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Blind

Wir hatten es nicht ahnen können. Der Boden war ein Marmorflies und wir hatten nicht ahnen können, dass es dort anfängt. Wie hätten wir wissen können, dass wir niedersinken würden, dann, als nichts mehr funktionierte. Hätten wir ahnen können, es würde alles in Zeitlupe gehen. Hätte ich voraussehen können, meine Füsse würden schwer und schwerer als seien meine Schuhe voller Beton. Für manche ist es Blasphemie, für andere ein Frevel, aber für mich war der Moment ein unergründlicher Zauber, entlang deinen Brüsten verfing ich mich in einem kurzen Blick auf einen Gott, glänzend, blendend und allumfassend.

Sie sagen uns, wir müssen es beweisen können. Sie meinen, wir könnten es begreifen und wenn wir es nicht begreifen könnten, so wäre es nicht möglich. Sie wollen uns sagen, dass wir der Gefahr aus dem Weg gehen könnten. Dass es nur mit Daten erfassbar und erklärbar sein müsste. Sie sagen, wir müssten es wissen können. Aber wir wussten nichts.

Ich versuchte dir zu helfen, als du Salat machtest. Umfangen von einer schönen Blindheit, überzeugt von einer Unschuld, die je länger die Nacht gedauert hatte, nur noch eine ferne Erinnerung war. Der Gorgonzola in deinem Mund war süss, meine Hände auf deinem Bauch verzweifelt, suchend. Deine Brüste das Paradies, aber unglaublich weit weg. Sicher, Salat ist gesund. Aber das interessierte uns gar nicht mehr. Verfangen in einem Klebeband, schwarz und weiss gleichzeitig.

Sie schreiben, da sind Regeln. Sie meinen: «Wir haben Tipps». Sie sprechen von «sexueller Vielfalt», sie palavern von« Perversion» und von «Möglichkeiten». Sie haben Klebeband. Und viel. Sie haben unendlich viele Filme und endlos Ideen, wie es besser sein könnte. Davon haben wir sogar gewusst. Aber dann war da dieser Boden, die farbigen Plättchen. Die Sommernacht würde bald zu einem Sommermorgen werden. Wir hatten davon gewusst und es war uns für einen kurzen Moment völlig egal gewesen.

– Du kannst es mir nicht beweisen. Es war schön, aber wo sind wir uns begegnet? Wie kannst du das nur sagen? Es muss doch einen Beweis geben. Ich kann dir doch nicht sagen, dass es nicht sehr schön war, oder dass ich das schon einmal gemacht habe. Ich möchte in meinen Garten. Da ist eine Hängematte und manchmal trinken wir da Wein. Das finde ich wichtig.

Hier waren meine Hände schon lange auf der Reise. Mein Körper war nicht mehr länger meiner, sondern deiner. Den Salat hatten wir lange vergessen und den Vögeln vor dem Fenster war das auch egal. Dann war dein Körper meiner, und das Licht war die Dunkelheit, du konntest meine Dunkelheit berühren, wir trafen uns im Finsteren, es gab keinen Ort mehr, an dem wir uns verstecken konnten. Mit dem Morgen erschien das Licht viel heller und wir mussten die schützende Dunkelheit verlassen. Das war gefährlich. Ohne Dunkelheit war da kein Ort mehr, an dem wir uns begegnen konnten.

Die Sonne ging auf. Auf dem Marmor waren wir, wie wir waren. Verzückt, verschwitzt und doch verloren. Für ein paar Stunden hatten wir uns nicht versteckt. Aber irgendwie glaubten wir, die Vögel hätten uns gesehen. Wir zogen die Kleider an. Redeten. Wissenschaftlich konnten wir es nicht beweisen. Wie hätten wir es ahnen können, dass wir so verloren waren.

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Autor: Andy Strässle

Andy Strässle umarmt Bäume, mag Corinne Mauch und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

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