Hat der Mensch früher noch frustriert und wütend, doch mit voller Entschlossenheit und Tatkraft gegen grosse Mächte, wie etwa gegen die Natur, Eindringlinge und dann gegen Feudalherrschaften und Diktaturen gekämpft – so ist er heute zwar noch immer eine Art Krieger, doch zu einer sonderbaren Spezies transformiert: dem „Keyboard Warrior“. Als Waffe trägt er den erhobenen Zeigfinger mit Dreck unter dem Nagel auf sich. Er ist der kleine, asoziale, aggressive, nervige, psycho-Bruder des Aktivisten.
Sein Kampf gegen Publikationen und deren Fehler und Fehlerchen ist ein einfacher, unmittelbarer, der nichts weiter erfordert, als dass er Halbweisheiten, Behauptungen, subjektive Wahrnehmungen oder Empfindungen und oftmals Beleidigungen von sich gibt.
Dieser ständig kommentartippende Zeitgenosse bevorzugt ein Schlachtfeld mit dem kleinsten Nenner seiner Möglichkeiten um faulen Widerstand zu leisten. Zu mühsam wäre andere, tatsächlich aktive Beschäftigung, Auseinandersetzung, Teilnahme, Anteilnahme, Präsenz und das fortwährende Hinterfragen der eigenen Vorstellungen.
Er mag ein unbeliebter Pessimist sein, der in seinem offline Leben nicht allzu engagiert und involviert ist – also nicht viel zu sagen und nicht viel zu tun hat, denn sonst, wie sollte es anders sein: hätte er keine Zeit um unnötig zu nörgeln.
Dieser Sonderling trägt wohl wie auch sein Vorgänger Unmut und Frust in sich, doch richtet sich dieser an die erste, verfügbare Quelle, statt auf den Ursprung seines Zustands. Ein Ventil, das ihn kurzweilig irgendwie mächtig fühlen lässt.
Besonders die Unmittelbarkeit ist für sein Verhalten ausschlaggebend, folgt auf seine Aktion sogleich eine Reaktion. Zwar bringt dieser Mechanismus keine nennenswerten, langfristigen Auswirkungen und Veränderungen mit sich, doch scheint er dem Belohnungszentrum seiner äusserst verworrenen Hirnregion eine kurzfristige Befriedigung zu verschaffen. Geradezu wie ein Rauschmittelabhängiger, der zwar weiss, dass er nach dem hastigen Höhenflug schneller wieder im Dunkeln landet, als es ihm lieb ist.
In der Entzugstherapie wird besonders Wert darauf gelegt, dass sich die Patienten eingebunden, als Teil einer Gemeinschaft empfinden können – denn gebraucht werden und sich so fühlen, sei ausschlaggebend für die Genesung, sagt man. Auch die Glücksforschung kommt zum Schluss: Einer der wichtigsten internen Faktoren für persönliches Glück sei das Gefühl irgendwo dazuzugehören – was der „Keyboard Warrior“ leider nicht erfahren kann, solange seine primären Ziele Machtdemonstration und Erhabenheit sind.
Um zu grösseren Taten und womöglich langfristig bedeutenden gesellschaftlichen oder politischen Bewegungen fähig zu sein, müsste er lernen seine negativen Gefühle zu kanalisieren und am richtigen Ort zu platzieren, seine Sicherheit, die Höhle der Frustration verlassen und ins Leben treten um diesem schonungslos ins Auge zu sehen.
Lieber bleibt er in seiner Vorstellung Kommandant, alle anderen jedoch, sehen ihn als kleinen, ungeschulten, ausgehungerten Soldaten fallen, bevor der Krieg überhaupt angefangen hat.
Wie lange es wohl dauern wird, bis er dies bemerkt?
Danke an dieser Stelle für alle konstruktiven, freundlich hinweisenden, kultivierten, informierten und diskussionsfreudigen Kommentatoren. Sie tragen als Bereicherung zu dieser vernetzten und vielfältigen Welt bei.