in

Wirf Deine Seele in den Sturmwind hinaus!

Da habe ich also mein Haus verschenkt, an drei bettelarme Familien, die – ohne Brot und Schutz, einem launischen Himmel ausgeliefert – auf der Strasse nach Nirgendwo unterwegs gewesen sind, endlose Tage, Nächte lang, auf der Flucht vor einer Volkszählung. Jetzt bin ich selber obdachlos.

Alle meine Möbel, Bücher, Nippesfiguren gab ich weg, verehrte sie den geistig Armen, die sie gierig aufgegessen haben. Jetzt muss ich nie mehr abstauben.

Dann habe ich meine Kleider kostenlos verteilt, unter den Nackten, die gefroren haben, im eiskalten Winter ihrer verwahrlosen Seelen, welche nun auftauen, während ich einfriere. Nie mehr werde ich das Waschhaus aufsuchen, nimmermehr Nadel und Faden zur Hand nehmen müssen.

3

Ich möchte…

Meine Perlen habe ich vor die Säue geworfen, zusammen mit meinen Gedanken, Liedern, Reimen, Tagebüchern, die possierlichen Tierchen haben mit Gusto darauf geschissen, bis sich das Zeug in Schlamm verwandelt hat, zu Kompost geworden ist, auf dem eines Tages vielleicht etwas Vernünftiges wachsen wird; zum Beispiel Stinkmorcheln. Jetzt muss ich meine Hervorbringungen nicht mehr verteidigen.

…Deine mächtigen Brüste…

Meinen Samen habe ich gespendet, bis zum letzten Tropfen, jener vornehmsten Samenbank der internationalen Szene, in der Hoffnung, dass er auf günstige Ovarien stossen wird, dass die Anonymität der Befruchtung jenen bitteren Fluch der Glücklosigkeit auflösen möge, der seit Jahrtausenden an meiner Mischpoke klebt – wie ein Bordstein-Kaugummi an den Sohlen Deiner High Heels kleben mag. Nie mehr werde ich künftig meinem verschwendeten Potenzial nachtrauern müssen.

4

Auch meine Organe habe ich vermacht, fast alle, habe mich in der Sonnenmond-Klinik ausweiden lassen, ohne Narkose, ich freue mich darauf, dass meine kleinen Biomaschinchen jenen Verkehrsunfall-Opfern das Leben retten werden, die wenigsten noch eine kleine Zukunfts-Perspektive haben, unserer Epoche kennt ja keine grossen Erwartungen mehr. Nun muss ich nie mehr zur Vorsorgeuntersuchung antreten.

2

…und Deine stolzen Arschbacken…

Lediglich für mein Herz habe ich einen anderen Weg gesucht und gefunden, ich habe es angezündet, wie eine Kerze vor einem Madonnenbild, vor einer Göttin, von der ich genau wusste, dass sie für mich immer unerreichbar bleiben sollte, ich habe es mir sodann aus der Brust gerissen, zusammen mit einem netten Brief an ebendiese Göttin gesendet, im Wissen darum, dass mir keine Antwort beschieden sein, dass mein flammendes Herz mit dem Hausmüll vor die Türe gestellt würde, an einem grauen Montagnachmittag, in Erwartung der wackeren Männer vom öffentlichen Dienst. Alle Herzensangelegenheiten sind damit für meine Wenigkeit ad acta gelegt.

7

…kneten…

Dann habe ich noch meine Seele ausgehaucht, ins endlose Vakuum eines kalten, ungastlichen, leblosen Weltraums hinaus, der ganz gewiss keinen Anteil nimmt. Um Himmel, Hölle oder Wiedergeburt muss ich mich nun nicht mehr scheren. Meinen Astralkörper habe ich zu guter Letzt dem Sturmwind anvertraut, der er ihn zerfetzt, über den ganzen sterbenden Planeten verteilt hat.

Für mich gibt es nun keine Freuden, keine Schmerzen, keine Schokolade, keine Wünsche oder Sehnsüchte, keine Blowjobs, keinen Sekt mit Kaviar, keine Schallplatten, Karussellpferdchen, Gitarren, Whiskyflaschen, fröhlichen Damen in frivoler Reizwäsche, nicht einmal Zigaretten mehr.

…bis die Hölle zufriert

Beinahe könnte ich mich nun als glücklichen Menschen bezeichnen, wenn ich jemals ein Mensch gewesen wäre, nicht bloss eine schamlose Kreatur, ein Störfaktor, ein Misston, im Rahmen jener makellosen Harmonie, die Eure Existenz ausmacht. Zu meiner Verteidigung könnte ich, wenn ich mich den verteidigen wollte, zum Abschied einige wenige Worte stammeln: «…auch ich war bloss ein Spielball. Von Ereignissen, die sich meiner Kontrolle entzogen haben.»

5 Kopie

Gefällt dir dieser Beitrag?

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

Facebook Profil

Top 5 ZH: 3x outdoor, 2x indoor

RIP, USA. (Der Wochenrückblick 34/2016)