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Die Königin von Finnland

von Andy Strässle

Cannes, St. Tropez, Nizza, Monte Carlo. Eine Perlenkette, an die Riviera geschmiegt, selbstbewusste Namen, deren Hall, mit den Namen von Königen nachklang, die hier gepflegt diniert hatten, oder angereist waren, um zu sterben. Ein Nachhall streitender Zaren, ein Nachhall der lüsternen Blicke indischer Rajahs, die sich nicht nur in der untergehenden Sonne im Meer verfangen hatten, sondern, hitziger, gieriger jetzt, von den Körpern dünner englischer Ballerinas eingefangen worden waren.

Ihr war nicht klar, was sie hier wollte. Ihr war nicht klar, warum der verdammte Pudel, kaum war sie aus der Limousine gestiegen, seine verdammte Notdurft auf dem Trottoir verrichten musste. Ihr war nicht klar, warum sie vor der Abreise Emily entlassen hatte. Jetzt musste sie sich selbst um das blöde Vieh kümmern. «Aus Paris», sagte sie dem Mann an der Réception. Er fragte, ob sie eine Suite wolle. Offensichtlich hatte er keine Ahnung, wer sie war. Die Hitze staute sich in ihr. Aber sie beruhigte sich damit, dass man heute vom Personal einfach nicht mehr zu viel erwarten durfte. Wahrscheinlich gehörte das Interconti heute irgendeinem Scheich, der nicht wusste, was Stil war.

Sie hob die Sonnenbrille, der Pudel piepste schwindsüchtig auf, als er zu bellen die Kraft hatte, irgendwo hinter einer Säule. Sie hätte das Vieh trotzdem umbringen können. «Was zum Teufel, vielleicht bekommt er von der Anstrengung einen Schlag», dachte sie sich, und: «Was zum Teufel will ich hier?»
Weder mit der Croisette noch mit Cannes wollte sie einen Dreck zu tun haben. Aber in Paris hatte sie schlicht nicht bleiben können. Zu demütigend. Der Concierge liess sich nicht beirren und hielt den Blick starr auf seinen Bildschirm gerichtet und ratterte seine Fragen runter. Sie spürte die nächste Hitzewallung: Jemand musste diesen Vasallen doch Bescheid sagen.
Endlich war er so weit: «Willkommen im Intercontinental Carlton, Madame Robie». Die übertriebene Korrektheit ging ihr auf die Nerven. Sie hatte gebucht, sie bezahlte: Wozu der Werbespot in seiner schmerzhaften Ausführlichkeit? Reichte der übergrosse Name am Gebäude nicht aus? Wo war bloss die Töle abgeblieben? Der Chauffeur brachte die Koffer, ihr war heiss. Warum rückte der Concierge nicht endlich die Chipkarte raus. «Votre Altesse, ihr Zimmer wird sofort für Sie bereit sein.»

Als sie den Concierge mit fragender Verachtung und angestrengter Selbstbeherrschung ansah, erklärte er, auf der Anmeldung stehe, ihr Beruf sei «Königin von Finnland». Endlich legte er die Chipkarte auf den Marmor, erzählte etwas von Zimmerservice rund um die Uhr. Das übliche Geschwafel. Emily hatte es ihr heimgezahlt: Die Anmeldung als Madame Robie hätte man noch als Scherz aus der Filmwelt abtun können. Ein Scherz, der etwas mit der Riviera zu tun hatte.
Ausgerechnet jetzt da sie erledigt war. Sie nahm die Chipkarte, sah sich nach dem Hund um. Cary Grant, Hitchcock, «To Catch A Thief» und sie hatte ausgerechnet mit einem spanischen Regisseur drehen müssen. Immerhin hatte Grant aufgehört, als es noch einigermassen mit Würde möglich war. Aber sie ausgerechnet als «Königin von Finnland» zu buchen, war nicht lustig. Aber wegen der letzten Hitzewallung war sie ohne Assistentin unterwegs, hatte sie selbst packen müssen. Sie entschloss sich vorerst, ihre Meinung für sich zu behalten. Wo war der blöde Köter? Egal. Sie drehte sich schnell um. Irgendjemand würde sich schon um das Vieh kümmern.

Sie liess den Concierge stehen, der wissen wollte, ob sie später noch einen Wagen brauchen würde. Die Suite strahlte in der Sonne. Die Vorhänge waren überraschend geschmackvoll und wie in allen diesen Luxusschuppen plärrte ihr von den in den Zimmern verteilten Fernsehern Bloomberg entgegen. Offensichtlich ging man auf der ganzen Welt davon aus, dass der Gast zuerst einmal die Finanznews sehen wollte.
Da sie eigentlich immer eine Assistentin gehabt hatte, kam sie im ersten Moment mit der Fernbedienung nicht klar. Jetzt hatte sie doch ein schlechtes Gewissen wegen dem Hund. Immerhin hatte sich Emily noch an die Routine gehalten. Im Kühlschrank stand der Stoli bereit und Eis und Zitronen waren nachgefüllt. Sie legte sich in den Korbstuhl auf der heissen Terrasse, aber der Drink lag gut in der Hand und kühlte ihre Finger. Unmerklich zitterten ihre Lippen als sie das Glas ansetzte.

