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Midlife Crisis, Teil 1: Die Todesangst

“Der Weg zum Besseren, so es ihn gibt, erfordert einen schonungslosen Blick auf das Schlimmste.” – Thomas Hardy

Ich habe eine Midlife Krise mit 30. Bei anderen wird die erst mit 40 erwartet. Was nicht heissen soll, dass es nicht tatsächlich die Mitte meines Lebens sein könnte oder ein Viertel oder das Ende. Ungewöhnlich ist das nie. Es gibt Kinder, die sich Existenzfragen stellen. Es könnte ja tatsächlich die Lebensmitte des Kindes sein, was das ganze umfassend dramatisiert. Es könnte mein Endlife sein, dieses womöglichen Midlife. Das wäre mir unendlich gleichgültig, ehrlich.

Einmal sind wir elende Touristenfratzen fast abgestürzt in einem eigentlich vertrauenswürdigen Flugzeug mit einer vertrauenswürdigen Aufschrift darauf. Von Dubai nach Zürich sind fast alle zu massiv grotesken Jammerlappen transformiert. Die unfreundlichen Machos, wie malträtierte Kalbsköpfe sahen sie aus. Kurz vor dem Nagel in den Kopf. Geschrei, Gekotze, Gezitter, Gewimmer, Gesabber, Gebet. Erbärmlich. Wieso sollte man seine letzten Minuten auch mit miserablem Dasein zubringen? Ich dachte mir: macht, lasst mich das Unausweichliche schmücken mit eurer Lächerlichkeit. Na, jetzt seht ihr, dass ihr nicht unverwundbar seid. Sie schienen tatsächlich geglaubt zu haben, dass Dinge wie Sterben, nur anderen passieren. Welch irrationaler Glaube. Wir werden alle v-e-r-e-n-d-e-n-, dacht ich mir, dafür, dass wir nach Dubai pilgern und uns bedienen zu lassen von vom Menschenhandel getriebenen und in Kloaken wohnenden Indonesiern, denen wir dann lächelnd danke sagen, so zum Hohn, denn genützt hat das noch niemandem etwas.

So hab ich sie studiert, die Leute rundherum. Und gekichert. Mit grosser Heiterkeit. Weil es zu Ende geht und man da lieber lacht in den letzten Momenten, statt feige dahinzuscheiden und weil ich mich freute, dass es sie auch bald treffen würde und ich den Platz in der ersten Reihe gekriegt hatte. Ich könnte dabei zusehen, wie Körper, Gedärme und Gehirne durch die Lüfte fliegen. Etwas Aufregendes, das ich vorher noch nie erlebt hatte. Ob es stinken würde nach verbranntem Feiglings-Matschbirnen-Ratatouille, bevor ich das Bewusstsein verliere?

Ich erachte es als die elterliche Pflicht Kindern beizubringen wie man dem Tod würdevoll begegnet. Zum Beispiel mittels Demonstration ihres eigenen Dahinschiedens.

Es freute mich ziemlich, dass wir nun endlich alle herausfinden würden, was es nun auf sich hat mit dem Tod und dem Zeugs danach. Dann fragte ich den Kalbskopf neben mir, ob er religiös sei oder esoterisch oder sonst was. Er überhörte mich. Weil er die Hände gen Himmel gefaltet hatte, war ich der Annahme, dass es ich um Katholizismus handeln musste. Dann fragte ich, weshalb er solche Angst habe jetzt, wo er doch in den Himmel komme. Oder ob es doch Ehrfurcht sei, vor all den kleinen schwarzen Käfern in der Erde, die alleine herzlich wenig anrichten konnten, in der Gruppe aber zu unermesslicher Zerstörung des menschlichen Körpers neigen. Oder sollte ich sagen: Es besteht die Möglichkeit, dass da nichts mehr ist, man einfach weg ist.  Etwa so, als hätte man kein Facebook, aber schlimmer. Ob man überhaupt existiert, wenn man nicht wahrgenommen wird von anderen? Er starrte mich mit angstverzerrtem Gesicht und seinen dummen Kuhagen an. Jetzt schien er doch eher wie eine Hyäne auszusehen, wobei die Bezeichnung nicht ganz treffend ist, beachte man die Nahrungskette und seinen momentanen Gemütszustand. Ein wenig böse, war er mir. Aber zumindest nicht mehr ängstlich, was mich glücklich machte.

Mein Mann neben mir, der lächelte friedlich und zufrieden, dass wir auf Reisen und zusammen sterben würden. Ob ich micht nicht auf ihn und uns, statt auf die anderen fokussieren könnte, fragte er. Wie so oft in Paarbeziehungen, hatten wir in Extremsituationen inkompatible Stimmungen, die wir uns aber gegenseitig gewähren liessen – weil man einander ja nicht umbringen wollte, so kurz vor dem Tod. Mit mir war halt die Verachtung durchgebrannt, das Gruslige in mir wurde vom Luftdruck im Flugzeug aus mir herausgepresst sozusagen. Oder von den Rindergrindern provoziert. Aber was sollte man auch tun in solch einer lebensbedrohlichen Situation? Da ist auf einen Schlag nichts mehr mit gesellschaftskonform. Da kann man wenigstens einmal sich selbst sein.

Ich hoffte, dass die Passagiere, inklusive mir, verstanden hatten, dass der Tod, trotzig und stur wie er ist, unausweichlich kommt. Dass die einzig erfüllende Art ihm zu begegnen, ein befriedigendes Leben ist. Ich hoffte, dass das Bewusstsein über die eigene Sterblichkeit helfen würde neue Lebensperspektiven zu entwickeln.

Es stellte sich jedoch heraus, dass zu viel Bewusstsein über die Vergänglichkeit in Sinnlosigkeit mündet.

 

 

 

Foto: Silvano Ballone Photography

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Autor: Jelena Keller

Jelena ist von Beruf Journalistin und Sprachlehrerin, Schweizerin serbischer Abstammung. Sie mag lange Texte und langes Grübeln. Sie hat sich daran gewöhnt zu viel zu denken und zu wenig zu schlafen. Wenn sie gar kein Auge zumachen konnte sieht sie die Welt nüchtern und in einem Grauton. Wenn sie ausgeschlafen hat, wandert sie mit ihrem Hund auf grüne Berge, durch bunte Blumenwiesen und rosa Weizenfelder. Schreibt auch mal Gedichte und Kurzgeschichten, reist am liebsten um die Welt und probiert Neues aus. Sie meint tatsächlich, dass sich alle Probleme lösen liessen, wenn man sich nur ab und zu in die Lage des Gegenübers versetzen könnte. Walk in my shoes und so. Trotzdem versteht sie manche Menschen nicht. Die, die sich vor dem Leben und dem Tod fürchten und andere verurteilen. Aber von den meisten anderen denkt sie, sie seien alle Freunde, die sie bloss noch nicht kennengelernt hat.

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