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Die Tripvermieser

Lieben Sie Überraschungen? Sind Sie abenteuerlustig? Halten Sie sich für spontan? Dann lassen Sie Ihr Smartphone auf Ihrer nächsten Reise in der Tasche – oder noch besser gleich ganz zuhause. Sie werden hinterher dankbar sein. Oder auch nicht.

Digital Detox und Social Media Junkies
Mit diesem Internet verhält sichs ja ziemlich ambivalent: Nützts nichts, so schadets nichts, ist man geneigt zu sagen – allerdings hat dieses globale, virtuelle Netz gleichzeitig durchaus einige Annehmlichkeiten zu bieten, von denen wir noch vor wenigen Jahre nicht mal zu träumen wagten. Insbesondere das mobile Internet kann uns aus Situationen retten, in welche wir ohne ebendieses womöglich gar nicht erst geraten wären. Nun gibt es Menschen, die schweifen in die Ferne, um endlich einmal für einen Moment die elektronische Welt hinter sich zu lassen, um abzuschalten und digitalen Detox zu zelebrieren. Für diejenigen ist dieser Text nicht geschrieben. Selbstverständlich dürfen sie gerne trotzdem weiterlesen. Dann wiederum gibt es Leute, die können ihre Finger einfach nicht vom Smartphone lassen, ganz egal wo auf der Erdkugel sie sich gerade befinden. Möglicherwiese haben sie aufgrund ihrer Abhängigkeit nach der Rückkehr aus ihren Ferien schon Bekanntschaft mit einer horrend hohen Handyrechnung gemacht – da es aber vielerorts bereits mehr oder weniger flächendeckend Wlan-Zugang gibt, wissen sich die richtigen Junkies unter ihnen ganz gut zu helfen. Diese – formulieren wir es zu ihren Gunsten – online affinen Zeitgenossen lassen sich weiter kategorisieren. Den richtig heftig süchtigen unter ihnen etwa ist leider nicht mehr zu helfen. Ihre Aufmerksamkeit steckt konstant in den von ihnen bewirtschafteten Social Media Accounts, und sie sind nonstop damit beschäftigt, sich mitzuteilen und gleichzeitig auszuchecken, was ihre Freunde gerade tun. In permanenter Befürchtung, sie könnten etwas Lebenswichtiges verpassen. Diese Spezies habt in einer fremden Stadt in einem fremden Land im Grunde genommen gar nichts verloren. Sie besuchen da ohnehin bloss die immerselben amerikanische Kaffee- und Hamburgerläden und sind bloss in der Fremde, um auf Instagram zu beweisen, dass sie es waren. Möglichst oft bereisen sie möglichst viele verschiedene Orte, um ihren unbändigen Konsum- und Mitteilungsdrang zu füttern. Stillen lässt sich diese Gier längst nicht mehr.

Damals, im letzten Jahrtausend
Dann gibt es noch die praktisch veranlagten Reisenden. Um diese pragmatisch agierenden Individuen dreht sich dieser Artikel. Ich zähle mich zu ihnen und finde das mal gut, mal weniger – ich bin da etwas hin und hergerissen. Der Praktiker hat nämlich erkannt, dass ihm das Internet auf seinem Trip verschiedene Informationen liefern kann, an welche zu gelangen damals vor 30 Jahren auf der Interrail-Rundreise durch Europa mit ausserordentlich viel Aufwand verbunden war. Zeitnah an wichtige Tipps für den aktuellen Aufenthaltsort zu kommen: Nahezu unmöglich. Reiseführer erschienen damals noch ausschliesslich in gedruckter Form, und Print-Neuauflagen gibt es aus ökonomischen Gründen bekanntlich erst dann, wenn eine vorherige Auflage ausverkauft ist. Ferienerlebnisse waren früher nicht selten von Zufällen abhängig. Wie beispielsweise damals, als Thomas und ich in Nizza von seinem schwulen Coiffeur einen Restauranttipp erhielten, der sich am Abend selbigen Tages als hervorragend herausstellen sollte. Der schwule Besitzer und der schwule Chef de Service besagten Restaurants, beide ganz offensichtlich ziemlich nahe mit dem Coiffeur befreundet, umsorgten uns beiden jungen Touristen mit ihrer vollsten Aufmerksamkeit. Das freudige Ereignis begann beim Apéro auf dem knallroten Plüschsofa im Foyer und setzte sich bei Tisch im Rahmen eines Defilees ausgesuchter französischer Gaumenfreuden aus der kleinen aber exquisit besetzten Küche fort. Zwar hatten Thomas und ich von der vorhergehenden, eifrigen, charmanten mündlichen Menu-Präsentation nicht restlos alles verstanden, aber sämtliche aufgetischten Gänge schmeckten vorzüglich bis extraordinär. Da beschwert man sich hinterher auch nicht darüber, dass an diesem Abend beinahe das halbe Feriengeld draufgegangen war, schliesslich waren ja einige Schlucke französischen Top-Weines in der Schlussrechnung inkludiert. Und der Abend blieb als ausserordentlich angenehm in unserer Erinnerung und wird es ganz bestimmt auf alle Ewigkeit bleiben. Thomas hat in der Folge im Rahmen weiterer Nizza-Aufenthalte bestimmt auch erneut den “schuldigen” Coiffeur aufgesucht.