Von der Croisette her wummerten die Bässe aus den fetten Schlitten bis zu ihr hoch. Sie musste weggetreten sein. Das Glas lag auf dem Boden. Es war Abend. Trotz der Angeber auf der Strasse unten war ihr nun klar, dass man eigentlich nur hierherkommen konnte, um zu sterben, falls einen die Angeberei nicht schon vorher erledigt hatte. Sie versuchte die Bilder abzuschütteln. Sie musste sich ein anderes Glas holen. Ihre Lippen tauchten zwischen die Beine, ihr Kopf rutschte über die Oberschenkel und schliesslich fanden ihre Lippen andere Lippen, die weich, verheissend, aber auch etwas stachelig waren. Die Kollegin hatte sich nicht gerade perfekt rasiert.

Sie wusste noch, dass sie die Augen geschlossen hatte, als sie den Duft wahrgenommen hatte. Etwas salzig vielleicht, etwas verschwitzt, gleichzeitig schien er die Welt betäubend eng zu machen, aber sie auch weit zu öffnen.
Sie durfte nicht daran denken. Dieser spanische, pubertäre Wichser.
Von weit her nahm sie wahr, dass das Telefon klingelte. Hätte sie Emily in Ruhe lassen müssen, hätte sie es gekonnt.
«Es hat lange gebraucht, Dich ausfindig zu machen. Aber ich bin ja dein Agent. Also war es gar nicht so schwer».
«Henry…» seufzte sie. Das Telefon vor ihr sollte wohl glamourös wirken, auf altmodisch in Perlmutt getrimmt, gleichzeitig aber eine Art Computer. Sie realisierte, sie konnte damit herumlaufen. Musste sie den alles selber machen?
«Henry, sag mir etwas?»
Er zögerte einige Sekunden: «Wir können sie nicht verklagen, der Film wird rauskommen.»
«Im Vertrag …»
«Solche Verträge können wir schon lange nicht mehr abschliessen, Irene. Wir müssen froh sein, wenn überhaupt noch einer dieser Pseudokünstler mit Dir drehen will.»
«Die Fotos, wir könnten sie wegen der Fotos dran kriegen.»
Drei Seiten in Paris Match. Fotos von ihr mit ihren vier Ex-Männern. Auf der Jacht. Im Jet. Dann die zwei Seiten mit den Filmausschnitten. Die Schlagzeile hier: «Die Kontrolle verlieren mit Irene Aubry». Sie zwischen den Beinen einer Frau. Und es sah erotisch aus. Vertieft.
«Das Studio hätten die Fotos nicht rausgeben dürfen.»
«Das ist Werbung für den Film. Du kennst das Spiel.»
Sie glaubte nicht, dass Henry die Bilder rausgegeben hatte, aber sie wurde doch misstrauisch. Ihr Gesicht sah auf den Bildern zart und verletzlich aus. Sie war gerade dabei den Mund zu öffnen und nur einen Moment später würde sie an Julies Nippel saugen. Unterdessen war dieses Bild um die Welt gereist, jeder Blog brachte es. Ihre Scheidungen wurden wieder aufgewärmt. Es wurde spekuliert, ob sie eine Lesbe sei oder ob sie es nun einfach mit allen treibe. Aus Verzweiflung.
«Sie sagen über mich, ich sei vor der Kamera durchgedreht, sie schreiben ich hätte am Set wirklich Sex mit Julie haben wollen».

-Du bist durchgedreht, du weisst, dass du durchgedreht bist und dass du es scharf fandest, obwohl es dich bisher noch nie angetörnt hatte.

«Ich bin erledigt, du musst dieses spanische Schwein stoppen.»
«Irene, Irene, ich suche dich, weil wir uns vor Angeboten nicht mehr retten können. Seit man Dich für eine verruchte Lesbe hält, haben wir Angebote für die nächsten zwei Jahre.»
Du machst die verdammte Arbeit. Nicht er. Du machst die Arbeit, und du bist zu alt dafür.
Sie sah hinaus auf den Horizont. Für ihre Ehen hatte sie teuer bezahlt. Sie hatte ihren Männern immer Geld nachschieben müssen, um sie loszuwerden. Ihre Karriere war ganz gut gelaufen. Solange bis sie nicht mehr lief. Berühmt hatten sie für ihre Hollywood-Filme gemacht. Erfolgreich war vor allem die Durcheinander-Trilogie gewesen. Drei Filme, die sich um durchdrehende Hamster-Schwein-Katzen drehten, die aus der Kanalisation hervorkamen, so bald jemand das deutsche Wort «Durcheinander» in New York aussprach, während es regnete.

