Der ursprüngliche Feminismus hat uns Frauen angelogen, weil er versprochen hat, wir können alles haben. Familie, Beruf, Macht, Gleichstellung, sexuelle Freiheit. Besonders hat er Wert gelegt auf die berufliche Verwirklichung der Frau, sehnte er sich doch seit den Souffragetten über Simone de Beauvoir bis hin zu Betty Friedan mit ihrem „Der Weiblichkeitswahn“ (Erstveröffentlichung 1963) danach, in die männliche Welt von Arbeit und Macht zu entfliehen, die weitaus attraktiver schien als der Alltag von Hausfrauen aus der Vorstadthölle, bestehend aus Haushalt, Kindern, Dinnerparties – alles im frustrierenden Ringelspiel. Die Qualen der bürgerlichen Hausfrau, die sich nach Sinn und Arbeit mit Entlöhnung sehnt, hatte weitgehend das Verständnis vom allgemeinen Feminismus geprägt. Endlich «alles haben» galt als ultimatives Lebensziel wobei das bedeutete: Beruf, Kinder, einen Ehemann, gutes Aussehen.
Simulierte Gleichberechtigung und Chancengleichheit zugunsten der Reichen
Gewiss hat der Neoliberalismus den Feminismus in beruflicher Hinsicht begrüsst und ihm unter die Arme gegriffen. Mit seiner Logik, Geld und Wirtschaft seien der Garant für menschliches Glück. Er organisiert Gesellschaft und Staat auf der Basis „des Marktes“, welcher den Menschen diktiert, was sie zu wollen haben. Es heisst: Jede Kategorie menschlicher Interaktion müsse wie der Markt organisiert werden, mit eingebauten Wettbewerbsmechanismen und Kostenkontrollen – von der öffentlichen Hand bis hin zum sexuellen Abenteuer. Alles was wir tun hat also der Nutzenmaximierung zu dienen, sei es in der Beziehung, im Beruf oder im sozialen Umgang. Der Mensch dient demnach nur noch der Generierung von Einkommen. Ein zunächst ansprechendes, doch dann destruktives System, da es zuerst Gleichberechtigung und Chancengleichheit simuliert, dann aber wohlgemerkt zur Privilegierung weniger Reicher auf Kosten der grossen Mehrheit führt. So werkeln sie fliessig für andere, die modernen, neoliberalen Frauen unserer Zeit! In dieser Welt, in der sie angeblich gleichgestellt sind, nicht mehr nur am Herd stehen müssen – welch Gewinn! Dafür verdienen sie weniger und dienen nach wie vor grösstenteils patriarchalen oder anderen Machenschaften in Hierarchien.
Zunächst fühlt sich Frau mächtig in ihrer Rolle, die ein paar Zahlen als Wertschätzung aufs Erfolgskonto scheffelt, doch muss früher oder später die Einsicht folgen, dass sie noch immer – doch mit noch grösserem Druck – Gendernormen entsprechen muss, die sie in Raster zwängen. Make up, modische Kleidung, Diät, gutes Aussehen, angemessenes Verhalten, nicht zu forsch, nicht zu nett. Man will ja nicht als chronisch untervögelte, überforderte, fette, dumme Emanze beschimpft werden, der von der Männer- und Frauenwelt ein Bein gestellt wird auf dem Weg nach ganz oben. Zur Hilfe eilen Frauenzeitschriften mit Businessrubriken und wertvollen Tipps, die eine ausnahmslos konturlose Persönlichkeit produzieren, bis man sich selbst ganz verloren hat. Fakt ist: Businessfrauen kurbeln die Wirtschaft an, müssen sie sich nicht nur innerlich, sondern auch äusserlich an Normen anpassen. Der ursprüngliche Feminismus, der es sehr wohl gut gemeint hat mit dem Ruf nach Gleichstellung für die Frau hat mit seinen vielen durchaus positiven Facetten, leider auch einen kapitalistischen Feminismus hervorgebracht, der sich vor allem an die Mittel- und Oberschicht richtet und Materialismus fördert.
Zurück zu alten Rollenmustern
Und sie steht da, die Frau, ein Produkt der Wirtschaft, des Kapitalismus, der Gesellschaft und des einst wohlgesinnten Feminismus, die ihr eine Rolle schmackhaft machen, welche sich als partout nicht als Glücksgarant herausstellen mag.
