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KULT-Autorin Utes Cohens Buch «Satans Spielfeld»: Gnadenlos

Mit der Sprache fängt es an, mit der Sprache hört es auf. Jenseits der Sprache gibt nur noch den bodenlosen Abgrund der Imagination sowie das Nichts. Ute Cohens Sprache ist glasklar. Bis das Glas bricht und Scherben wie glühende Splitter aus den Seiten schiessen, treffsicher, in die Seele der Leserin, des Lesers hinein.

«Satans Spielfeld», das kann – theologisch betrachtet (und was leistet die Theologie denn schon anderes als Betrachtungen?) – die ganze Welt sein. Vladimir Nabakov hat es ein bisschen anders gesehen, aber das können Sie im Zitat nachlesen, das Cohens Spielfeld eröffnet. Und tatsächlich präsentiert uns die Autorin ein kleines Welttheater, wie man so sagt, dies tut sie mit grossem Geschick.

Ihre Bühne ist die bayrische Provinz der 1970er Jahre. Keineswegs eine homogene Landschaft, obschon es natürlich ein Klischee gibt, das uns dieses Homogenität vortäuschen möchte. Aber dieses Buch verzichtet auf derartige Farbtöne. Weil es uns das Leben schildert – und jene Fatalität, die das Leben immer begleitet, wahrscheinlich sogar massgebend verursacht.

Die bayrische Provinz der Seventies ist natürlich noch von der Landwirtschaft geprägt und von jener Kultur, die auf bäurischem Boden gedeiht. Doch eigentlich ist diese Kultur bereits zerbrochen, weil sie den Grund verloren hat, aus dem sie einst gewachsen. Die Zeichen dieser verlorenen Kultur werden von der Gemeinschaft wie Schilder hochgehalten, doch diese Zeichen verweisen längst nicht mehr auf etwas Lebendiges. Sie markieren lediglich noch ein Territorium und dienen als Totems für eine Gemeinschaft, die gar nicht mehr wissen kann, was sie einmal war.

Das Bauerndorf ist längst zum Provinznetz geworden. Nächste Station: Agglomeration. Vielleicht von jener Ultramegalopolis, die dereinst die ganz Welt umspannen wird. Doch soweit sind wir noch nicht.

Wir sind halt in den 1970er Jahren. Kleinbürgertum und Popkultur, Duckmäusertum und Hedonismus, die Beschwörung alter Werte und das selbstverständliche Nutzen einer sich rasant entwickelnden Technik mischen sich zu einem sozialen Klima, in dem die alten Zeichen als Wegweiser nicht bloss versagen, sondern die Menschen auf ihrer Lebensreise zielsicher in die Irre führen.

Rock’n’Roll ist auf dem Weg zum Punk – und Sex hat sich längst komplett vom Zeugungsgedanken abgelöst, ist vom fröhlichen Vergnügen zum facettenreichen Lebensstil geworden, der alle Schichten der Gemeinschaft durchdringt. Überall. Letzteres darf man in der bayrischen Provinz ganz sicher nicht laut sagen. Doch die Realitäten sind geschaffen.

Es hat irgendwann, irgendwo als sexuelle Revolution begonnen. Eine Sache, in die von deren Protagonistinnen und Protagonisten grosse Hoffnungen gesetzt wurde, dies sicher nicht zu Unrecht, was die Autorin Ute Cohen übrigens auch ganz genau weiss, ihre Sprache verrät es.

Doch wenn sich eine derart grosse Sache über die ganze Welt spannt – bis sie dann in der Provinz – in diesem Fall der bayrischen angekommen ist, werden grosse Entwürfe oft genug zu trüben Realitäten, zu Karikaturen, die, gleichsam wie Besoffene, zwischen Lächerlichkeit und Schmerz hin und her schwanken, torkelnd zwischen Komödie und Tragödie.

