Wenn der Kuchen spielt, haben die Krümel Pause. So war’s auch am 12. August in der Roten Fabrik, wo Acid Pauli & Co. grad ihr z Nüni-Seckli auspacken durften, als mit den Young Gods die Mutter aller Industrial-Rockbands zur Blitzlichtmesse lud. Wäre Trent Reznor in Zürich gewesen, hätte er sich für einen VIP-Pass den ganzen Tag an die pralle Sonne gelegen.
Für viele der anwesenden Raver waren die Propheten im eigenen Lande – wie so oft – ein unbeschriebenes Blatt. Das kann nicht sein, weshalb wir notgedrungen den Bildungsauftrag übernehmen. Inklusive Miteinbezug eines retrospektiven Exklusiv-Interviews mit Industrial Jesus Franz Treichler, der sich alle Mühe gibt, den Legendenstatus weit von sich zu weisen.
Es kann nur einen Industrial-Gott geben
The Young Gods sind das Genesis des Industrial Rock. Die Stunde Null. Es gibt ausser Laibach niemanden, der ihnen das Wasser reichen könnte. Doch: Trent Reznor von Nine Inch Nails könnte – lehnt aber entschieden ab. Einem Journalisten der New York Times entgegnete er 1991 auf die Behauptung, er sei der Erfinder dieses Genres: „Danke Bruder, aber diese Schuhe sind zu gross für mich. Du musst sie Laibach anziehen. Und noch viel mehr den Young Gods.“
Besagte Latschen traten am 12. August anlässlich des „Lethargy Festivals“ mit Anlauf in 3000 Sitzbacken von Jüngern und Rookies. Eine monumentale Machtdemonstration, die Reznor zu 100 Prozent recht gab. Ein Industrialgewitter sondergleichen. Eine Sinfonie aus Blitz, Beats und Donner. Mit Franz Treichler als beschwörendem Zeremoniemeister. Und einer entscheidenen Figur im internationalen Musikbusiness. Seit 1985.
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Damals gründeten sich The Young Gods und waren Teil einer winzigen Schweizer Musikszene. Trotzdem erreichte das Kult-Trio um Celtic Frost, Coroner und den Young Gods in ihrer jeweiligen Disziplin Weltklasse.
Doch Treichler stürmte nicht nur die Liga, sondern erfand einen neuen Sport: Industrial. Basierend auf der Kreation hypnotischer Samples, legte er elektronisch aufgeladene Riffgewitter über tausend Tonnen industriell gehämmerte Beats. Mit der anarchischen Wucht von Punk – und Psychedelic- wie Jazz-Einlagen.
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Diese Vielschichtigkeit ist der Unterschied zu Laibach, zweifellos 1980 der Urknall der Szene, die in erster Linie Krach und Provokation produzierten. Trent Reznor dazu: „Laibach waren gut, aber irgendwie albern. The Young Gods hingegen – das ist Attitüde und Lautstärke, gepaart mit Gefühl und Authentizität. Das Grösste an ihnen ist und bleibt aber ihre Tiefe, ihr Songwriting. Als ich zum ersten Mal „Kissing The Sun“ hörte, Mann – das blies mich um!“
So beeinflussten The Young Gods eine ganze folgende Generation von Weltklassemusikern. Darunter Dave Grohl, Kurt Cobain (R.I.P.), Trent Reznor, Marilyn Manson, Rammstein und Mike Patton von „Faith No More“. Letzterem war der Stolz ins Gesicht betoniert, als er 2005 in der Miles Davis Hall zu Montreux beim trippig umwerfenden Young-Gods-Acoustic-Konzert den 1987-er-Kult-Track „Did You Miss Me“ singen durfte. Darüber und über die wahren Werte des Rock’n’Roll unterhielt sich Franz Treichler persönlich im Backstage der Roten Fabrik mit Sascha Plecic. Auf geht’s.
Wie möchtest du dich unterhalten? In Deutsch oder Englisch? Weil Französisch ist bei mir nicht.
Englisch hab ich, so glaube ich, den besseren Wortschatz.
