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Transparenz, bei einem Nachthemd immer erfreulich

Transparenz, das Wort unserer Tage. Doch geht es dabei leider keineswegs um transparente Nachthemden, die kurvige Körper gleichzeitig verhüllen und enthüllen sollen. Es geht um Transparenz im Geschäftsleben, um Transparenz bei Unternehmen – sowie vor allem um den Anspruch auf die totale Transparenz im Bezug auf das menschliche Wirken und Weben, ja sogar auf das Innenleben der Menschen.

Um die Forderung nach einer finanziellen, inhaltlichen und organisatorischen Durchsichtigkeit, die auch noch die letzten Nebel und Grauzonen dieser Welt aufheben soll. Im Dienste einer neuen – hoffentlich traumhaft Profit generierenden – Wahrheit.

Tabulos durchleuchten

Wir wollen doch einfach nur die inner workings unseres Betriebs kennenlernen, bis hinunter zu jenem letzten Schräubchen, welches seinerseits jenes kleinste aller Zahnräder am richtigen Ort fixiert. Wir wollen die Rolle dieses Zahnrädchens tabulos durchleuchten – und auch das Schräubchen soll gnadenlos Rechenschaft über sämtliche Facetten seiner Funktion ablegen. Wenn wir dann alles bis ins letzte Detail seziert und die Resultate säuberlich notiert haben – so die Theorie – setzen wir es wieder zusammen.

Aber – hoppla – nicht etwa gleich, wie wir es vorgefunden haben. Sondern tüchtig optimiert.

Mit neuen, sachdienlichen und total verbesserten Rollenprofilen für alle unsere Zahnräder und Schrauben, mit Rollenprofilen, die optimal zu unserem Vorhaben passen und die günstigsten Entwicklungen für die Zukunft versprechen.

Ein schönes Bild. Es wurde mir, von einem Gleichaltrigen, einem Manager, neulich beim Kaffe, fast wörtlich so vermittelt.

Manisch triumphierend

Mit manisch triumphierendem Unterton. Und er hat dabei nicht etwa über Förderbänder gesprochen, sondern – gleichnishaft – über Menschen aus Fleisch und Blut und deren Arbeitseinsätze. So und ähnlich wird es heute in der Welt der echten Profis gemacht. Sie haben viele prachtvolle Worte dafür, zum Beispiel «Organisationsentwicklung». Dabei vergessen sie vollkommen, dass wir eben nicht in einem rein mechanischen Universum leben, dass wir es nicht in erster Linie mit Schrauben und Zahnrädern zu tun haben, sondern mit Menschen, Ideen und Gefühlen, mit einer veritablen Grauzone nämlich, einem Konstrukt aus Widersprüchlichkeiten, welches so ganz anders funktioniert, als jede Maschine.

Geheimnisvolle Alchemie

Im Umgang mit der realen Menschenwelt werden wir wohl eher mit den Prozessen einer geheimnisvollen Alchemie konfrontiert, mit einem – letztlich undurchschaubaren – Amalgam aus seelischen, psychologischen und biologischen Vorgängen, als mit einer gnadenlosen mechanischen Logik.

Auch die beliebten Worte Rolle und Rollenprofil scheinen mir bezüglich des realen Lebens eher irreführend.

Schliesslich stammen diese Begriffe aus der Welt des Theaters, einer Welt also, in der Menschen andere Menschen spielen, dies genauso lange, wie das Stück halt dauert, nach Anweisungen der Regie. Überdies werden solche Rollen wochenlang eingeübt, bis sie dann, für zwei, drei Stunden nur, vor einem Publikum funktionieren.

Wann wird geprobt?

In einem Betrieb haben wir es jedoch mit Alltagsmenschen zu tun, acht bis neun Stunden am Tag, fünf Tage die Woche. Das wäre also ein ganz und gar episches Theaterstück. Hält man eine Rolle so lange durch? Wann wird geprobt? Nachts? Dann müssten wir uns am Ende aber mit einer sehr müden, schlecht gelaunten Truppe herumschlagen. Ob die dann wohl wirklich optimale Leistungen vollbringt, besser noch als jene, die sie früher erzielt hat, als sie noch aus echten Charakteren mit Ecken und Kanten bestand – und nicht aus inszenatorisch erzeugten, optimierten Rollendarstellern?

Ich wage es zu bezweifeln!

Faktor X

Schon Goethes Faust wollte wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Er konnte diesen Faktor X aber bis zuletzt nicht finden, weil dieser Faktor nicht festzuhalten ist. Ganz im Gegenteil; wer ihn festhalten will, verliert ihn für immer. Wer etwas Lebendiges bis zum letzten Wirkungselement hinunter seziert, der hat am Ende meist nur noch etwas Totes unter den Händen.