Das ist die Welt, die uns Ute Cohen schildert. Das ist die Welt durch die ihre Protagonistin Marie irrt, eine Zwölfjährige, dabei ist Alices Wunderland, das ja immer auch die Züge einer Irrenanstalt trug, endgültig zu einem Labyrinth der leeren Zeichen geworden, die vor allem auf eine Qualität verweisen: auf Gnadenlosigkeit, auf gnadenlose Liebe, gnadenlose Lust – und auf den gnadenlosen Imperativ einer so genannten sexuellen Befreiung.

In dieser Welt liegt die Bibel ganz selbstverständlich neben «The Joy of Sex» und David Hamiltons Lolita-Fotos liegen neben katholischen Heiligenbildchen.

Dorothys Welt ist in Schwarz-Weiss gefilmt, das Wunderland in Technicolor, so war es im «Zauberer von Oz», so ist es auch für Marie. Dem grauen Alltag in ihrem Elternhaus, steht die farbenprächtige Welt der Familie Bauleitner gegenüber. Und geschickt malt Cohen diese Welten mit ihrer Sprache auf die Seiten.

Warum gibt es eigentlich so viele Porno-Versionen von «Alice im Wunderland» und dem «Zauberer von Oz» – vornehmlich in Filmen und Comics? Cohen liefert uns Erklärungsansätze dafür.

Aber das ist noch lange nicht alles…

Marie freundet sich mit den Töchtern des Architekten Fred Bauleitner an. Und ihre Welt erstrahlt nun – eben – in Technicolor. Die Farben heissen, unter anderem, Kultur, Gedankenflüge, Wohlstand. Bauleitners Welt ist für Marie die sprichwörtliche weite Welt. Verheissungsvoll. Womöglich eine neue geistige, eine neue seelische Heimat…

Doch unter der Oberfläche dieses Wunderlands – wir könnten auch Oz sagen – kocht die Lava: Sexualität. Und Fred Bauleitners provinzielle sexuelle Freiheit kennt kein Gewissen. Es ist seine Freiheit, eine gnadenlose eben, die sich für Marie zu einem lebensgefährlichen Sturm aufbläst, den sie am Ende jedoch überlebt; verwandelt, gezeichnet.

Es ist schon eine grosse Kunstfertigkeit, die Ute Cohen an den Tag legt, wenn sie die transgressive sexuelle Geschichte von Marie und Bauleitner erzählt, eine Geschichte, die auch von den vier Erzählerinnen stammen könnte, die der Marquis de Sade in seinem berüchtigten «120 Tagen von Sodom» auftreten lässt, eine schmerzhafte Geschichte.

Cohens Sprache verurteilt nicht, wird gleichzeitig aber auch nie pornografisch. Sie bleibt glasklar, dokumentarisch und dabei – wieder dieses Adjektiv – so gnadenlos wie die Ereignisse, die sie schildert.

Und wie es so ist mit dem Glas, es taugt auch zum Spiegel. Und wie Alice, nachdem sie das Wunderland erforscht hat, hinter den Spiegel steigt, steigt auch Cohen hinter die Spiegelwand. Deshalb ist «Satans Spielfeld» – in einem gewissen Sinn – ein ferner Spiegel (durchaus im Tuchman’schen Sinne) von Nabakovs «Lolita». Schon wegen dem Eingangszitat, welches das Buch eröffnet.

Doch lassen Sie sich nicht täuschen. Cohens Signifikat hat nichts mit jenem Nabakovs zu tun, sie sind nicht einmal miteinander verwandt. Egal, in welche Richtung uns die Signifkanten weisen mögen. Denn Cohens kleines Welttheater ist ein ganz und gar überraschendes Stück Literatur – abrundtief böse, aber dennoch erfrischend.

Lesen Sie dieses Buch! Hier können Sie es bestellen: https://www.amazon.de/Satans-Spielfeld-Ute-Cohen/dp/3902711612/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1491557819&sr=8-1&keywords=satans+spielfeld

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

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Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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Stephan Sulke. Der von Uschi.

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