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MAGDALENAS SCHAMLOSE SCHAU

Magdalena fand den Ton. Auf ihrer Ebenholzflöte. Nach einer recht langen Zeit. In der sie fleissig geübt, unermüdlich ausprobiert hatte. Sie fand jenen – fast unhörbaren doch tragenden – Sound, der Kontinente zu überqueren vermag. Und dann genau ins richtige Herz trifft. Eine feine Nadel der Liebe.

Dieser Ton würde ihren Geliebten zu ihr bringen, den dunklen Ritter des Lichts, in ihre Wohnung locken, an ihren Herd, in ihr Bett. Unmittelbar vor den Feuertagen würde er erscheinen.

Nach Tausenden von Kilometern mühseliger Reise, unverhofft und urplötzlich angetreten. Weil sein Herz es ihm unerbittlich auftragen würde. Sein gutes, sein trauriges Herz. Aus der Ferne hypnotisiert. Von den Klängen der Ebenholzflöte.

Es handelte sich natürlich um eine Zauberflöte. Ein Schamane aus einem Regenwald hatte sie angefertigt. Es war nicht einfach gewesen, den Mann zu dieser schweren Arbeit zu bringen, denn Ebenholz ist hart, Magie ist anstrengend. Und der Schamane ward ein bisschen altersmüde. Ausser, wenn es um libidinöse Aufführungen ging.

Das Überreden, die goldenen Worte, mit denen Magdalena den Schamanen überzeugen wollte, waren dann allerdings bloss Einleitungen. Zu einem langen, ganz eigenartigen Nachmittag. An dem unsere Magdalena alle Wünsche erfüllte, die der alte Zauberer an sie richtete.

Dabei sass dieser in einem bequemen Sessel und dirigierte Magdalena, denn er war ein Aficionado des Beschauens weiblicher Körperlichkeit. Präsentiert in Myriaden von aufreizenden, schamlosen Stellungen, Bewegungen und Tänzchen. Aufgeführt in verschiedenen Stadien der Entkleidung, gipfelnd in beinahe vollständiger Blösse. Wobei die jeweilige Dame seiner Wahl jene kniehohen Stiefel und das kecke Hütchen, er hielt eine ansehnliche Sammlung dieser schönen Dinge in seinem Blockhaus bereit, in verschiedenen Grössen, nie ablegen durfte.

Magdalena hatte Glück. Sie gefiel dem Schamanen sehr, mit ihren dunklen Locken, ihren noch dunkleren Augen, ihren üppigen Formen, die schon so manchen wackeren Mann in den Freitod getrieben hatten. Also wurden sie handelseinig. Sie würde ihre Flöte erhalten. Im Austausch gegen eine umfassende nachmittägliche Vorführung ihrer Reize. Unter der unerbittlichen Regie des Schamanen, der sie exakt folgen solle.

Mehr wollte er nicht, sie müsse ihn nicht anfassen. Er würde sie nicht berühren. Letzteres hatte er nämlich aufgegeben. Sein stolzes Alter hatte ihm alle erotischen Marotten in den Kopf getrieben, wo sie von A bis Z abgehandelt werden konnten, zerebral, zwischen seinen Beinen herrschte – seit geraumer Zeit bereits – herrliche Ruhe.

Magdalena wäre ja auch zu allerlei handfesten Taten bereit gewesen, weil sie sich die Flöte doch so dringend wünschte. Doch sie war froh, dass es nicht so weit kommen musste. Sie fand den Schamanen zwar recht sympathisch, empfand dabei jedoch keinerlei körperliche Anziehung. Physische Annäherungen hätten ihr also einiges an Überwindung abverlangt.

Doch eine schamlose Schau würde sie dem freundlichen Alten mit der sanften Stimme gerne gewähren.

Der Nachmittag kam. Und die Schau hob an. Danach war Magdalena fix und fertig. Die Sache war doch um einiges mühseliger gewesen, als sie es sich vorgestellt hatte. Die sanfte Stimme des Schamanen hatte ihren Körper erfasst, gebogen, gespreizt, hatte sie zum Tanzen, zum Wackeln, zum Zittern gebracht. „Dein Tanz, den ich sehen will“, sagte der Schamane ruhig, „soll kein Tanz der Selbstvergessenheit sein. Es handelt sich vielmehr um einen Tanz der hemmungslosen Zurschaustellung, einen schamlosen Tanz für meine Augen, meine Seele, zur Partitur meiner Fantasie. Gib Dir also nur ordentlich Mühe. Dann wirst Du deine Zauberflöte erhalten.“

Die gesamte Enzyklopädie der aufreizenden Stellungen und Bewegungen diente dem Alten als Drehbuch für seine ausführlichen Anweisungen an die liebe, gute Magdalena, die er in die direktesten, die schmutzigsten Worte und Sätze kleidete, allesamt freundlich und bestimmt vorgebracht. An jenem Nachmittag. In der Blockhütte des Schamanen, der feuchten Hitze des Regenwalds.

Für Magdalena waren diese Stunden anstrengender als jedes Training, jede Yoga-Sitzung, alle Gymnastik-Einheiten dieser Welt.