Und daraus kann man dann halt kein Leben mehr erzeugen.

Höchstens eine gruselige Frankensteinvariante von Leben.

Ähnliches betrifft auch die Interaktionen unter Menschen, in einem Orchester, in einer Firma, sogar in einer gut gedrillten Chorus Line. Es gibt zunächst immer einen zähen Ringkampf gegen Widerstände, die teilweise irrational sind, bevor etwas Gutes entstehen kann. Warum? Weil alles produktive Menschliche aus einer Grauzone hervortritt, auf einer Ursuppe basiert, die sich, wenn man sie der absoluten Transparenz unterwerfen will, einfach in nichts auflöst.

Beigeschmack von Nekrophilie

Denn aus einer widersprüchlichen, eigenartigen Ursuppe steigen das Erfolgreiche, das Mittelmässige und das Erfolglose empor. Wer mit vielen anderen Menschen zusammen etwas Erfolgreiches schafft, sollte dankbar dafür sein, sollte das Erreichte hegen und pflegen, sollte mit Wohlgefallen auf seine Schöpfung blicken – mit all ihren Exzentrizitäten, Redundanzen, Leerläufen. Individualität ist eine ehrenwerte Sache – Gleichmacherei ist dagegen schal, leer und hat einen ekligen Beigeschmack von Nekrophilie…

Denn wer weiss schon, ob jene verrückten, jene queren Elemente der menschlichen Natur nicht ebenfalls unverzichtbare Grundbedingungen für den Erfolg waren und sind? Ich persönlich gehe davon aus!

Die Menschen füllen ihre beruflichen und kreativen Wirkungsfelder nicht nach den Gesetzen der maximalen Effizienz aus, sondern gemäss ihrer seltsamen menschlichen Natur, deren Urgründe bisher noch niemand erschöpfend erkunden und erklären konnte.

Wer hier zum Skalpell greift

Wer hier – im Namen von Transparenz und Optimierung – zum Skalpell greift, der wird wohl nichts erschaffen. Er wird am Ende bloss den Tod sähen. Denn absolute Transparenz kann es höchstens im Wirkungskreis des Maschinellen geben. Und selbst dort bleiben, denke ich, sehr viele unerklärbare Reste zurück. Für das menschliche Wirken ist die totale Transparenz hingegen ganz sicher nicht zu haben.

Wer Menschen am Arbeitsplatz ausgeklügelte Rollen aufbrummen will, die ihnen jedoch nicht entsprechen, hat damit auch jegliche Wahrhaftigkeit aus seinem – wie auch immer gearteten – Unternehmen verbannt.

Von Saboteurinnen und Saboteueren

Er hat es fortan nicht mehr mit Menschen zu tun, sondern mit eingeschüchterten Mimen, die sich – weil Reste von Widersprüchlichkeiten und Exzentrizitäten immer noch in ihnen enthalten sind, die bringt nämlich auch das beste verordnete Rollenprofil nicht weg – jederzeit zu veritablen Saboteurinnen und Saboteueren wandeln können. Vielleicht sogar, ohne es zu merken, denn möglicherweise wären sie, von ihren eigenen Positionen in den Schleudersitzplätzen ihrer Über-Ichs aus betrachtet, sogar willig, sich für acht Stunden am Tag zu Rollendarstellern machen zu lassen. Doch die Abgründe des Unbewussten wirken da nicht mit.

Und dort unten, tief unten sind irrsinnig starke Kräfte am Werk.

Optimierung kann eben leicht zu einer Frankenstein-Tragödie mutieren, einem Monstrum, das sich am Ende in mörderischer Art und Weise gegen seine Schöpfer wendet. Und Transparenz, bis hinunter zum letzen Wirkungskreis, kann die produktivste Grauzone vernichten, die das eigentliche Biotop war, in dem der Erfolg eines Unternehmens einst seinen Ursprung nahm.

Zurück zu den Nachthemden

Transparenz? Ich bevorzuge sie auf dem Feld der Nachthemden, die ich jedoch nicht selber tragen möchte. Vielmehr möchte ich sie an ausgesuchte wohlgeformte Ladies verschenken, die ich dann – im Rahmen ausgeklügelter Rollenspiele – ein Bisschen in diesen Kostümen der Transparenz betrachten darf.

Was darauf folgt, findet wieder in einer Grauzone statt… Ohne Skalpell.

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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