Gerne. Weisst du, welches das erste Konzert war, das ich von euch gesehen habe? Es war 1987 in Thun, da…
(Prescht auf Deutsch, mit astreinem frankofonen Akzent, rein) Kühlschrank!
Nah dran! Aber unfassbar, dass du dich daran erinnerst. Es war am 22. Dezember 1987, ich war gerade 14 Jahre alt geworden. Und hätte nie und nimmer da rein dürfen – ins Kühlhaus. Für mich war’s – logischerweise – eine Offenbarung. Wie war das für dich?
Hey, erstmal sorry für den Versprecher. Wir haben da ja schon vorher gespielt, aber das war im Rahmen eines Festivals. Das Bädu Anliker (Legendärer Mokka-Thun-Promoter, Anm. d. Red.) organisierte. Und hey, das Kühlhaus war verdammt kalt. Deshalb sagte ich wohl auch Kühlschrank (lacht)!
Ich fand’s unfassbar. Diese Energie. Und alles drumherum. Wie gesagt, ich war 14, und jede Menge süsser Rauch benebelte auch passiv.
(Lacht) Und du überlebtest es offensichtlich!
Zum Glück. Ja, da habt ihr mich infiziert. Mit der Musik, meine ich. Damals servierte einem der Mainstream halt Nena, Kajagoogoo & solchen Kinderkram. Man musste schon proaktiv in Plattenläden verkehren, um ordentliche Musik zu entdecken. U.a. eben euch. Wir dachten alle: „Was zur Hölle ist das?!“
(Lacht) Hahaha… Jaja, was ist das….
Komm, ist doch so. Ich war ja nicht alleine, sogar Trent Reznor sagt das.
Moment: Kommst du jetzt mit der Nine-Inch-Nails-Nummer? Das hat er mir nie persönlich gesagt…
Ja, aber du last damals schon Zeitungen, oder?
Logisch (lacht)!
Er sagte zu einem Journalisten, der ihm attestierte, Industrial Rock erfunden zu haben: „Alter, diese Schuhe sind zu gross für mich. Sie passen vielleicht Laibach oder noch besser, den Young Gods.“
Tja, ich hab ein Monster kreiert! Hahaha!
Das hast du! Mike Patton, eben Trent…
Jaja, komm, ist schon okay.. (lacht)
Nein, das sind doch alles Leute, die euch huldigen. Klar waren Laibach vorher dran.
Eben. Und vergiss nicht die Einstürzenden Neubauten. Lass mich dir was erzählen.
Bitte.
Wir waren nie Industrial oder wie die Branche das nennen will. Der ganze Sound, die Szene, die war in den USA. Mit Gitarren und Samples. Al Jourgensen presste politische Statements zu George Bush in Ministry-Songs. All der ganze Scheiss kam von denen.
Und ihr habt ihn auf ein neues Level, ja sogar in den Feuilleton, gebracht.
Ich glaube nicht. Das war schon vorher da. Es gab in England, Sheffield, Bands wie Cabaret Voltaire und so. Jim Foetus. Das ist für mich der Anfang von Industrial.
Deine Zurückhaltung sagt mehr über dich aus als über diese Bands. Gerade Cabaret Voltaire waren doch eine Experimental Techno Combo.
Wir mischten die Samples einfach mit mehr Rock. Und das mochten die Amis. „Envoyé“, zum Beispiel, ging bei denen durch die Decke. Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Es ist grossartig, Leute zu inspirieren. Auch ich hatte solche.
Wen?
Ich bin ein 70ies Guy. Pink Floyd. The Doors. Sex Pistols.
Das hört man. Bezeichnend ist, wie homogen und einzigartig ihr verschiedenste Stile und Elemente zusammenbringt.
Genau das ist es. Wir passten in keine Kirche. Wir waren gerade in den 90ern zu elektronisch für Rock. Und zu hart für die Elektroniker. Die 90er, die ich übrigens fantastisch fand. Diese definitive Entstehung der elektronischen Musikkultur, das zu erleben, war grossartig. All diese Leute, die sich fanden und auf unterschiedliche Weise zusammenarbeiteten. Und sind wir ehrlich: Rock’n’Roll war damals am Dead End angekommen. Tot.
