in

Wenn ich von ihr erzähle

Wenn ich von ihr erzähle, sollte ich vielleicht von ihren Augen erzählen. Vom Rhythmus der in ihrer Unentschlossenheit liegt. Augen, die ihre Farbe zwischen grün und braun wechseln. Davon, dass es mich unsicher macht, wenn ich nicht weiss, warum sie manchmal hell und warum sie manchmal dunkel werden. Ich sollte sagen, dass der Wind in ihren Augen liegt, ein Wind, der wild sein will, ein Sturm, der widersprüchlicher und stärker ist, als sie selbst es gerne hätte. Aber das darf ich vielleicht nicht erzählen. Vielleicht fehlt mir das Recht dazu.

In diesen Tagen.

Wenn ich von ihr erzähle, will ich von ihrem Lächeln erzählen. Davon, dass ihr schnelles Lächeln ein Trick ist, um die Welt zu besänftigen. Davon, dass ihr langsames Lächeln im Bauch beginnt und ihr Mund und ihre Augen schon lachen, bevor Welle die Mundwinkel erreicht hat. Dieses Lachen macht die Welt wärmer, verzeihender. Für einen Moment ist alles anders: Die Welt wird zu einer Welt, in der alle Platz haben. Wegen dieses Lächelns. Vielleicht sollte ich von diesem Lachen sprechen, wenn ich von ihr erzähle. Vielleicht habe ich kein Recht dazu.

In diesen Tagen.

Wenn ich von ihr erzähle, sollte ich vielleicht von ihrem Gesicht erzählen. Ich sollte beschreiben, wie ruhig und versunken es aussehen kann, wie ebenmässig und wie fein ihre Gesichtszüge sind, ich sollte sagen, wie die langen dunklen Haare etwas unberechenbar den Ausdruck von Neugier, Offenheit und etwas Unschuld rätselhaft umfassen. Ich sollte erzählen, wie ihr Mund, ihre Augen und ihre Nase harmonieren. Und ehrlich, die Nase ist ein bisschen eine Hakennase, aber ihr Gesicht ist der Himmel in der Dämmerung, mit Wolken und Sonne, Licht und Schatten, nie gleich und so, dass ich es immer ansehen möchte, weil es immer neu ist. Vielleicht sollte ich von ihrem Gesicht sprechen, wenn ich von ihr erzähle. Aber wahrscheinlich habe ich kein Recht dazu.

In diesen Tagen.

Wenn ich von ihr erzähle, könnte ich von ihren Brüsten erzählen. Ich sollte sagen, dass ich manchmal von ihnen träume. Vom Schwung in ihrer jugendlichen Sanftheit, meiner Sehnsucht, die zu oft verborgen unter einem T-Shirt liegt und davon, dass sich ihre Brust im Schlaf hebt und senkt, und dass diese leise Bewegung das Versprechen eines neuen Morgens enthält. Wenn ich von ihr erzähle, könnte ich von ihrer Brüsten sprechen. Aber ich habe kein Recht dazu.

In diesen Tagen.

Wenn ich von ihr erzähle, würde ich von ihrem Körper sprechen. Ihr Atem, das sanfte Rauschen des Windes um ein kleines Häuschen, allein auf einer Ebene. Ihr Herz, das schlägt, im Schlaf getrieben vom Mondschein, der sich in einem Fenster spiegelt. Ihr Blut, das endlos mit den Wasserfällen über die Steine taumelt und fällt. Das Wispern ihrer Träume, die sich erneuern und sich in den Sternen verlieren. Sie ist das Kind aller Kinder, die Mutter aller Mütter. Wenn ich von ihr erzähle, würde ich von ihrem Körper sprechen. Aber wahrscheinlich darf ich es nicht.

In diesen Tagen.

Wenn ich von ihr erzähle, muss ich vom Feuer erzählen. Feuer ist hungrig, es atmet, wächst und vermehrt sich. Feuer tötet. Wenn du am ertrinken bist, so schaltet sich das Hirn ab, du schläfst einfach ein. Aber wenn du brennst, dann möchte dein Kopf das Feuer löschen, du bleibst wach, so lange, bis nichts mehr ausser Asche bleibt. Und du spürst jeden Augenblick davon. Wenn ich von ihr erzähle, so erzähle ich davon.

In diesen Tagen.

Gefällt dir dieser Beitrag?

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Autor: Andy Strässle

Andy Strässle umarmt Bäume, mag Corinne Mauch und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

Sanft vibrierende Vorfreude

Der Öscar für den besten Film geht an “Der Führer” – mit türkischen Untertiteln jetzt im Kino. (Die Woche 9/2017)