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Die Langeweile

Mit dem Mitlife oder Viertellife oder Endlife, was auch immer es sein mag, (man weiss ja nicht, wann man stirbt) stellt sich die Erkenntnis ein, dass das Leben eigentlich an und für sich unendlich langweilig ist. Dass unbeschwertes und leichtes Dasein eher die Ausnahme darstellt, dass die langersehnte Karriere auch nicht das Grösste ist, dass viel Wissen viel zu viel Denken bedeutet, dass die Welt stinkt, dass viel Erfahrung beschwerend ist, dass einem Gedanken beim Sex in die Quere kommen können, dass viel Alkohol nicht mehr lustig ist und tatsächlich keine Probleme löst, dass alles irgendwann unendlich monoton wird, auch wenn man sich die Mühe macht neue Lebensaufgaben, Hobbies und Menschen zu finden, die einen für einen kurzen Moment Erregtheit spüren lassen. Auch Fotos von toten Kindern zwischen zerbombten Häusern lassen einen kurz aufleben, doch irgendwann, nach genug hingucken, hat man sich auch daran gewöhnt. Das Herz schlägt nicht mehr bis zum Hals.

Die primitiven Witze werden nur mit Wein erträglich, die Freunde ein bisschen weniger, da man inkompatibel geworden ist (zum Glück, man entwickelt sich ja trotzdem irgendwie weiter), der Sex immer irgendwann ein bisschen gewöhnlicher, die Gedankengänge ein bisschen mürrischer. Lästige Alltagsdinge wie Einkaufen und Putzen, sich schminken und Haare waschen, werden so unglaublich sinnlos, weil man sie in der Regel repetitiv zehn Jahre lang ausführt und kein Ende der Aufgabe naht. Weil einen der Alltag zu kurzlebigen Dingen zwingt, die uns unbefriedigender Weise immer wieder mit dem gleichen Resultat enden: Dass man wieder von vorne beginnen muss. Genauso verhält es sich mit dem Leben allgemein. Es wiederholt sich alles irgendwie, irgendwann.

Wenn wir ehrlich sind, ist nichts, das man zehn Jahre lang fast gleich tut, weiterhin aufregend. Ausser man ist gut darin sich einzureden, dass es ach so schön und ach so wertvoll ist zum Beispiel diesen Sonnenuntergang dort vorne anzustarren. Man gibt sich Mühe den Sonnenuntergang schön zu finden, als wäre etwas schön daran, wenn die Sonne jeden verdammten Abend untergeht und dabei immer fast gleich aussieht. Das bringt einen so sehr in Aufruhr, wie all die anderen lästigen Alltagsdinge, die sowieso passieren und nicht überraschend enden. Wie Scheissreste aus Toilettenschüsseln schrubben oder Zehennägel schneiden und dabei Hühneraugen betrachten. Wie die Sonne, sehen Hühneraugen auch immer wieder ein bisschen anders aus, sind aber grundsätzlich aufregender, weil man selbst bestimmen kann, was man mit ihnen anstellt, also den Ausgang der Situation selbst gestalten kann. Die dumme, anspruchslose Sonne geht bloss jedes verdammte Mal einfach unter.

Repetitive Tätigkeiten. Töten. Langsam.

Man stellt fest, dass einzig grossartige Ereignisse wie Verliebtheit, Erfolg, Schwangerschaft, Heirat, Reisen noch kurzzeitig grosse positive Gefühle hervorrufen können.

Kinder kriegen wäre noch eines der Abenteuer, die man mit noch nicht erlebt hat. Das würde einen leider nur temporär in Aufruhr versetzen, denn wie nachzulesen ist, ist diese Gefühlsregung auch mit dem neugewonnen Leben und der Anpassung an dieses irgendwann abnehmend, weil sich Gewohnheit einstellt. Statt Hochgefühl auf sicher, könnte man sich freuen über weniger eigener Egozentrik und die Abwechslung in der steten Adaption an das Kind und seine Wünsche. Kinder entstehen oft in Krisen und Verliebtheit und nicht dazwischen. Auch ein Beweis dafür, dass sich Eltern diesen Zustand des Rausches bewahren, ihn sogar verstärken wollen. Rette uns aus der Krise, mach uns glücklich oder mach, dass unser Glück mit dir noch grösser wird und von Dauer ist, diesmal. Mach!

Die Angst vor der Monotonie lässt uns dumme Dinge tun, die dann meistens enttäuschend oder eben in Monotonie enden. Irrationalität und Euphorie lassen uns lebendig fühlen. Sie führen uns in einen Ausnahmezustand, der, weil eben nicht alltäglich, wunderbar und schnell aus der Langeweile führt. Trotz der Gewissheit, dass Gewohnheit kommen wird, irren wir herum und hoffen ganz naiv, dass es dieses eine Ding, diesen einen Menschen, diese eine Tätigkeit und dieses eine Leben gibt, das uns für immer Himmelhochjauchzend macht. Bis die Zeit vergangen ist, man 30 wird und merkt: Glücksgefühle sind rar und nie von langer Dauer, die generelle Zufriedenheit allerdings, liesse sich weniger aufwändig erreichen und länger bewahren. Ist sie zwar eine abgeschwächte Form des euphorischen Glücks, doch auch günstiger zu haben: Ganz ohne Einwirkung von aussen, lässt sie sich jederzeit abrufen und erscheint dann zu einem Zeitpunkt, den wir bestimmen, immer wieder zu uns zurück. Ob uns nun Sonnenuntergänge oder Kaffees in Cafées zufrieden stimmen, lasst sie uns finden, die ach so erstrebenswerte Zufriedenheit, welche zwar eine langweiligere Form des Glücks ist, uns aber lächelnd statt düsteren Gemütes durch die Welt ziehen lässt.

Ja, das Leben ist irgendwann langweilig, wenn man viel erlebt hat. Man macht aber trotzdem weiter, weil nichts zu tun und nur zu jammern – eine weitaus langweiligere Alternative wäre.

 

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Autor: Jelena Keller

Jelena ist von Beruf Journalistin und Sprachlehrerin, Schweizerin serbischer Abstammung. Sie mag lange Texte und langes Grübeln. Sie hat sich daran gewöhnt zu viel zu denken und zu wenig zu schlafen. Wenn sie gar kein Auge zumachen konnte sieht sie die Welt nüchtern und in einem Grauton. Wenn sie ausgeschlafen hat, wandert sie mit ihrem Hund auf grüne Berge, durch bunte Blumenwiesen und rosa Weizenfelder. Schreibt auch mal Gedichte und Kurzgeschichten, reist am liebsten um die Welt und probiert Neues aus. Sie meint tatsächlich, dass sich alle Probleme lösen liessen, wenn man sich nur ab und zu in die Lage des Gegenübers versetzen könnte. Walk in my shoes und so. Trotzdem versteht sie manche Menschen nicht. Die, die sich vor dem Leben und dem Tod fürchten und andere verurteilen. Aber von den meisten anderen denkt sie, sie seien alle Freunde, die sie bloss noch nicht kennengelernt hat.

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