? -> Am Ende der Sommerferien werden die nun nicht mehr benötigten Selfiesticks einfach ausgesetzt und ihrem Schicksal überlassen. Traurig.