Der Schamane war danach hochzufrieden und begann unverzüglich mit dem Schnitzen der Flöte. Magdalena war erschöpft. Aber nicht unglücklich. Die ganze Aktion hatte sie sogar stärker erregt, als sie es vor sich selber zugeben mochte. Sie würde ihr Instrument erhalten. Und sie hatte an diesem Nachmittag immerhin einiges dazugelernt. In Sachen rigoroser erotischer Selbstdarstellung.

Sie konnte es kaum erwarten, das Gelernte ihrem geliebten dunklen Ritter des Lichts zu präsentieren, im Takt der adäquatesten Musik, am besten „The Sun, Moon & Herbs“ von Dr. John, aufgenommen im Jahr des Herrn 1971, und danach vielleicht „Crazy Horse Mongoose“ von Galactic, 1997 produziert.

Auf jeden Fall Klänge und Rhythmen aus New Orleans, Louisiana; Metropole der heissen Sounds, der ewigen Nächte, feuchten Träume.

Sie würde zu diesem Behufe den Faye Stringbody von Anais Sensual Lingerie anziehen, darüber eine Stewardessen-Uniform – aus den Glanzzeiten der Zeppelin-Luftfahrt –, dazu wahrscheinlich die Fierce Boots von Trashy.

Danach würden sie und ihr dunkler Ritter des Lichts zusammen die ganz Psychopathia Sexualis von Krafft-Ebing durchspielen – und noch einiges mehr; Dinge, die sich sogar der lüsterne alte Freiherr nicht hätte ausmalen wollen.

Sie konnte es kaum erwarten, die Ebenholz-Zauberflöte in die Hände, in den Mund zu bekommen.

Mit der Ebenholzflöte hatte ihr der alte Schamane folgenden Ratschlag auf den Weg gegeben: „Ich kann Dir nicht zeigen, wo der Lockton sitzt, den Du suchst. Das ist bei jedem Menschen anders. Du musst üben, üben, üben. Und eines Tages wird Dir der Ton zufallen. Du wirst Bescheid wissen, wenn es so weit ist.“

So kehrte Magdalena in ihre Heimatstadt zurück. Sie begann mit ihren Flötenübungen, blies in das Holz. Bis zur Erschöpfung. Tag und Nacht. Zwischendurch fand sie gerade noch ein bisschen Zeit für ihre Näharbeiten, die Stewardessen-Uniform – aus den Glanzzeiten der Zeppelin-Luftfahrt – musste schliesslich fertig werden. Und zwei Wochen vor den Feuertagen fand sie auch jenen magischen Ton, der den dunklen Ritter des Lichts in ihre Wohnung locken würde, an ihren Herd, in ihr Bett.

Sie blies den hypnotischen Klang in die Welt hinaus. Der Ritter empfing ihn. Und begab sich sogleich auf seine Reise. Er durchquerte Wüsten, durchschwamm Ozeane, kletterte über hohe Berge. Unmittelbar vor den Feuertagen stand er an Magdalenas Tür.

Die beiden Verliebten fielen einander in die Arme. Fast hätten sie sich gegenseitig vor lauter Freude erdrückt. Sie hatten ja einst gespürt, vor einigen Jahren bereits, am Tag ihres Kennenlernens, dass sie füreinander bestimmt waren. Doch hatte es einige Zeit gedauert, bis sie sich zum ersten Mal körperlich näher kamen. Damals, in der Stadt Wagdas, war es passiert. In den verbotenen Gärten von König Metanaghor. Im Schatten der Feigenbäume.

Magdalena verschloss die Tür zu ihrer Wohnung ganz fest, sobald sie den dunklen Ritter des Lichts – endlich – bei sich hatte. Sie setzte ihm ein heisses Getränk vor, eine berauschende Kräutermischung, die Lüste weckte und Schlaf verbannte. Dann begann sie mit ihrer schamlosen Schau, die sie für diesen Abend umsichtig geplant, ja eingeübt hatte, weitaus besser noch sollte sie sein, als jene, die sie dem Schamanen für die Flöte geboten hatte.

Auf diese gelungene Vorführung, die den Rittermanns über alle Massen erfreute, folgte ein Reigen der Ausschweifungen. Auf den wir hier nicht näher eingehen. Weil Worte ihn nicht beschreiben können. Also konsumierten sie einander. Unaufhörlich. Tag und Nacht. Vergassen alles andere. Sie konsumierten einander. Bis sie beide vor Erschöpfung starben. Die Erotik und der Tod hatten einander gefunden. Wie es sonst nur in den erbaulichsten Geschichten geschieht.

Ihr Ableben hatte übrigens genau zum richtigen Zeitpunkt stattgefunden. Denn die Feuertage gestalteten sich diesmal unglaublich heiss, allzu heiss. Tatsächlich war die Hitze derart stark, dass sie Bhairavi anlockte, die tausendschöne Göttin der Zerstörung. Bhairavi fackelte nicht lange. Sie verbrannte jenen Planeten zu kosmischer Asche, auf dem Magdalena und der dunkle Ritter des Lichts soeben gestorben waren. Vor lauter Erschöpfung. Ausgelöst durch beispiellose Fleischeslust. Einen schöneren Weltuntergang hatte es noch nie gegeben.

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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