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Tante Emma reloaded

Kennen Sie Will Holland? Nein, nicht der Staatspräsident von Frankreich. Holland. Will Holland. Kennen Sie nicht? Dann sind Sie in bester Gesellschaft. Ich kenne ihn nämlich auch nicht. Besser gesagt: Ich kannte ihn nicht bis vor einigen Wochen. Dabei macht der Engländer schon mindestens fünfzehn Jahre Musik. Er spielt Gitarre, Bass, Kontrabass, Klavier, Orgel, Percussion und Saxophon – und hat schon einige Alben herausgebracht.

Das haben schon viele, sagen Sie? Stimmt. Kaum fassbar, wieviele Musikschaffende es auf diesem Planeten gibt, und welch vernichtend kleinen Anteil wir davon kennen. Madonna, Frank Sinatra, Jimmy Cliff, Rainhard Fendrich, Mozart, Händel… Sie können noch so viele aufzählen und haben damit trotzdem noch nicht mal einen winzigen Bruchteil der weltweit Musizierenden erfasst.

Unlängst war ich in Zürich am Quantic Konzert. Quantic ist Will Holland. Respektive die Kombo talentierter Künstler, die Holland mit auf die Bühne nimmt, damit sie all die Instrumente für ihn spielen, die er selber gleichzeitig zu spielen nicht im Stande ist. Ein Musiker hat schliesslich auch nur zwei Hände und einen Mund. Schade, ist man manchmal geneigt zu sagen. Würde dieser Holland alles selber machen, käme ganz bestimmt Ausserordentliches dabei heraus. Sampeln wäre natürlich eine Möglichkeit – aber alles live gespielt ist einfach eine andere Liga. Gerade in dieser neumodischen Zeit, in der ein MP3 für manch einen jungen Menschen das höchste der musikalischen Gefühle ist. Womöglich mittels Bluetooth kabellos auf den Kopfhörer gemurkst. Da bleibt dann von der Soundqualität nicht mehr viel übrig. Geschweigen denn von der Atmosphäre, die ein Livekonzert mit sich bringt. Und von dieser Atmosphäre war am Quantic Konzert ordentlich viel vorhanden.

Was für ein Dienstagabend
Das Vergnügen nahm gemeinsam mit meiner Begleitung, zwei grossen Bieren und der untergehenden Feierabendsonne vor der Ambossrampe seinen Verlauf. Der Musikclub und die Strasse darum herum begannen sich zu füllen. Ich hätte mich gewundert, dass so viele Leute zum Konzert einer mir praktisch unbekannten Band ströhmen, hätte ich die Popularität des Events nicht schon beim dazugehörigen Facebook-Event erkennen können. Das Konzert war gemäss Veranstalter beinahe ausverkauft, die Stimmung ausgelassen, Quantic performte zur allgemeinen Begeisterung, das Publikum sang bei den bekannten Tracks mit, und auch wir tanzten froh bis zum letzten Takt. Was für ein Dienstagabend!

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So weit, so gut. Und was soll jetzt besonders daran sein? Bier, Musik, Stimmung… In der Tat: So verliefen schon viele Abende. Vor 10, vor 20 Jahren… Und doch gibt und gab es da einen nicht unwesentlichen Unterschied: Ich kannte die Bands immer schon eine ganze Weile. Habe sie empfohlen bekommen im Freundeskreis, von der netten Verkäuferin im Citydisc im Niederdorf, bin in der Music Box in Winterthur beim CD- und Plattenhören darauf gestossen, habe sie im Radio gehört oder auf MTV gesehen… Bei Quantic lief das anders. Quantic wurde mir zwar auch empfohlen – diesmal aber von meinem virtuellen Musikbutler Spotify, dem meistgenutzten und meistgehassten Streamingdienst im Netz.

«Von Tante Emma fühlt man sich zwar bisweilen etwas sehr beobachtet aber stets gut aufgehoben»

Spotify weiss was gut ist und was mir gefällt, ganz nach dem bekannten Tante-Emma-Prinzip, bei welchem dem Händler sein Kunde bekannt ist, und dieser noch mit Namen begrüsst wird. Da fühlt man sich bisweilen zwar etwas sehr beobachtet, aber stets gut aufgehoben und verstanden. Niemand sonst hört so genau hin und verfolgt meine Verhaltensmuster. Niemand ist so lernfähig und kann mir aufgrund meiner Gewohnheiten voraussagen, was gut für mich ist, und vermag so gekonnt, mein Leben mit dem passenden Soundtrack zu untermalen. Als ich auf die Empfehlung positiv reagierte, war Spotify dann auch gleich noch so nett, mich darauf hinzweisen, dass meine Neuentdeckung bald ein Konzert in meiner Umgebung geben wird. Und da ging ich ja dann auch hin. Begeistert über den tollen Sound – und gleichzeitig darüber, dass ich hier Zeuge eines Ereignisses war, welches es ohne Tante Spotify womöglich nie gegeben hätte. Die Verschmelzung von Virtu- und Realität.

