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Urban Species – The Queen of the Bored im Schlund der Langeweile

Blökende Schafe, der Wind treibt ein Blatt über das taufrische Gras, ein Schmetterling lässt sich sanft auf einer Blüte nieder. Idyllisch? Die Stunden verstreichen und ein Gefühl keimt auf, das zwischen Taubheit und schwelender Wut siedelt. Langeweile. In der Dorfkneipe reicht der Wirt wortlos Bier und Schnaps über den Tresen, verkümmert der Landbewohner vor Überdruss. So mag es gewesen sein zu Immanuel Kants Zeiten, als der Philosoph einen direkten Zusammenhang zwischen brachliegender Intelligenz und Bevölkerungsdichte konstatierte (verzehrt würde der „Gesittete“ durch die Langeweile auf dem Lande).

Zu Baudelaires Zeiten sah die Chose bereits anders aus. Der französische Dichter beschrieb in seinen „Fleurs du Mal“ die seelische Verödung des modernen Großstadtmenschen, der aus der schnöden Wirklichkeit entflieht, in den Habitus des gesättigt-gelangweilten Melancholikers. Er weitet seinen Schlund zu einem Gähnen, das nicht nur die sinnlose, schwermütige Welt, sondern vor allem auch die eigene desillusionierte Existenz verschlingen möchte. Nur in wenigen Momenten des Rausches, des Exzesses gelingt es ihm, dem Treibsand der Existenz zu entfliehen.

Im Berlin des 21. Jahrhunderts verschmelzen großstädtischer Ennui und Verklärung ländlicher Gehirnbrache zu einem unglückseligen Amalgam. Man praktiziert eine Art Best Practice-Modell, Best of Country-Life/Best of City-Life. Am Wochenende kocht man Beerenmarmelade in der Uckermarck, wochentags pflegt man über Gin-Sorten zu parlieren und dem Geiste Nahrung zuzuführen.

Der Import dörflicher Verhaltensweisen und Strukturen in die Stadt führt jedoch zur Vernichtung dessen, wofür urbanes Leben steht. Die Freiheit zerreibt sich an einer Aufspaltung der Gesellschaft, wird Selbstbestätigung und Abgrenzung des Anderen geopfert. Hipsters mit Wechselbalg-Bärten und Zeitsprung-Frisuren verweilen unter sich. Business und Kultur scheuen einander wie der Teufel das Weihwasser. Misstrauisch beäugt man sich, macht jeder piefig-provinziellen Dorfkneipe Konkurrenz, was Neighborhood Watch und Gruppenausgrenzung betrifft.

Baudelaires Blasiertheit findet endlich ihre perfekte Ausprägung. Erlöst vom Wunsche nach Leidenschaft und Sternschnuppen-Passion dämpft der Großstädter seine Erwartungen mit Sauvignon Blanc, Vernissagen und Lesungen, die sein Leiden an der Existenz bestätigen und verstärken. Bloß kein Aufruhr, kein Sinnestaumel! Seinesgleichen wird gesucht, um endlich auch mit Worten die eigene (so empfundene) Belanglosigkeit zu adeln.

Auf nach Wannsee!

Judith Hermanns leidvoll-melancholische Stimme zelebriert den großstädtischen Ennui, ergibt sich einer Pose, die von ihren Anhängern, bewundernd, als ultimativer Ausdruck urbanen Leids gefeiert wird. Am Wannsee im Literarischen Colloquium sitzen sie, in einer prunkvollen Villa, die den Blick freigibt, über den Hang hinab, zum in der Abendsonne leuchtenden See. Urbaner Eskapismus. Verschmelzung von ländlicher Idylle und Hauptstadthysterie. Mit Hermanns Figuren in „Lettipark“ identifiziert sich das Publikum. Mittelmäßige, von Dramen verschonte Städter, die ihre Erinnerungen „wie Blätter fallen“ lassen, abstreifen „wie eine Haut“ und sich damit abgefunden haben, dass weniger Leben vor als hinter ihnen liegt. Herrmann gefällt sich in der Rolle der abgeklärten Intellektuellen („nich?“ wird gerne wie ein existentialistisch dahingehauchtes „n’est-ce pas“ ihren Statements hinzugefügt). Sie strahlt eine Lassitude aus, die nicht ohne Charme ist, ihren Reiz jedoch verliert, als sie die erste Short Story vorträgt. „Gehirn“, „düster“ (J.H), eher jedoch bedrückend, beklemmend, ist die beste der drei dargebotenen Geschichten. Hermann betrachtet sie als makelfrei, als eine „Geschichte ohne Schwächen“, ist sich ihrer Arroganz nicht einmal bewusst. Irgendwann vor langer Zeit, als Hermann noch Musik hörte und die Spannung zwischen ihrem Leben und den ausgelösten Gefühlen noch ertrug, erinnerte sie an Edwyn Collins „Girl like you“. Collins versuchte den perfekten Pop-Song zu schreiben, die Einschätzung, ob ihm das geglückt sei, überließ er jedoch dem Publikum. Er kam dem Ziel schon ziemlich nah, da er nicht nur Pappelpollen beim Fliegen zusah, sondern „hands bleeding“, „knees raw“ die Welt durchlitt. Hermanns Passion hingegen erschöpft sich im Aufblitzen der Frage, ob Liebe „Selbstentflammung“ sei, der schönste Moment, die beste Metapher des Abends, die sie sofort wieder löscht mit der Verweigerung einer Antwort. Texte als Rauchpatronen, intellektuelle Irrlichter, die nie dagewesen zu sein scheinen.

Kein Gespräch. Keine Diskussion. Autorin und Moderator haben entschieden. Auf der Terrasse sitzen die Hauptstädter und lassen mit gedämpften tibetischen Glockenstimmen ihre moralische Pole-Position erklingen, sodass selbst die blutrote Wannseesonne kraftlos am Horizont versinkt.

Bonne nuit, les chéris!

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Autor: Theresa S Grunwald

Ekstatische Verzückung, Devotion, deutsche Romantik – Theresa S. Grunwald, das Pseudonym dient als sprachliche Verhüllung, lebt nicht nur in einer pornographischen, von einem leisen Hauch Katholizismus durchwehten Welt. Der Durchbruch ins Animalische gelingt nicht immer, Hölderlins Liebe greift sie manchmal hart am Schopfe. Masken sind aber durchaus ein probates Hilfsmittel, um extreme Widersprüche, Sex und Liebe ist nur einer davon, in Genuss umzuwandeln.

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