in

Die Dummheit der Schubladendenker

Ich beteilige mich nicht mehr an all den gegenwärtigen Diskussionen. Es sind ja auch gar keine mehr. Der verbale Austausch mit Andersdenkenden ist zum blossen Zementieren und Diffarmieren verkommen. Das liegt einerseits am mangelnden Selbstwertgefühl der Diskutierenden – und im Internet kann ja erst recht jeder über jeden alles sagen – und andererseits an der Definitionsproblematik innerhalb eines Themas. Oder anders gesagt: Die Dummheit der Schubladendenker hat die Führung an sich gerissen.

Nehmen wir die aktuelle Flüchtlingssituation. Da fängts ja schon mit der Begrifflichkeit des Titels an. Die aktuelle Flüchtlingssituation. Da fliegen ja nur noch die Fetzen. Das kann man ja gar nirgends mehr aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Da haut jeder dem anderen die Türe vor der Nase zu, der irgendwo anders steht als er. Die einen reden von den Flüchtlingen, die direkt aus den Kriegsgebieten kommen, die anderen meinen im Verteidigen ihres Standpunktes aber die, die nicht eigentliche Kriegsvertriebene sind, sondern aus wirtschaftlichen Gründen herkommen, und wiederum andere warnen vor denen, die weder Kriegs- noch Wirtschaftsflüchtlinge sind, sondern Dschihadisten oder sowas. Und das sind erst drei von noch mehreren verschiedenen Fokussierungen innerhalb des Themas „die aktuelle Flüchtlingssituation“. Aber in jeder Diskussion behauptet jeder, die zwei anderen Fokussierungen seien falsch und zu verachten. Jeder nimmt von sich in Anspruch, dass die eigene Fokussierung auf einen Aspekt des Ganzen gar keine Fokussierung ist, sondern das Ganze. Man hat die Wahl zwischen der Beschimpfing „Gutmensch“ oder „Nazi“. Wobei bereits eine 30prozentige Abweichung der Fokussierung ausreicht, den Gutmenschen im Nazi und den Nazi im Gutmenschen gleichermassen abzustossen und zu verfluchen. Wäre alles nicht nötig, wenn man sich darauf einigen würde, wie all die Begriffe genau definiert sind, und welchen Aspekt man nun besprechen will.

Wir müssen aufhören, schwammig zu reden. Wir müssen aufhören, schwammig zu denken. Wir müssen aufhören, schwammig zu sein. Der Grundmechanismus des Rassismus besteht ja darin, dass man alles einer bestimmten “Rasse” in eine Schublade steckt, diese mit ein paar Begriffen kennzeichnet, die dann für alles, was sich in dieser Schublade befindet, gelten soll. Also jedem Individuum die Individualität abspricht.

Drum ist Rassismus dumm. Nicht wegen dem Hass auf andere, sondern wegen der Schublade. Schubladendenken ist dumm. Wenn man schon etwas verbieten muss, dann müsste man eigentlich nicht Rassismus verbieten, sondern Schubladendenken. Denn Rassismus ist ja nur eine Unterform vom Schubladendenken. Das gilt gegenüber allem und allen, die sich temporär oder konstant in irgendeiner Gruppe zusammengefunden haben. Das gilt gegenüber den Juden, das gilt gegenüber den Velofahrern. Schubladendenken gehört unter Strafe gestellt. Die Welt wird nämlich gar nicht immer extremer. Aber durch das Schubladendenken, bzw. das Ausschalten verschiedener Blickwinkel sind die Themen zwar vielleicht einfacher zu erfassen, aber nicht mehr zu verstehen, sie zerfallen in Unterthemen mit unterschiedlichem Fokus, welche aber nicht gesondert diskutiert und gelöst werden, sondern zusammengemantscht und als Brei ungeniessbar in irgendeiner Schublade vor sich hinmodern und das Klima verpesten.

Drum beteilige ich mich nicht mehr an all den gegenwärtigen Diskussionen. Weils keine mehr sind. Gutmensch oder Nazi. Französische Revolution oder Drittes Reich. Tod oder Teufel. Wenn du nicht mit mir bist, dann bist du gegen mich. Faschisten links wie rechts. Und am Schluss verlieren alle. Vor allem die Möglichkeit, unterschiedliche Ansichten nebeneinander zu haben und dadurch ein grösseres Bild freizulegen. Die Dummheit der Schubladendenker hat auch das beerdigt.

Gefällt dir dieser Beitrag?

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Autor: Rainer Kuhn

Rainer Kuhn (*1961) hat das ganze Ding hier gegründet, aufgepäppelt, fünf Mal neu erfunden, vorher Werber, noch vorher Betriebsökonomie studiert, noch vorher Tennislehrer gewesen. Dazwischen immer mal wieder ein Kind gemacht. Wollte eigentlich mal Pferdekutscher im Fex-Tal werden, später dann Pfarrer. Im Herzen ein Landbub, im Kopf dauernd unterwegs. Schreibt drum. Hat ein paar Gitarren und ein paar Amps in der Garage stehen. Macht Musik, wenn er Zeit hat. Hat er aber selten. Blues und Folk wärs. Steht nicht gern früh auf. Füllt trotzdem die Kult-Verteilboxen jeden Monat mehrmals eigenhändig auf. Fährt Harley im Sommer. Leider mit Helm. Mag Mainstream-Medien nicht. Mangels Alternativen halt Pirat geworden. Aber das ist manchmal auch streng.

Facebook Profil

Das WE in ZH: Neues, Legendäres, Sensationelles

Korrekter leben, heute: Zombies kompostieren