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Man kann die neuen Technologien und Trends verteufeln. Man kann sich darüber auslassen, dass es Musiker immer schwerer und schwerer haben, dass sie immer weniger erhalten für ihr schaffen und von Anbietern wie Spotify und Konsorten ausgenützt werden und viel zu wenig für ihre Kunst erhalten. Oder man kann sich die Entwicklung, welche ohnehin nicht aufzuhalten ist, zunutze machen. Indem man als Band erkennt, welch enormes Potential in dieser Form von Globalisierung steckt. Und dann steht man als Engländer Will Holland aus Brooklin plötzlich in Zürich, signiert Konzertplakate und verkauft Langspielplatten.

Ich konnte im Anschluss ans Konzert einige Worte mit dem Veranstalter Nick Mazrekaj von Duyaka wechseln:

Wie bist du auf Quantic aufmerksam geworden?

Ich bin seit 2001 Fan von Quantic – damals, als das Album The 5th Exotic erschien. Als ich vernommen habe, dass sie in Europa touren, habe ich beschlossen, ein Konzert mit ihnen zu organisieren.

Du bist also Fan der ersten Stunde!

Genau.

Denkst du, dass Spotify & Co. den Bands das Leben vereinfacht oder eher erschwert?

Positiv ist, dass man dank dem Internet verschiedene neue Quellen hat zum Musikhören. Allerdings machen sich die Künstler auch abhängig von all diesen Diensten.

Wie gross schätzt du den Anteil Konzertbesucher, die über einen Streamingdienst auf den Quantic Gig aufmerksam geworden sind?

Ich denke, dass der grössere Teil Quantic schon länger kennt. Wahrscheinlich so um die 30% dank Spotify.

Über welche Kanäle hast du das Konzert beworben? 

70% über Facebook, 30% mit Plakaten in der Stadt.

Wie wird sich unser Verhalten als Musikhörende in den nächsten 10 Jahren entwickeln?

Ich gehe davon aus, dass es weniger Konzerte geben wird. Streaming wird eine immer grössere Rolle spielen. In Zukunft werden wohl alle von zuhause aus Konzerte schauen.

Was bedeutet das für dich als Veranstalter?

Ich bin mit meinem Label Duyaka bereits daran, eine neue Plattform aufzubauen: Konzerte im kleinen Rahmen mit maximal 50 Gästen – übers Web gestreamt kann dann aber die ganze Welt live dabei sein.

Und wie lässt sich da noch Geld verdienen?

Das läuft einzig und alleine mit Sponsoring, das ist die einzige Einnahmequelle. Morgen machen wir mit Pablo Denegri eine Testaufnahme. Dann werden wir sehen, wie sich das entwickelt.

Denkst du nicht, dass Leute auch in Zukunft Konzerte besuchen wollen, weil es ihnen in den eigenen vier Wänden an Atmosphäre fehlt?

Doch, natürlich hoffe ich das. Ich gehe selber auch viel lieber an Konzerte.

Vielen Dank für dieses kurze Gespräch. Wir wünschen dir weiterhin viel Erfolg und verfolgen speziell das Streaming-Projekt mit Interesse!

Danke.

Duyaka ist eine Event-, Booking- und Musik-Agentur, sie wurde 2010 in Zürich gegründet.

Fotos: Copyright Ondrej Kolacek 2016
http://www.triphaseproject.ch

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Autor: Pete Stiefel

Pete konnte pfeifen, bevor er der gesprochenen Sprache mächtig war – und an seinem ersten Schultag bereits schreiben. Trotzdem ist er da noch einige Jahre hingegangen. Danach schrieb und fotografierte er fürs Forecast Magazin, für Zürichs erstes Partyfoto-Portal stiefel.li, fürs 20 Minuten, MUSIQ, Q-Times, Party News, WORD Magazine, war Chefredaktor vom Heftli, lancierte das Usgang.ch Onlinemagazin – und er textete für Kilchspergers und von Rohrs Late Night Show Black’N’Blond und Giaccobo/Müller. Er trägt (vermutlich) keine Schuld daran, dass es die meisten dieser Formate mittlerweile nicht mehr gibt.

Irgendwann dazwischen gründete er in einer freien Minute seine eigene Kommunikationsagentur reihe13, die unterdessen seit weit über 13 Jahren besteht. Er ist mittlerweile in seiner zweiten Lebenshälfte, Mitinhaber vom Interior Design Laden Harrison Interiors, schrieb unterdessen Pointen für Giacobbo / Müller, Black 'n' Blond (mit Roman Kilchsperger und Chris von Rohr und irgendwann auf dem Planeten Kult gelandet. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein grosser Schritt für Pete.

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