Es ist kein Wunder, dass jeder von mindestens einer Frau berichten kann, die es kaum abwarten konnte ihren zermürbenden, unterbezahlten Job an den Nagel zu hängen, voller Sehnsucht nach einem Leben, in dem sie sich nichts befehlen lassen muss, ein Leben mit Kindern im Garten, umgeben von soeben gewaschener, wohlriechender Wäsche. Die partielle oder gänzliche Abhängigkeit von nur einer Person, dem Partner, scheint ihr in diesem Sinneswandel das kleinste Übel. Von klein auf hat sie getan, was man ihr geraten oder befohlen hat. Sie hat sich angepasst, studiert, ist die Erfolgsleiter hochgeklettert um dann als stolze, selbstständige, moderne, fähige Frau wahrgenommen zu werden und trotzdem ist sie zu jemandem geworden, der in den Augen des Oberbegriffs Feminismus und der Gesellschaft, irgendwann aufgegeben hat. Hat sie doch denen zugeschaut, die bis zur Pension nicht aufgaben und zum Schluss fragten: „Wozu das alles? Wer bin ich überhaupt, in diesem Leben, das immer fremdbestimmt wurde?“ Solches Hintersinnen treibt Frauen in altbekannte Rollen, was man ihnen nicht übel nehmen kann. Schön aussehende Muffins backen und Kinderfotos posten mag kurzfristig tatsächlich sinnvoller und befriedigender erscheinen als die Gewinnoptimierung für Fremde und das Sklavendasein auf Lebzeiten.
Das Grundeinkommen würde diesem Dilemma Abhilfe schaffen, hätten Frauen mit endlich die Möglichkeit sich tatsächlich und aufrichtig zu fragen, welchen Weg sie freiwillig einschlagen möchten. Den des Angestelltendaseins, der Selbstständigkeit, der Ausbildung, der Familienfrau. Morgens aufzustehen und zu wissen, man habe eine (Aus-)Wahl gehabt, fühlt sich selbstbestimmt und stark an.
Ein Feminismus, der Individualität anerkennt und trotzdem weiterkämpft
Es stellt sich heraus: Der Feminismus hat uns unvorhergesehener Weise und unabsichtlich eine Abzweigung hervorgebracht, die uns nach wie vor auseinander zu reissen droht. Er schreibt in seinem totalitären Denken, ganz an die Leistungsgesellschaft angepasst, vor, was uns glücklich zu machen hat, wonach wir streben, wovon wir träumen sollen und schafft so ein weiteres Gerüst, das es zu befolgen gilt. Was er jedoch gänzlich unbeachtet lässt: Die Individualität.
Es ist an der Zeit einen Feminismus zu schaffen, der die Gleichberechtigung zwischen gleichdenkenden und andersdenkenden Frauen respektiert, statt nur einer Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Einer, der angepasst ist an die heutigen Mechanismen, Unzufriedenheiten, Begehren. Einer, der sich zwar noch für die Anliegen der Frau einsetzt, ohne jedoch zu bevormunden. Einer, der akzeptiert, dass die Welt (wohlgemerkt mitunter Dank ihm) vielfältiger geworden ist. Einer, der zwar weiterkämpft für Gleichstellung und Freiheit in allen Bereichen. Doch einer, der aufhört zu bevormunden und seinesgleichen zu diskriminieren.
Er soll endlich die verschiedenen Lebensentwürfe anerkennen. Er soll die Selbstverwirklichung auf jede erdenkliche Art propagieren, auch wenn dies bedeutet, altbekannte Strukturen und die daraus resultierenden Mischformen zu akzeptieren, gegen die er sich früher vehement wehren musste. Es bedeutet, dass er sich abfinden muss mit klassischen Hausfrauen, selbstständigen mehrfach-Müttern, High Heels tragenden Professorinnen, backenden Lesben, intellektuellen Sexarbeiterinnen oder feministischen Instagram-Nacktschnecken. Solange die Frau (natürlich immer mit-beeinflusst von Umfeld und Medien) aus freien Stücken ihre Wünsche weitgehend ergründet hat und mit ihren selbstbestimmten Entscheidungen zufrieden ist. Er soll uns keine Vorschriften mehr machen, ausser dieser einen, unabdingbaren, welche es einzuhalten gilt um Frauenglück zu erfahren: mit wachem Blick und offenem Herzen, in Eigenverantwortung die eigenen Faktoren für Zufriedenheit und persönliches Wachstum zu finden.
Was sich Frauen ursprünglich gewünscht haben und noch heute wünschen, ist nämlich nichts Geringeres als – FREIHEIT.
NACHWORT: Ich schreibe aus der Sicht einer weissen Heterofrau der Mittelschicht, wohnhaft in einem demokratischen, Sozialstaat in Europa. Meine Äusserungen betreffen einen Feminismus (in diesem Text vor allem die Kategorie «kapitalistischer Feminismus»), der sich vor allem aus dieser Perspektive ergibt. Wenn es darum ginge den Feminismus der Drittweltländer, Queers und Randständigen zu kommentieren, liessen sich gewiss andere Schlussfolgerungen ziehen, welche ich mir jedoch nicht anmasse zu unternehmen, da ich persönlich zu wenige persönliche Eindrücke sammeln konnte, die dies zuliessen.
Photos:
1) Gloria Steinem and Dorothy Pitman Hughes, 1971 photograph by Dan Wynn, featured in Esquire Magazine
2) Gloria Steinem and Dorothy Pitman Hughes, 2014 photograph by Dan Bagan, featured in his photo-essay project: «Age of Beauty»