Stimmt. Da waren die neuen – alten – Einflüsse. Grunge – eine Art Neo Punk – und dessen grösstes Aushängeschild: Nirvana, die euch ja vergötterten und – aber – sogar Michael Jackson mit „Dangerous“ von Platz 1 der Billboard-Charts stiessen. Durch diesen üblen (unbeabsichtigten) Sellout führten sie Rock’n’Roll in ne Einbahnstrasse – auf’s Abstellgleis. Das tragische Ende ist bekannt.
Ja, da fing es an, schwierig zu werden, so als Underground Act. Die Leute waren skeptischer, betrachteten jeden Musiker als wandelndes Portemonnaie. Auch die Veranstalter: Die nahmen dich rein, spuckten dich aus – und fertig. Der ganze Spirit, der den Ursprung in den 60ies und 70ies hatte, war weg. Da war kein Rock’n’Roll mehr. Es war fortan nur noch Business. Und elektronische Musik kam immer mehr. Ich fand das interessant, DJs, so wie du sie heute kennst, gab es nicht. Die waren gesichtslos. Die spielten die Musik, die sie gut fanden und fertig. Der ganze Fame und Stardom kam erst mit dem Millennium. Zu Beginn war diese Szene richtig geil, es ging nicht um diese verfickten Limos und den ganzen Bullshit. Da war’s noch real. Die 90ies waren sehr, sehr interessant.
Viele Acts, auch Metallica, hatten Mühe, sich der schwierigen Situation anzupassen. Bands wie Killing Joke oder ihr weniger. Ihr passtet genau wegen dieser unverfälschten Attitüde ins Götzenbild der damaligen Generation. Warum glaubst du, war das so?
Gute Frage. Schwierig, sowas vorauszusehen. Oder auch danach, es zu interpretieren.
Ist es der Punk, der drin war. Das Echte? Das Ehrliche?
Ich glaube schon. Sehr wahrscheinlich. Weisst du, Rock’n’Roll ist wie Phönix. Zerstört sich selber und fndet den Weg wieder nach oben. Es ist eine Frage des Geistes, der die Energie am Laufen hält. Da musst Du soweit gehen. Am Ende des Tages zählt deine Beteiligung, die du bereit bist, zu geben, damit etwas entsteht. Oder eben nicht. Es geht nicht darum, ob es Electronic, Punk oder Rock ist – es geht um Attitüde. Es geht den Menschen um deine Grosszügigkeit und die Wahrheit, die du in deine Songs investierst.
Wahre Worte. Wie komponierst du deine Songs?
Wir jammen, Sascha, jammen einfach. Daraus entstehen unsere Songs.
Und ich speie Buchstaben.
Aber so ist es.
Du kannst mir doch nicht erzählen, dass „Moon Revolution“ beim Jammen entstanden ist. Der Track ist komplex, hat Struktur, Hooks. Auch wenn er ausartet – das entsteht nicht einfach so durch Rumfideln.
(Lacht) Okay, du hast recht! Darauf musste ich mich schon ein paar Wochen konzentrieren. Und ich hatte ja auch Hilfe dabei.
Siehste. Versuch nie mehr, mich hinter’s Licht zu führen.
(Lacht) Ja, dir kann man nicht alles erzählen.
Natürlich nicht (beide lachen).
Schon klar. Wir arbeiten lange dran. Und dann tauschen wir unsere jeweiligen Ideen aus. Das hat schon seinen Prozess. „Moon Revolution“ wäre schwierig auf der Gitarre zu spielen.
Ja klar.
Ich schreibe übrigens auch nicht wirklich Songs.
Interessant.
Doch, ich schreibe Songs. Und viele davon spielen wir bei unseren Live Shows, gerade im Unplugged Set wie das in Montreux, das du angesprochen hast. Aber mal ehrlich: „Moon Revolution“ – ist das ein Song?
Im Ernst jetzt?
Ja, lass uns definieren: Was ist ein Song?
Ich sage: Strophe, Brücke, Refrain. Grundsätzlich. Aber come on: Wenn das bei „No Quarter“ von Led Zeppelin nicht hinhaut – was ist denn das?