Wollen wir das wirklich?
Heutzutage hat es jeder jederzeit förmlich in der Hand, sich über eines der zahlreichen Gastroportale darüber zu informieren, wo man unbedingt gegessen haben muss, und wo keinesfalls. Die Gründe für oder gegen einen Lokalbesuch sind mannigfaltig, gemeinsam haben sie eines: Analog zu einer Schweizerischen Volksabstimmung entscheidet die Mehrheit in demokratischer Manier über Top oder Flop. Waren in einem Restaurant mehrheitlich alle zufrieden, führen die positiven Bewertungen dazu, dass die Gaststätte weiter oben in den Suchresultaten angezeigt werden – das Gegenteil kann zum absoluten Absturz führen. Geht man jetzt etwas in die Tiefe (zugegeben, der Pauschalturist hat dafür keine Zeit), bleiben einige Faktoren vollkommen ausser Acht: Waren die Gäste vielleicht schlicht nicht Zielpublikum für das besagte kulinarische Angebot, und hat es ihnen möglicherweise deshalb nicht geschmeckt? Sind sie unter Umständen gehobene Küche gewohnt und können mit einfachen lokalen Speizalitäten nichts anfangen? Haben sich Portalbesucher von Amateurkritikern beeinflussen und mitreissen lassen? Betreibt die Konkurrenz eventuell gezielt ein Bashing gegen den unliebsamen Nachbarn? Die Liste läst sich beliebig ergänzen. Aber ja: Natürlich ist es fantastisch, wenn ich mitten in Paris stehe und mir die „Geheim“-Tipps in meiner unmittelbaren Umgebung anzeigen kann. Zwar bin ich dabei nicht vor einer Enttäuschung gefeit, aber die Chance eine solche zu erleben, wird zugegebenermassen minimiert. Aber: Machen es nicht wie im richtigen Leben auch in den Ferien die kleinen Enttäuschungen aus, dass wir die Perlen dazwischen umso mehr zu schätzen wissen? Sollten wir nicht gerade in der Fremde dem Unbekannten eine Chance geben und uns einmal auf die Äste hinauswagen? Macht es nicht genau da der Reiz aus, von der geteerten Strasse auf den Trampelfad auszuweichen, mit dem Risiko, über Wurzeln zu straucheln aber gleichzeitig mit der Möglichkeit, ganz Wundervolles zu erleben – zum Beispiel in jenem unvergesslichen Restaurant an der Côte d’Azur? Nehmen Sie doch nächstes Mal wieder den altmodischen Reiseführer mit, indem man Ihnen die paar wenigen Brocken der Landessprache beibringt, die es braucht, um die lokalen Spezialitäten zu bestellen und sich dafür zu bedanken. Sie werden es bestimmt nicht bereuen – vielleicht auch doch. Aber Sie werden sich ganz bestimmt noch sehr lange an das Erlebte erinnern. Und darum geht es doch bei Ferien, sonst könnten Sie ja gerade so gut zuhause bleiben.

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Autor: Pete Stiefel

Pete konnte pfeifen, bevor er der gesprochenen Sprache mächtig war – und an seinem ersten Schultag bereits schreiben. Trotzdem ist er da noch einige Jahre hingegangen. Danach schrieb und fotografierte er fürs Forecast Magazin, für Zürichs erstes Partyfoto-Portal stiefel.li, fürs 20 Minuten, MUSIQ, Q-Times, Party News, WORD Magazine, war Chefredaktor vom Heftli, lancierte das Usgang.ch Onlinemagazin – und er textete für Kilchspergers und von Rohrs Late Night Show Black’N’Blond und Giaccobo/Müller. Er trägt (vermutlich) keine Schuld daran, dass es die meisten dieser Formate mittlerweile nicht mehr gibt.

Irgendwann dazwischen gründete er in einer freien Minute seine eigene Kommunikationsagentur reihe13, die unterdessen seit weit über 13 Jahren besteht. Er ist mittlerweile in seiner zweiten Lebenshälfte, Mitinhaber vom Interior Design Laden Harrison Interiors, schrieb unterdessen Pointen für Giacobbo / Müller, Black 'n' Blond (mit Roman Kilchsperger und Chris von Rohr und irgendwann auf dem Planeten Kult gelandet. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein grosser Schritt für Pete.

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