Dummerweise kam das regelmässig vor: Der Abend dämmert in New York. Die Dunkelheit legt sich über die Strassen. Es regnet. Gestalten spiegeln sich gelblich auf dem Asphalt. Es regnet heftiger. Rauch dringt aus der Kanalisation. Die Strassen sind leer. Irgendein Vollidiot sagt, umgeben von überquellenden Müllcontainern, hinten bei der Feuertreppe: «Durcheinander». Der Typ telefonierte nicht einmal und hatte auch sonst keinen offensichtlichen Grund «durcheinander» zu sagen. So weit waren die Drehbuchautoren nie gegangen. Nach dem Aussprechen des Wortes entstiegen nun die Hamster-Schwein-Katzen aus einer Art Schleim in der Kanalisation. Sie war eine Atomwissenschaftlerin, die, weil sei offenbar entweder Hamster, Katzen oder Schweine früher mit Uran bestrahlt hatte, vom schlechten Gewissen angetrieben, nun versuchte die lächerlichen Viecher in den Griff zu kriegen.

Heute hatte sie nicht einmal ihren Pudel im Griff. Ihre Hitzewallungen schon gar nicht. Immerhin hatte sie es geschafft, ihr Gespräch mit Henry zu beenden, ohne ihn gleich auch noch zu entlassen. Aber leicht war es nicht gefallen. Trotz ihrer unmenschlichen Anstrengungen selbst klarzukommen, hatte er immer noch keine Assistentin für sie gefunden. Sie musste sich also noch einen weiteren Tag um den blöden Hund kümmern. Sie sah sich um. Der Pudel war nirgendwo zu sehen. Das Eis war zwar weg, trotzdem machte sie noch einen Wodka. Sie beschloss die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Wie alle Bars in Cannes war auch diese weder bequem, noch gestylt und gemütlich war sie auch nicht. Sie war einfach lächerlich teuer. Und das reichte den Angebern, die hieher kamen. Aber immerhin hatte sie ein Päärchen draussen auf der Croisette erkannt. Man war ins Gespräch gekommen und schliesslich war man einen trinken gegangen. Erst Stunden später ging ihr auf, wie sehr sie verarscht worden war. Aber war es zuviel zu glauben, sie sei noch immer etwas wert, man kenne sie immer noch? Sie meinte das Publikum, nicht diese schrecklichen Geier von der Presse. Es war zuviel verlangt, sie wusste es jetzt. Der spanische Pseudo-Künstler war erst der Anfang gewesen. Filme, die sich um die frisch erblühende Liebe zwischen alten und jungen Frauen drehten seien erfolgreich, hatte er auf englisch geradebrecht und sie unschuldig hinter den dicken Brillengläsern angeglotzt.
Sie hatte keine Wahl gehabt. Sie war ja nicht Cate Blanchett. Die Wohnung in New York, die in Paris und dann war noch ein Investment schiefgegangen. Aber daran dachte sie in der Bar nicht. Plötzlich verfing sie sich im Blick der jungen Frau, plötzlich stand noch ein Wodka vor ihr. Plötzlich war der junge Mann verschwunden und die junge Frau hauchte: «Gut, dass er weg ist.» Sie hatte keine Ahnung, dass er nur weg gegangen war, um gut versteckt Fotos zu machen.

Sie stolperte dem Strand entlang. Es war ihr egal gewesen, dass die Bar weder bequem, noch gestylt noch gemütlich gewesen war. Selbst der unfähige spanische Trottel mit seinen blöden Sprüchen «El comportamiento de la persona muestra» hatte sie vergessen gehabt. Sie fühlte sich einfach besser. Die Wellen erschienen ihr ungeduldig, ein böses Raunen. Noch mehr Fotos. Sie hatte mit den Locken der jungen Frau gespielt, die Lippen waren ihr vielversprechend, sanft und einladend vorgekommen. Die Wellen schlugen unentschlossen ans Ufer, die See war seicht und verschlafen. Die Sterne über ihr erschienen gleichgültig, ihr Schimmer von der Luftverschmutzung etwas gebrochen.
Hatte sie Emily umarmt, hatte sie mit ihr ins Bett gehen wollen. Und es war zuviel gewesen. Sie wusste noch, der Hund hatte gestöhnt, denn das mit dem Bellen hatte auch in Paris nicht geklappt.

Irene Aubry würde nie erfahren, dass sie die Hauptrolle in «Die Königin von Finnland» hätte spielen sollen. Kein extrem grosser Film, wegen Finnland eben, aber immerhin die Rolle einer Königin. «Paris Match» nutzte natürlich die Gelegenheit, um die Erotik und Offenheit einer bis zu letzt modern gebliebenen Schauspielerin zu feiern. In Bildern. Die Fotos aus der Bar jedoch wurden nie veröffentlicht. Der Pudel blieb das Maskottchen des Interconti. Er erlag einem Herzschlag. Die Leiche der Schauspielerin wurde nie gefunden.

Kult Gastautor Andy Strässle umarmt Bäume, mag Guy Morin und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

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Autor: Gastautor

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