Ich weiss, was du meinst. Natürlich ist das ein Song.
Und was für einer. Ein verdammter Hit.
Aber er weicht vom klassischen Aufbau ab. Und da kannst du „Moon Revolution“ auch reintun. Es ist ein Mix.
Wie hast Du den komponiert?
Er kam aus der Idee des Anfangs (beatboxed den Sample nach).
Okay, und dann?
Das war die Basis. Das kam mir die Idee des Drums (jetzt beatboxed er die Anfangs-Drums). Und so weiter. Dann wollte ich diesen Drive (macht den verzerrten Bass nach – langsam hat’s was von Michael Winslow bei Police Academy). Und weisst du, ich verbringe gerne Zeit, einfach Zeug zu sampeln – ohne zu wissen, was ich dabei tue oder was dabei heraus kommt.
Hand auf’s Herz: Konntest du früher klassische Songs komponieren?
Nein, aber jetzt schon. Ich könnte sogar Arrangements machen. Aber hey, das ist die Magie des Samplens. Du musst dir keine Gedanken über A, E, D machen – scheissegal. Du machst einfach, was gut klingt.
Macht Sinn.
Es ist wie beim Malen. Bring Farbe ins Spiel – und es wird was.
Wie das Mike Patton tut. Er hat ja bei euch auf der Bühne „Did You Miss Me“ gesungen. Und war stolz wie Anton. Wie war das?
Sehr speziell. Ich war sehr ergriffen. Der legte seine ganze Seele rein (macht ihn mit verzerrtem Gesicht nach): „Yeeeeah!!“ … Der drehte komplett durch!
Herrlich… Und sonst, wie war er?
Er war so klar in seiner Vorstellung. Er fragte mich so oft nach einer Zusammenarbeit, er nahm uns sogar auf sein Label. Und dann kollabierte das ganze Musikbusiness.
Leider.
Ja, das ist so unfassbar – wie lustig. Irgendwie.
Dann vertriebt ihr über uns (Unser Autor hat 2006 bei MUVE, dem nationalen Label von Musikvertrieb, gearbeitet und Bands wie Young Gods, Sens Unik, Bligg oder Greis promotet).
Ja, Muve.
Mit Claude Bravi.
Genau.
2006 haben wir für euch gearbeitet. Einfacher wurde es nicht. Aber hey, ihr hattet diese unfassbare Wertschätzung, vorallem in Amerika. Bei den grössten Ikonen des Rock’n’Roll. Warum habt ihr euch keinen USA-Plan gelegt?
Wir wollten nie einen Kompromiss mit dieser ganzen Corporate-Schiene. Wir wollten bewusst zu keinem Label wie Sony. Vergiss es. Und weisst Du, 1986, als alles anfing, haben wir in den Staaten gewohnt. Und wurden „gross“. Aber hey, wir haben unsere Wurzeln nie vergessen. Wir wollten wieder zurück nach Europa, da fühlten wir uns wohl. Vielleicht war das eine schlechte Entscheidung, wie du’s nimmst, aber hey, wir wollten das. Weil es sich richtig anfühlte. Und dann signten wir für „Second Nature“ bei „Intoxygene“. Der Typ kriegte es aber einfach nicht hin. Zog uns, ehrlich gesagt, ein bisschen runter. Dann brauchten wir ne Weile, um die nächste Platte zu machen. 2005. Weisst du, auf der einen Seite wollen wir keine Kompromisse machen, auf der anderen Seite frei sein – was dasselbe bedeutet. Deinen eigenen Weg gehen.
Trotzdem, wenn es dir angeboten würde, würdest du einen Majordeal unterschreiben? Weltweit?
Sascha, ich bin 55 Jahre alt. Ich will keine jüngeren Leute, die mir sagen, was ich zu tun habe.
Würde ich an deiner Stelle auch nicht wollen. Herzlichen Dank für das offene Gespräch und deine unfassbare Arbeit – Respect. Darf ich dich drücken?
Ja klar (lacht).
Nochmal?
Logisch (lacht noch mehr).