Lauter Turbofolk dröhnt aus den Lautsprechern. Eine Mischung aus Techno, Dance und Folklore. Lachende Gesichter, klirrende Gläser, lauter Stimmen, die mitsingen. Die zierliche Sängerin wippt mit ihren grossen Silikonbrüsten zum Takt, aus dem künstlichen Schmollmund trällert sie kräftig Lieder über leidenschaftliche Liebe, Herzschmerz, Betrug, Drogen, Waffen, Gewalt und Kriminalität. Die Menge feiert, tanzt ekstatisch, Hände werden in die Luft geworfen. Die langen, glänzenden Haare der Mädchen fliegen umher, weisse Zähne blitzen im Discolicht, die perfekten Körper in knappe Kleider gehüllt, lasziv zur Musik bewegend. Viele haben das neue Oberteil auf Ratenzahlung gekauft. Sechs Monate abbezahlen, um gut auszusehen, hoffentlich einen Mann abzubekommen. Einer, der einem das Leben ein wenig einfacher macht. Die Konkurrenz ist Dank guter Gene gross, also achtet man zusätzlich auf sein Äusseres. Satt sein oder das knappe Schwarze, man muss sich entscheiden. Das knappe Schwarze gewinnt. Hunger tut der Figur gut. Es spielt keine Rolle, ob man am Montag in der Linguistik-Vorlesung oder in der Kleiderboutique steht, Bildung entscheidet nicht über Lebensstandard, das hat man erkannt. „Lippen hab ich mir schon gemacht», sagt die attraktive, sexuell anziehende, gross gewachsene 25-Jährige. Sie sieht mir tief in die Augen und zieht dabei verführerisch an ihrer dünnen Zigarette, die gerade so «in» ist. „Publizierst du auch ein Foto von mir mit? Kennst du keinen Arzt in der Schweiz? Ich würde gerne einen Arzt heiraten. Es wäre mir auch egal, dass er nicht so oft zu Hause ist. Stattdessen sitze ich mit dem da fest.“ Sie macht eine abfällige Handbewegung in Richtung eines vernarbten, Glatzköpfigen, kleinen, tätowierten Mannes, der immer wieder nervös an seinem Wodka nippt und mit strengem Blick mit dem Kopf zur Musik wippt. Man müsse sich mal ihre Freundin nebenan auf dem Sofa ansehen, sagt sie. Der nämlich, ginge es nicht so gut, sie sei alleinerziehend, Vollzeit berufstätig, verkauft aber abends noch Rosen in Nachtclubs um überleben zu können. Sie kaufe gerade, statt Oberteilen, in der Quartierapotheke, erbärmlich eine Pampers pro Woche für ihr Baby, wenn das Geld reicht. Dem Mann rutsche manchmal die Hand aus, sagt sie.
Ich denke an all die Frauen zu Hause, die durch den Wohlstand glücklicherweise emanzipiert sind. Dafür aber auch auf den ersten Blick weniger anziehend.